„Stop free trade rolling“

Die „Financial Crimes“ sieht zwar aus wie die „Financial Times“, beleuchtet aber Hintergründe und Alternativen zur Politik von Währungsfonds und Weltbank. Ziele sind ein globales Netzwerk gegen den Kapitalismus und die Stärkung alternativer Medien

von STEFFEN GRIMBERG

London, vergangenen Freitag: Vor dem Redaktionsgebäude der Financial Times wird lachsrosa Papier verteilt. Doch mit der Schlagzeile „World Bank terrorism – more evidence“ war es dann doch wohl nicht das Zentralorgan der Wirtschaftselite.

Das brachte zum Wochenende zwar auch eine Sondernummer zur IWF-Tagung in Prag, gratis gab es aber nur die Financial Crimes. „Glaubt nicht an den Hype, umgeht die Konzernmedien und bildet euch eure eigene Meinung“, fordert das Blatt der Londoner Direct-Action-Initiative „Reclaim the Streets“. Auch wenn die Zeitung ziemlich nach FT aussieht, mit Weltmarktdaten und Berichten von Ölpreis bis Olympia: Der freie Markt bekommt schlechte Noten.

Auf insgesamt 16 Seiten (und im Internet unter www.financialcrimes.com) berichtet die Financial Crimes über die Blockade des World Economic Forum im Crown Casino von Melbourne („Casino Capitalists Capitulate“), Widerstand gegen genmanipulierte Lebensmittel und die verschäften Terrorismusgesetze in Großbritannien („Dauerhafter Ausnahmezustand erklärt – und keiner hat’s bemerkt“). „Climate to be privatised in November“, prophezeit die FC in einer Vorschau zur UN-Klimakonferenz im November und liefert eine Chronik der verpassten Chancen, gegen die Klimakatastrophe vorzugehen.

Die Beiträge, Fakten und Daten, betont das Editorial, sind echt. Zitiert wird ausgiebig, vor allem aus der internationalen Wirtschaftspresse – allen voran der Financial Times.

Dabei ist die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner fair, die Überschriften deutlich („Wirtschafts-Schurken marschieren auf Prag“) und das professionelle Niveau der FC erstaunlich hoch: Schließlich ist sie nicht in einer High-Tech-Redaktion, sondern in einer Dreizimmerwohnung im Norden Londons entstanden, wie die Macher auf ihrer Website (www.reclaimthestreets.net) unumwunden zugeben, und keiner von ihnen hat einen journalistischen Hintergrund.

„Spoof“-Zeitungen wie die Financial Crimes haben in Großbritannien in den letzten Jahren Konjunktur: Als 1997 der konservative Evening Standard, Londons einzige lokale Tageszeitung, den Streik der Dockarbeiter in Liverpool aus der Berichterstattung ausblendete, erschien ein täuschend echter Evading Standard und unterstützte vehement den Arbeiter-Protest. Und weil die Polizei den „Spoof“ beschlagnahmte und die Redaktion gesetzeswidrig festsetzte, wurde aus dem Schmerzensgeld gleich die nächst Ausgabe bezahlt.

„Es gibt viele Gründe, warum wir diese Zeitungen machen“, heißt es im „Reclaim the Streets“-Editorial. „Wir wollen dazu beitragen, dass es mehr an alternativen, konzernunabhängigen Medien gibt. Wir wollen die andere Seite der aktuellen Debatten präsentieren, Zusammenhänge aufzeigen und über das informieren, was es aus den unterschiedlichsten Gründen nicht in die etablierten Medien schafft.“

Gerade im Zusammenhang mit der IWF-Tagung in Prag will die FC auch Netzwerkarbeit leisten: Eine ganze Seite verzeichnet europaweit unabhängige Medien und Informationsdienste.

Bleibt nur die Frage: Wann kommt endlich die Financial Crimes Deutschland?