„Japan wird bald explodieren“

In seinem neuen Film „Brother“ exportiert Takeshi Kitano die Gewalt der japanischen Yakuza nach Amerika. Der Autorenfilmer, Showmaster und Kolumnist im Gespräch über Spielen und Sterben, Yamamoto-Anzüge, Gangster und abgeschnittene Finger

taz: In Ihrem neuen Film verschlägt es einen japanischen Gangster in die USA, wo er Karriere als Bandenboss macht. Er spricht kein Wort Englisch und drückt sich vor allem durch eruptive Gewaltausbrüche aus. In all Ihren Filmen geht es um die Formen des Tötens und des Sterbens. Was genau interessiert Sie an der Gewalt?

Takeshi Kitano: Sie ist Ausdruck des Status quo einer Zivilisation. Eine Art Barometer, auch und gerade auf der Leinwand. Wenn man einen Film über Gewalt dreht, muss man sich der Natur der Gewalt, die man darstellt, genau bewusst sein. Und diejenigen, die sie ausüben, müssen wissen, dass sie in irgendeiner Form auf sie zurückfallen wird. Die Yakuza zum Beispiel zeichnen sich durch eine Tendenz zum Selbstopfer aus. Auch ihre Gewalt ist von dieser Bereitschaft geprägt, sie wird dadurch unbedingt, kompromisslos und fatalistisch. Alles eine Frage der Sozialisation.

Aus Japan kommen derzeit im Independent- und im Mainstream-Bereich ultrabrutale Filme. Wenn Sie mit Ihrer Barometerthese richtig liegen, dann kann es um die japanische Gesellschaft zurzeit nicht allzu gut bestellt sein.

Ich glaube, Japan wird bald explodieren.

Das heißt ...

... dass die japanische Gesellschaft die Gewalt nicht mehr lange unter Kontrolle halten kann. Die Japaner sind verrückt: Wir sind zu technisiert, zu reich, zu archaisch. Angeblich zivilisierte Menschen, die einerseits auf globalen High-Tech-Märkten Milliarden verschieben und sich andererseits Finger abhacken oder die Eingeweide aufschneiden, das kann nicht lange gut gehen.

Als Superstar in der japanischen Unterhaltungsindustrie können Sie sich allerdings nicht allzusehr von der Yakuza distanzieren, oder?

Das ganze Business ist von der Yakuza unterwandert. Die Gangster halten sich für Seelenverwandte der Showmaster und Künstler. Ihnen gehören Sender, Produktionsbeteiligungen, sie stellen Agenten und finanzieren ganze Shows.

Hatten Sie schon mal konkreter mit denen zu tun?

Einmal haben meine Leute einen alten Yakuza-Boss beleidigt und sogar verprügelt. Daraufhin wurde mir ein Messer vor die Tür gelegt, ich sollte mir einen Finger abschneiden. Ich konnte dann aber glaubhaft machen, dass ich mit einem halben Finger nie wieder im japanischen Fernsehen auftreten könnte. Wir konnten uns dann anders einigen.

Folgt man Ihrem neuen Film, dann ist die japanische Gewalt ganz im Gegensatz zu anderen Exportprodukten international nicht konkurrenzfähig. Sobald in „Brother“ die Mafia ins Spiel kommt, sagt der von Ihnen gespielte Held Yamamoto: „Wir werden alle sterben.“ Warum ist das so klar?

Auch wenn meine Filmfigur Yamamoto in den Staaten seine eigene Gang gründet, so weiß er doch, dass er damit einen Krieg anfängt, den er niemals gewinnen kann. Nur durch Glück kann seine Gang überhaupt so lange durchhalten. Mit der Mafia tritt ihm eine wesentlich anpassungsfähigere und an die Moderne angepasste Form der Gewalt entgegen. Eigentlich hatte ich mit meinem Film eine Parodie des japanischen Angriffs auf Pearl Harbour im Sinn. Die Japaner können vielleicht die erste Schlacht gewinnen, aber sie verlieren den Krieg. Daher tragen auch alle Yakuza in meinem Film die Namen von japanischen Weltkriegsgenerälen: Yamamoto, Kato, Shirase usw. Aber leider hat noch nicht mal das japanische Publikum diese Anspielungen bemerkt.

Bisher haben Sie nur in Japan gearbeitet, wie war es eigentlich, zum ersten Mal in den Staaten zu arbeiten? Formal hat sich anscheinend nichts geändert.

Ich habe darauf geachtet, dass die Einstellungen so streng komponiert wurden wie immer. Aber die amerikanische Art des Drehens hat mich sehr genervt. Die Leute denken dort sehr hierarchisch. In Japan übernimmt jeder viele verschiedene Aufgaben, dadurch entsteht ein Team-Gefühl. In den USA bekommt jedes Crew-Mitglied seine exakte Aufgabe zugeteilt, von der nicht einen Deut abgewichen wird. Wenn diese Aufgabe erledigt ist, hängen die Leute auf dem Set herum und verbreiten eine merkwürdig träge Atmosphäre. Aber man muss auch sehen, dass auf diese Weise dreimal so viele Leute beschäftigt sind. Vielleicht ist das bei denen da drüben eine Art, die Arbeitslosigkeit zu vermindern.

Was seine stoische Haltung betrifft, unterscheidet sich der Yakuza in „Brother“ nicht von den abgebrühten Cops oder Gangstern, die sie in Ihren früheren Filmen gespielt haben. Diesen Typen geht es nicht um Geld, auch nicht um Macht oder Anerkennung. Wofür töten sie eigentlich?

