„die schönheit des schnellen schreibens“

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat sich entschlossen, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. Auch wir begrüßen diese Entscheidung und freuen uns über die neue deutsche Anarchie. Geht ein Ruck durch die Gesellschaft? Von Frankfurt aus? Experten meinen in der taz: Mehr Sprache wagen!

locker nehmen

ich liebe es, wie thomas steifeld in der faz so wunderbar abendländisch wettert. die alten texte, das ist es für ihn und deshalb zurück ins alte. der mann mailt eben nie. sonst wüßte er die schönheit des schnellen schreibens und die aufschlussreiche einfachheit des verschreibens zu schätzen. und überhaupt. fließende übergänge in ein sich ergebendes wäre auch in der rechtschreibung möglich. das bedeutet nicht gleich den sinnverlust des deutschen. strenge benotung ist dann halt nicht mehr möglich. überprüfung von formalen richtigkeiten. ordnung geht verloren. HUCH! udnwie gesagt, die alten texte. – hätte es nicht darum gehen sollen, deutsch zu einer leichter erlernbaren sprache zu machen. für deutsch- und nichtdeutschsprechende. das ist ja nun sicher nicht erreicht worden. und darüber sollte nachgedacht werden. und einherzliches „grüß gott“ zur faz im schmollwinkel der abendlanderhaltung. locker nehmen. burschen. ganz einfach locker.

Marlene Streeruwitz, Schriftstellerin

Umschreibesystem

Inhaltlich freue ich mich über unsere Rückkehr zur alten Rechtschreibung. Diese Reform war derartig grammatikwidrig, dass sich mir innerlich die Fußnägel hochgerollt haben. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, wie es zu den Regeln der Groß- und Klein- und der Zusammen- und Getrenntschreibung kommen konnte. Die nochmalige Umstellung unserer Zeitung wird für uns Korrektoren aber erst einmal mit Mehrarbeit verbunden sein. Für die praktische Arbeit gilt ja die Frage: Von welcher Qualität ist das Vorprodukt? Also: Wie stellt sich die Redaktion um? Zudem müssen ja auch Agenturmeldungen umgeschrieben werden.

Dr. Ulrich Sander, Korrektor des FAZ-Feuilleton

Schlacht ums ß

Jaaaa, ich würde auch gerne Jubeln! Der Schulterschluß der FAZ mit dem Neuen Deutschland, das rüstig-zackige „Erwarten uneingeschränkte Solidarisierung mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in dieser Orthographie-Sache“ der roten Greise Hacks, Heym und Kant, die Seite an Seite mit Schirr- und Nonnenmacher im Zeichen des ß gegen die Kultusminister ziehen, spiegeln den Geist in dem man Schlachten gewinnt – wenn es doch nur welche zu schlagen gäbe! In der Praxis hat die Rechtschreibreform die Orthographie de facto zur Privatsache gemacht, so daß es recht und billig ist, wenn die FAZ sich nun für diejenige Schreibung entscheidet, die ihr gemäß ist. Ich persönlich bevorzuge auch die alte Ortographie, aus dem schlichten Grund, weil sie mir – im Gegensatz zur neuen – einleuchtet und ich nicht erkennen kann, was es mir, meinen Lesern oder sonstwem bringen würde, „Schiffahrt“ künftig mit drei f zu schreiben. Da unsere Kinder aber im Normalfall das Lesen nicht aus der FAZ lernen sondern aus reformierten Schulbüchern, scheint mir die wertkonservativ-kulturrevolutionäre Begeisterung ein wenig zu groß geraten.

Georg M. Oswald, Schriftsteller

Sieg für Preußen

Ich freu mich natürlich auch, dass die FAZ zur alten Rechtschreibung zurückkehrt. Endlich wird die Siebziger-Jahre-Idee über den Haufen geworfen, dass Schüler für ihre Rechtschreibschwächen nicht verspottet werden dürfen. Endlich ist Schluss mit der Gleichmacherei. Endlich können nur die Leute Fremdwörter richtig schreiben, die mindestens Griechisch an einem humanistischen Gymnasium gelernt haben – ich immerhin habe das Große Latinum. Endlich wird wieder zur Regel, dass bei umgangssprachlichen Wendungen das Ausfall-e gekennzeichnet werden muss. Das brandmarkt die süddeutschen Dialekte und zeigt, dass die Preußen nur zu Recht bei der Schlacht zu Königgrätz gewonnen haben.

