Kampf gegen populäre Mythen

Die Neonazis sind längst keine Minderheit mehr, sondern Teil des kulturellen Mainstreams – meint Burkhard Schröder. In seinem Buch „Nazis sind Pop“ schreibt er über die Orientierungslosigkeit im Umgang mit dem Rechtsextremismus

Es ist schon paradox: Burkhard Schröder recherchiert seit Jahren über die Bedrohung durch den Rechtsextremismus und hat zahlreiche Bücher zu diesem Thema geschrieben – und jetzt zeigt das Bundeskriminalamt ausgerechnet ihn an, weil er „Kenzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen“ verwende.

Der Anlass: Auf seiner Homepage hat Schröder vielfältige Links zu rechtsradikalen Organisationen und Medien geschaltet. Da es jedoch gesetzlich verboten ist, Hakenkreuze in Deutschland zu zeigen, sieht die Staatsanwaltschaft in den Links einen Rechtsbruch und will dem Autor nun den Prozess machen.

Schröder wiederum kontert zu Recht: Wer Links zu Nazis verbiete, messe deren Inhalten eine viel zu hohe Bedeutung zu und signalisiere bloß: Das ist gefährlich! Von solchen und anderen „populären Mythen“ handelt Schröders neuestes Buch. In „Nazis sind Pop“ arbeitet er sich rigiros an den gängigen Vorurteilen derer ab, die sich für den Diskurs in Sachen Rechtsextremismus zuständig fühlen. Wer Neonazis wegen ihres Bürstenhaarschnitts und der schweren Stiefel für Skinheads hält, rutscht ebenso auf der glatten Folie der Vorurteile aus wie alle, die meinen, Lichtdome sprächen die deutsche Seele an und seien weltanschaulich neutral. Manchmal mischt sich auch ein gut gemeintes Vorurteil in die Diskussion, etwa der Glaube, die Flagge, das Gesicht oder den gestreckten Mittelfinger zu zeigen, nütze irgendetwas. „Trotz des sommerlichen Wortschwalls zum Thema hat kaum jemand begriffen, worum es geht“, wettert Schröder.

Er hat darüber nachgedacht, wie Neonazis mit der Gesellschaft verwoben sind und ist – vereinfacht – zu dem Schluss gekommen: Nicht der Neonazi ist nationalistisch fixiert, sondern die Gesellschaft, in der er lebt. Wie ehedem distanziert sich die deutsche Kerngesellschaft von allen, die augenscheinlich nicht hineinpassen. „Dieser Konsens prägt den gesellschaftlichen Diskurs über die Probleme, die sich im Gefolge von Migration und Ethnisierung sozialer Konflikte ergeben. Deutschland ist immer noch unfähig, sich selbst auf den Begriff zu bringen.“

Trotz erleichterten Einbürgerungen gehören etwa türkischstämmige Deutsche nicht zum „Volk“, haben Afrodeutsche nichts zu sagen. Und genau das ist für Schröder das Problem.

Nicht selten gefällt sich der Autor in der Rolle des Provokateurs. Dann scheut er auch nicht die grobe Moralkeule, verfällt selbst auch mal in Klischees, etwa wenn er von „Gutmenschen“ spricht und Rassisten politisch gleichermaßen rechts wie links verortet. Die Linken greift er an, wenn sie seiner Meinung nach Ausländer „als mangelhaftes Wesen sehen mit defizitärer kultureller Identität, dem man helfen kann, um das eigene Selbstgefühl zu stärken – ein starkes Motiv für einige Initiativen, die sich scheinbar ‚für‘ Ausländer engagieren“. Auch wenn Schröder oft zugespitzt argumentiert, es sind diese Passagen, die das Buch lesenswert machen. Ohne sie wäre es lediglich eine von vielen Publikation in der endlosen Veröffentlichungsreihe Wir-gegen-rechts.

Mit „Nazis sind Pop“ hat Schröder sein sechstes Buch zum Rechtsextremismus geschrieben. Es ist diesmal keine Nahaufnahen aus dem braunen Hinterland, sondern eine Sammlung von Essays, die sich dem Thema in sieben Kapiteln nähert. Der Autor hofft so, die „richtigen Fragen zu stellen“: Warum die NPD verbieten, warum selbst ernannte Neonaziführer dämonisieren, oder wozu soll die Aktion „Gesicht zeigen“ dienen?

Und er gibt durchaus Antworten: Die Aktion etwa ist für ihn eine banale Attitüde. Die Republik produziere einen moralischen Überdruck, der irgendwann immun mache. NPD-Verbot und Internetsperre für Neonazis seien politisch ohne Gebrauchswert, bestenfalls als Form einer „rituellen Ausgrenzung“ tauglich. Und Moral beeinflusse doch lediglich denjenigen, der die Werte ohnehin teile.

Das NPD-Verbot deutet er sogar als Verstoß gegen die Menschenrechte. Und die „gelten für alle, auch für Verfassungsfeinde und diejenigen, die die Demokratie abschaffen wollen“. Schröder erinnert daran, dass die Praxis des „Radikalenerlasses“ vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für rechtswidrig erklärt wurde.

Das Verdienst seines Buches besteht darin, dass es den Bogen spannt von der staatlichen Orientierungslosigkeit im Umgang mit den Neonazis zu den tiefen Spuren, die sie in der Alltagskultur ziehen. Neonazis beschränken sich nicht auf ein bestimmtes Milieu. Den Rassisten mit Glatze und Springerstiefeln rechnet Schröder einer aussterbenden Spezies zu. Rechte Kultur ist mehr als eine optische Erscheinung. Sie ist ein Konglomerat aus Musik, Mode, Treffpunkten, gemeinsamen Aktionen, angereichert mit rassistischen und nationalistischen Ideologiefragmemten. Alle Probleme, ob in der Schule, am Arbeitsplatz oder in der Gesellschaft, werden aus einer ethnisch-nationalen Perpektive betrachtet. Differenzierte Wahrnehmungen werden zunehmend abgewehrt. Nicht nur Jugendliche bedienen sich aus dem Angebot der Stereotypen und fixen Formeln. Auch Politiker, die sich mühen, immer auf der richtigen Seite zu stehen, versorgen sich gerne mit billigen Argumenten. Was Neonazis sich als Glaubensbekenntnis auf den Ärmel nähen, gibt auch der Generalsekretär der CDU unumwunden zu: Ich bin stolz ein Deutscher zu sein.

Der klassische Nazi ist nur noch Karikatur. Der neue Nazi bald fällt nicht mehr auf. Vielleicht gelingt es den Rechten im Osten der Republik, die soziale Frage zu stellen, mutmaßt Schröder. Dort verkörperen sie für die Jungwähler „die Kapitalismus-Kritik, sie lösen den Gefühlsstau gegen das System auf“. Im Rest der Republik kommen sie damit nicht an. Trotzdem ist es zwingend, die politische Aufmerksamkeit auf sie zu richten. Schröders Buch schärft den Blick dafür. ANNETTE ROGALLA

Burkhard Schröder: „Nazis sind Pop“, Espresso Verlag, Berlin 2000, 159 Seiten, 24,90 DM