Ich glaube, sie alle suchen die richtige Zeit und den richtigen Ort, um zu sterben. Sie funktionieren im Leben eigentlich nur, solange sie in feste Strukturen eingebunden sind. Einem Yakuza, der wie Yamamoto aus der Gemeinschaft der Yakuza verstoßen wurde, bleibt ohnehin nichts anderes übrig als der Tod. Ich habe das Gefühl, dass durch solche äußeren Veränderungen eine tiefe Todesverfallenheit zutage tritt, die in den Figuren von Anfang an angelegt ist.

Hat der Name Yamamoto auch eine Bedeutung jenseits des gleichnamigen Weltkriegsgenerals? Immerhin tragen alle Gangster Ihres Films Yamamoto-Anzüge.

Eigentlich ist „Brother“ Ausdruck meiner ganz persönlichen Modeutopie. Ich bin mit Yoshi Yamamoto seit einiger Zeit befreundet. In Wirklichkeit tragen japanische Yakuza leider nur Versace- oder Armani-Anzüge. Ich habe sie zum ersten Mal gut aussehen lassen, denn ich finde, Yamamoto-Anzüge sind die ideale Kleidung für Bad Boys.

Die Bad Boys Ihrer Filme finden sich immer wieder zum Spielen zusammen, als eine Art Aufschub oder Zwischenzeit. Je unbeschwerter das Spiel, desto näher die Katastrophe.

Alle meine Helden gleiten auf unausweichliche Weise dem Tod entgegen. Diese Spannung und Anspannung macht sich in jeder einzelnen Einstellung bemerkbar. Das Spiel hat da eine wichtige Gegenfunktion. Es gleicht aus, es ist der eigentliche Gegensatz des Todes und der Todesgeweihtheit. Dieses Element der Balance und des Gegensatzes ist ein uralter Bestandteil der japanischen Philosophie. Wenn Sie kochen, gehört bei einem japanischen Essen immer auch etwas Zucker in ein salziges Gericht. Diese Funktion hat auch das Spiel. Aber am Ende des Spiels steht immer der Tod.

Am ausgiebigsten wird in Ihren Filmen Baseball gespielt, schwingt da eine Sehnsucht nach Ihrer Kindheit mit?

Ja, denn meine Mutter hat mir das Spielen immer verboten. Daher konnte ich immer nur heimlich Baseball spielen. Also habe ich den Handschuh nach jedem Spiel in einer Tüte in unserem Garten vergraben. Aber eines Tages waren dann meine Schulbücher in der Tüte.

Sie haben in Japan mehrere Fernsehshows, Sie schreiben Kolumnen und Sie drehen Ihre Filme. In welchem Verhältnis stehen diese unterschiedlichen medialen Auftritte zueinander?

Die meisten japanischen Angestellten gehen nach der Arbeit noch schnell ein Bier trinken. Und diesem Bier entspricht sozusagen meine Fernsehtätigkeit. In den Kolumnen verarbeite ich meine eigenen Alltagseindrücke, vor allem meine Unzufriedenheit mit der hochtechnisierten japanischen Moderne, mit der Tamagochi-Kultur, der Korruption, der albernen Hipness usw. Filmemachen ist für mich das Eigentliche, das Ernste, das Schöne. Jeder Film ist ein Spielzeug, das ich mir nicht selbst kaufen muss, sondern von meinem Produzenten finanziert kriege. Die ultimative Form des Spielzeugs wäre, wenn man sich selbst zu seinem liebsten Spielzeug machen könnte. Aber diesen Bewusstseinsgrad habe ich leider noch nicht erreicht. Das wäre das ultimative Glück. Immerhin, ich war zwei Mal in meinem Leben nahe dran.

Wann?

Einmal bei einem Motorradunfall und dann bei dem Vorfall im Verlagshaus.

Was ist passiert?

Bei dem Motorradunfall wäre ich fast physisch verschwunden und bei der Verlagshaus-Sache als Person. Es gibt da in Japan ein sehr aggressives Boulevard-Magazin, das mich und meine Familie permanent terrorisiert hat. Da bin ich ausgeflippt. Ich habe alle meine Fernsehassistenten, Mitarbeiter und Comedy-Schüler zusammengerufen und bin mit ihnen zu dieser Zeitung gegangen, um sie anzugreifen. Diese Leute haben eine Grenze überschritten, also wollte ich ihnen eine Lehre erteilen. Es gab, na ja, einen Zusammenstoß. Danach wurde ich aus allen meinen Fernsehshows gefeuert. Ich hatte das Gefühl, dass das Ganze den Tod des Entertainers Takeshi bedeutete.

Wollen Sie damit sagen, dass man nur im Tod mit sich eins sein kann?

Als ich ein Kind war, hatte ich immer das Gefühl, dass es irgendwo über mir ein Wesen gibt, das auf diese Marionette namens Takeshi Kitano hinunterschaut. Wenn der Lehrer mich manchmal hart verprügelt hat, hatte ich das Gefühl, selbst von oben auf mich hinunter zu blicken. Vielleicht leide ich am Multiple-Personality-Syndrom, aber ich hatte seit jeher das Gefühl, mich zu beobachten. Mich interessiert einfach, wohin dieser Typ geht. Und je näher ich dem Tod war, desto näher fühlte ich mich diesem Mann. Oder diesem Spielzeug, das meinen Namen trägt.

INTERVIEW: KATJA NICODEMUS