Bremer Enkel der SS auf großer Fahrt

■ Der Journalist Michael Weisfeld reiste mit Rechtsradikalen zu den Kultstätten der Neo-Nazis / Diskussion in Bremerhaven

„Herr Möller, Sie wissen, dass Himmler hier seine schrecklichen Taten geplant hat?“ Ingo Möller: “Er war ja nur ein paar Mal hier. Und außerdem, waren das überhaupt schreckliche Taten?“

Möller, der Befragte, war Mitglied der vor zwei Monaten verbotenen Skin-Organisation „Blood and Honour“. Der Interviewer aber ist kein Journalist, er ist selbst ein Rechtradikaler. Michael Kurzeja, Kreischef der NPD, der seinem Freund im Angesicht der Wewelsburg die Fragen stellt, spielt mit dem journalistischen Interesse am Neonazitum.

Die Szene gehört zu den beeindruckendsten des Radio-Features „Enkel der SS“, das der Journalist Michael Weisfeld gestern auf Einladung der Landeszentrale für politische Bildung in Bremerhaven vorstellte. Er wählte allerdings gerade nicht die von Kurzeja verballhornte Form der Anklage, des moralisch unangreifbaren „Wie-können-sie-nur-sowas-sagen?“. Mehrere Tage war der ehemalige taz-Redakteur und freie Radiojournalist mit Möller, dessen Freundin und Kurzeja unterwegs. Er hat mit ihnen Auschwitz besucht und die Kultstätten der Neonazis: Die ehemalige SS-Ordensburg Wewelsburg und das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald. Weisfeld ist überzeugt davon, „dass man an die Leute ran muss“ und nicht nur aus sicherer Distanz über sie berichten sollte. Also lauscht er ihnen mit dem Mikrofon alles ab: Ihre Musik und ihre Ansichten. Vielleicht nicht ganz so, als wären sie unbeobachtet, aber doch ohne die üblichen Inszenierungen, die man aus dem Fernsehen kennt.

Dabei wirbt das Feature nicht um Verständnis. Der Auschwitz-Besuch ist ein Lehrstück in Sachen Brutalität und Härte: Mit nationalsozialistischer Marschmusik wappnen sich die knapp über 20-Jährigen gegen das, was sie im ehemaligen Vernichtungslager erwartet. Kindisch quietschend steigen sie aus dem Auto, Jim Knopfs „Wir sind da, wir sind da“ auf den Lippen. „Ein Besuch in Auschwitz ist für die Neonazis so etwas wie eine Mutprobe“, weiß Michael Weisfeld. Hart bleiben, lautet der Auftrag. Die Stimmen werden gepreßter angesichts der Berge von Schuhen und Menschenhaar, die im Lager ausgestellt sind. „Die wollen doch nur auf die Tränendrüse drücken“, sagt Kurzeja, der ohnehin am meisten spricht. Er ist es auch, der seinen Freund an den Gleisen anherrscht: „Mach mal ein Foto von mir vor den Waggons.“ Möller will nicht. „Ich will Fotos, Mann.“ Jetzt überschlägt sich Kurzejas Stimme fast.

Ganz anders, als die beiden auf der Wewelsburg der ,Schwarzen Sonne', einem der wichtigsten Symbole der Nazimythen ansichtig werden. „So weit sind wir noch nicht“, stammelt Möller, und „Ich hör' nur noch Sieg Heil, Sieg Heil. Mann, wenn hier alles voll ist und alle rufen Sieg Heil ...“.Dann träumen sie von der Machtübernahme.

Man weiß das alles, aber man hat es so noch nicht gehört. Das Fea-ture ist auf jeden Fall auch ein Psychogramm. Nicht immer nämlich sind die Aussagen der Rechtsradikalen so monströs. Kurzeja erzählt auch von seiner Schwester, die ihren Kindern so einiges durchgehen lasse. „Da wird nicht nur geprügelt, so wie bei uns früher.“

Karin Schwiebert-Draeger, Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung in Bremerhaven, fragt sich am Ende der Veranstaltung, ob ein paar dürre Worte – Springersteifel, Gewaltbereitschaft etc. – ausreichen, um das Bild „des Rechtsradikalen“ zu füllen. Mit den anderen Besuchern, zumeist ältere Bremerhavener, Lehrer, auch eine Handvoll Menschen ausländischer Herkunft, lauschte sie Weisfelds Ausführungen mit großer Aufmerksamkeit. Auf den Standard-Vorwurf an Features wie diese, es räume den Neonazis zu viel unkommentierten Platz ein, wartete man an diesem Abend vergebens. Michael Weisfeld, so spürte man deutlich, sollte ihnen helfen, diejenigen kennzulernen, die es in ihrer Stadt und in ihren Schulen gibt. Fast 6 Prozent der Stimmen erhielt die DVU bei der letzten Wahl in der Seestadt und die Dunkelziffer, das vermutet mindestens Frau Schwiebert-Draeger, ist noch um Einiges größer.

hey