Unser wunderbarer Waschsalon

Da schaut der Kanzler blöd aus der Wäsche: Knitterschutzsystem und 1.000 Schleudertouren sei Dank, ist vor seinem Amtssitz der größte Waschsalon der Republik entstanden, mitten auf dem Schlossplatz. Nur einige Saubermänner reagieren verärgert

von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Natürlich, zu Hause hat er zwei Waschmaschinen und sogar einen Trockner. Trotzdem wäscht Klaus Wegner (Name geändert) seine Wäsche im Freien. Warum? Weil der Mann, der als Autoverkäufer ein gutes Einkommen hat, bei einer kleinen Sensation dabei sein will. Seit Jahren schon ist der 51-jährige Single ein überzeugter Waschsalongänger, „wegen der vielen Leute, die man dort kennen lernen kann“. Als Klaus Wegner von einer Dienstreise in den Schwarzwald zurückkam und davon hörte, dass man in der Hauptstadt neuerdings in aller Öffentlichkeit schmutzige Wäsche waschen kann, packte er seine Reisetasche gar nicht erst aus.

Schmutzige Wäsche wird für gewöhnlich im Stillen und Verborgenen gewaschen. Doch was ist auf dem Schlossplatz schon gewöhnlich? Direkt gegenüber dem provisorischen Sitz von Bundeskanzler Gerhard Schröder stehen in zwanzig Reihen 104 Waschmaschinen vom Typ „Siwamat XL 540“. Jedes der Geräte mit 1.000 Schleudertouren und Knitterschutzsystem steht auf einem eigenen kleinen Sockel. Hinter der Zahl 104 steckt übrigens keine größere Bedeutung. Mehr gibt der Schlossplatz einfach nicht her.

Von Bedeutung ist der Ort, auf dem sie schnurren und schleudern. Einst stand hier das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. Und manch einer will hier wieder der Nation gedenken. Die Künstler sind da bescheidener. Sie nennen ihre Installation „Temporäres Denkmal“. So geht es der Geschichte an die Wäsche, intime Einblicke und perspektivische Ausblicke inclusive.

Vielleicht steht ja deshalb an einem weißen Baucontainer am Rande des öffentlichen Waschplatzes ein Schild: „Betreten auf eigene Gefahr“. Jeder weiß zwar, wie eine Waschmaschine funktioniert. Was aber passiert, wenn man eine Ladung Wäsche nach dem Schleudergang ans Licht der Öffentlichkeit zerrt, weiß keiner.

„Ich finde das super und total lustig“, kommentiert Klaus Wegner den wunderbaren Waschsalon, während er alleine mit seinen dreckigen Handtüchern fünf Maschinen stopft. „Jeder hat so seine Eigenarten“, erklärt er seine Waschkultur: „Ich habe einen besonderen Tick und benutze jeden Tag ein neues Handtuch.“ Zum Trocknen wird er zu einem Waschsalon fahren. Doch vorher greift er mehrmals zum Handy, um Zuhause-Waschern zu erzählen, wie toll das Waschen auf dem Schlossplatz ist.

Auch Michael, ein 27-jähriger Mathematikstudent aus Kreuzberg, hat zu Hause eine Maschine. Nur mit dem Temperaturregler will es nicht klappen, der ist defekt. Doch daheim ist nicht gleich auf dem Schlossplatz. Von seinen „Unterbuxen bis zu Handtüchern“ quetscht er alles in die Maschine, was sich in den letzten zwei Wochen angesammelt hat.

Die Gelegenheit, in aller Öffentlichkeit zu waschen, will er sich einfach nicht nehmen lassen. Die anfängliche Skepsis – „Hoppla, das ist ja so, als wenn jemand in meinen Schrank zu Hause guckt“ – war da, doch die Neugier war stärker. „Es ist eine Superidee, den Platz dafür zu benutzen. Das würde man sonst nie draußen machen.“

Eingelullt vom beruhigenden 60-Grad-Gang genießt der Student die Kulisse: Rechts von ihm Schröders Büro im ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude, gegenüber der Palast der Republik, in dem sich die Abendsonne auf der Asbestfassade spiegelt, links der Dom, darüber riesige Vogelschwärme. Herbststimmung und Geruch nach frischer Wäsche.

