Marokko: Marsch der Gefangenen

Opfer der Diktatur Hassans II. zogen zum Wüstenknast von Tazmamart. Fernsehteam wird festgehalten

MADRID taz ■ „Dort das Gefängnis, hier die Opfer der Repression – aber wo ist die Wahrheit?“, riefen mehrere hundert Menschen, die sich am vergangenen Wochenende vor dem berüchtigtsten der zahlreichen geheimen Gefangenenlager aus der Ära des verstorbenen Königs Hassan II. versammelt hatten. Erstmals waren Menschen in das abgelegene Tazmamart im Atlasgebirge gekommen, 450 Kilometer von der Hauptstadt Rabat entfernt. Die meisten Insassen dieser Haftanstalt, die auf internationalen Druck hin 1991 geschlossen wurde, waren Angehörige der marokkanischen Armee, die an zwei erfolglosen Putschversuchen gegen Hassan II. beteiligt waren. 30 von ihnen kamen in Tazmamart ums Leben.

Etwas mehr als ein Jahr nach dem Tod von Hassan II. beginnt sich Marokko seiner dunklen Vergangenheit zu stellen. Im vergangenen Herbst entstand das „Forum für die Wahrheit und die Gerechtigkeit“, das den Marsch organisierte. Mittlerweile gehören ihm über 600 Menschen an. Sie sind selbst Opfer der Repression gewesen, sind Angehörige von Verschwundenen oder von zu Tode Gefolterten. Amnesty international spricht von 900 Menschen, die während der 38 Jahre währenden Herrschaft Hassans II. verschwunden sind.

Das politische Klima hat sich vor allem seit der Entlassung des langjährigen Innenminsters Driss Basri merklich verändert, der unter Hassan II. der starke Mann des Regimes war. Die marokkanische Presse berichtet ausführlich über frühere Menschenrechtsverletzungen. Im Exil lebenden Regimekritiker sind mittlerweile zurückgekehrt. In Casablanca kümmert sich ein neues Rehabilitationszentrum um Folteropfer. Und König Mohammed VI. beauftragte die Regierung, die Opfer der „bleiernen Jahre“ finanziell zu entschädigen. Acht Millionen Mark wurden dazu bereitgestellt. Knapp 6.000 Anträge sind bisher eingegangen.

„Wir wollen, dass dieses Gefängnis der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, als Beweis, dass Marokko sich geändert hat und fortan die Menschenrechte respektiert“, fordert Midhat Bourequate, einer der Teilnehmer des Marsches nach Tazmamart. Er war 17 Jahre verschwunden und gehört zu denen, die den Horror des Wüstenknastes überlebten. Die Teilnehmer des Marsches durften am Wochenende das Gelände des ehemaligen Gefangenlagers allerdings nicht betreten. So legten sie davor Blumen nieder.

Die Armee, der das Gefängnis von Tazmamart einst unterstand, scheint mit der neuen Politik in Rabat nicht einverstanden. Das musste das Fensehteam von France 3 erfahren. Den drei Journalisten wurden nach Filmaufnahmen des Marsches die Pässe entzogen. Seither sitzen sie in ihrem Hotelzimmer fest. Sie hätten „von einem verbotenen Ort aus militärische Einrichtungen“ gefilmt, wird ihnen vorgeworfen. REINER WANDLER