Matthias Fink, taz-Korrektor

Doppelte Esse

In diesem einzigen Fall bin ich der Meinung von Herrn Reich-Ranicki, dessen Hang zum ästhetischen Debakel ich sonst nicht teile: Er fand die Reform unerotisch. So sagte jedenfalls heute morgen meine Bäckerin mit einem selbstgewissen Lächeln, das mich alles zu glauben in die Lage versetzte. Ich, ne, ich kam ja gerade vom Kindergarten und hatte noch nicht mal gefrühstückt. Bin aber auch schon immer dagegen gewesen! Der Auftritt von Günter Grass zum Beispiel, auf der Buchmesse damals, als er, tja, das scharfe Ess retten wollte! Das war natürlich gegen die Schweizer gerichtet. Ein anderes Gerücht, man wolle jener bewährten Tradition folgen, der man schon bei der Namensgebung der Republik Tschechien huldigte, und Herrn Hitler die von ihm besetzten Begriffe und Symbole belassen, dieses Gerücht konnte sich allerdings nicht halten. Oder? Tschechei! Oder: SS! Überall doppelte Esse!! Mein Gott, die Rückkehr zur Deutschen Kultur (Heym, Kant & Hacks) kann man so wirklich nicht herstellen. Nein, auch Frau Lindemann aus Unkel will jetzt die FAZ lesen, wegen der Rechtschreibung. Deutsche Anarchie, Mensch, bin ich endlich mal froh!

Ralf Bönt, Schriftsteller

Wenn Alb dann Alb

Seitdem ich (auf deutsch) schreibe, folge ich, revolutionär-experimentell wie ich nun einmal bin, meiner eigenen Rechtschreibreform, in dem ich mich überall dort, wo mir Ortographie, Valenz etc. nicht flexibel genug sind, einfach über diese hinwegsetze. (Und schon haben wir schöne „poetische“ Strecken in der Prosa.) Das kann ich tun, denn zum Glück bin ich weder Journalist noch Schulkind und somit – ein freier Mensch. Was hat mich dann bisher eigentlich daran gehindert, wirklich radikal zu werden? Unerhörtes wie Austrizismen lebhaft zu kultivieren? Oder, davon gar nicht erst zu sprechen, daß ich mit einer Sprache aufgewachsen bin, die, wie im übrigen der große „Rest“ der Welt, ohne großgeschriebene Substantive, pardon, substantive auskommt. Und mit einem bruchteil an interpunktionsregeln. Wenn schon reform, dann richtig. (Eine KulturNation sind wir trotzdem. Sagt man, ähm, sagen wir.) – Nein, ich habe es doch nicht getan. Poetisch ja – „Die Gravitation zieht uns.“ – („zieht uns“?: woher?, du Unglückliche, wohin?), aber ein Protestant? Das war mir dann doch zuviel Aufhebens „der Form halber“. Jedesmal also, wenn mein Korrektorat ein „falsch“ geschriebenes Wort, eine fehlendes Komma markierte, habe ich nachgegeben. Was soll’s sagte ich mir. Zusammen, auseinander, groß, klein, das ist nun wirklich zweitrangig. Ist der Text schön? Ist er wahr? Na also. Ich will nicht sagen, daß ich nicht schockiert war, als ich meinen Alptraum in einer Zeitschrift als Alb wiedersah. Aber dann sagte ich mir wieder: was soll’s. Wenn Alb dann Alb. Ich bin nicht einmal sauer, wenn man meinen Namen falsch schreibt. Der wird nämlich vorne ungarisch (Terézia) geschrieben, hinter aber nicht (Mora statt Móra) – irgendeiner wird es immer falsch machen (früher, da grassierte in den französischen Tageszeitungen immer ein deutscher Politiker namens Khol). An der Person, am Werk – der Essenz – ändert all dies nichts. Ich benutzte einmal sogar „Geschwister“ im Singular, und dem Korrektorat ist es nicht aufgefallen. So sehr war man geblendet vom Schönen und Wahren im Text, nehme ich an.

Terézia Mora, Schriftstellerin

Reich durch Regeln

Ich begrüße die Entscheidung der FAZ. So schafft man Arbeitsplätze. Waren es bis vor kurzem nur soziale Randgruppen, die gegen die Rechtschreibreform wetterten, ist nun ein großes Medienunternehmen an die Spitze der „Back to the alte Rechtschreibung“-Bewegung getreten. Dadurch entsteht eine große – fast möchte man sagen Rechtsunsicherheit, und in der Tat steigt nun der Bedarf an Spezialisten, die, darin eben den Juristen ähnelnd, nicht nur die alten und neuen Regeln, sondern auch alle belegten Ausnahmen und Präzedenzälle kennen. Für dieses neu enstehende Berufsbild des Rechtschreib-Mediators sind wir Literaten natürlich besonders geeignet, und so sehe ich, der FAZ sei Dank, goldene Zeiten für die Autoren herandämmern.

Thorsten Krämer, Schriftsteller