Damit andere ihre Wäsche umsonst und draußen waschen können, haben sich der Bildhauer Victor Kégli und der ehemalige Modedesigner Filomeno Fusco hoch verschuldet. Denn kein Waschmaschinenhersteller wollte für ihr Projekt „Weiss 104“ als Sponsor auftreten. Entweder verstanden sie das Anliegen der Künstler nicht oder sie hatten Angst vor der Geschichte. Lediglich Siemens ist ihnen zuletzt etwas im Preis entgegengekommen. Nicht einmal das Waschpulver war umsonst. Waschpulver und Regen vertragen sich nicht, meinten die Waschmittelhersteller. Nun solle eine Versteigerung der Maschinen die Kosten decken. Die sind immerhin dreifach lackiert, haben eine besonders robuste Mechanik und sogar einen „Lebenslauf“ – jeder Wäscher muss für seine Maschine unterschreiben.

Während die Künstler Geldnöte plagen, sind die, die Rucksäcke und Taschen voller schmutziger Wäsche anschleppen und das Spektakel, als würden sie ihm nicht trauen, zum Beweis fotografieren, begeistert. „Ich bin bankrott und wasche sonst im Waschsalon oder bei Freunden“, erzählt Konstantin, ein 30-jähriger Mann mit dünnem Pferdeschwanz. Der schwarze Anzug samt Weste und weinrotem Hemd, den er trägt, stammt aus besseren Zeiten. Konstantin, der sich als freier Fotograf, Barmann und DJ durchschlägt, hat bis vor zwei Jahren mit Aktien gedealt – bis er sich verspekulierte.

Die Zeit des Waschgangs hat er in der Bibliothek verbracht und Unterlagen über Autoelektronik und griechische Säulen kopiert - ein praktischer Zeitvertreib, der so bunt ist wie der Inhalt seiner Maschinenladungen. In Sichtweite zum Büro des Bundeskanzlers hängt er an die Leine: die Bettwäsche seiner Oma, die Joop-Hemden aus Börsenzeiten, die weißen Hemden mit der schwarzen Rose von Papa, alte Punk- und Urlaubs-T-Shirts, ein Bundeswehrunterhemd, Unterhosen von Calvin Klein und No-Name-Firmen sowie Handtücher.

Hier, an diesem Ort, zu den Wäscheklammern zu greifen, empfindet er „als Privileg“. Nur: „Es könnten mehr Klammern sein.“ Und dafür, dass nicht alles richtig sauber wurde, entschädigt ihn „das schöne Ambiente“. Richtig „weißwaschen“ würde er gerne einige Kapitel seines Lebens: „das Verhältnis zu diversen Leuten und nicht mehr so mit der Kohle rumschmeißen“. Doch bis eine Maschine dafür erfunden ist, freut er sich über das gesparte Geld. „Dafür kaufe ich Kippen.“ Der Schlossplatz als Ort guter Vorsätze.

Und voller Motive: Sowohl Touristen, die den Staub durchzechter Nächte wegwaschen wollen als auch Berliner, die die Kombination Waschen/Schleudern/Reden suchen, finden den Weg zu „Weiss 104“. Natürlich gibt es, wie immer, auch hier Spielverderber. In diesem Fall sind es Passanten, selbst ernannte „Saubermänner“, die den Künstlern „Nestbeschmutzung“ oder „Verletzung der nationalen Ehre“ vorwerfen.

Oder Betreiber von Waschsalons. Einer war besonders sauer. „Zwei Stunden lang hat er sich beschwert“, erzählt Victor Kégli. „Der war total pampig.“ Das großzügige Angebot, Werbung für seinen Waschsalon zu hinterlassen, lehnte er ab. Stattdessen kündigte er rechtliche Schritte an. Das Beste daran: Alle anwesenden Wäscher haben schallend gelacht.