68er Vergangenheitsbewältigung
: „Wie weit flog die Tomate?“

betr: „Verspätete Racheengel“ von C. Semler, taz vom 11. 1. 01, „Die peinliche Vergangenheit“ von B. Gaus, taz vom 15. 1. 01

Bettina Gaus' Kommentar zu den 68ern ist allemal antiautoritärer als der von Christian Semler, was mich gerade bei ihm erstaunt. Denn ich habe ihn schon qualifizierter erlebt.

Tatsächlich ist die Vergangenheitspolitik mancher 68er heute noch ärger als ihre damalige Praxis.

Deutsch-phänomenal ist die Akzeptanz von Joschka Fischer vom Steine- zum Bombenwerfer und dieser Aufstieg das eigentliche Thema, worüber sich die Neue Mitte „nobel“ ausschweigt. Manche waren schon als Linke einfach rechte Machos und diskreditieren heute 68 als erweiterte Kampfzone für männliche „Putztruppen“. Ganz vergessen wird in der ministrablen Debatte heute, dass genau deswegen die Feministinnen begannen ihre Zustimmung zu solch einer Emanzipation – Mann gegen Mann – zu verweigern. Dass sie den zivilisatorischen Fortschritt in der deutschen Geschichte politisch und privat! gegen solche Dumpfmannen durchzusetzen halfen, machen sie viel zu wenig geltend.

Mein Versuch 30 Jahre später, also 1998, in der Gala der Reflexion der 68erinnen: WIE WEIT FLOG DIE TOMATE? darauf hinzuweisen, war und ist eine Fundgrube (siehe gleichnamige Dokumentation der Heinrich- Böll-Stiftung) vor allem auch geschlechterdemokratischer Aufarbeitung. HALINA BENDKOWSKI, Berlin

Altern – was ist das? Schritt für Schritt zurück in die Alltagsmühle, die Transformation des Aufbegehrens in die des Begehrens, des Konsumenten. Die permanente Entwertung von Inhalten durch die Form, die Repräsentanz. Radikaldemokratischen Fortschritt gibt’s nicht durch den „langen Marsch durch die Institutionen“ oder einer farblosen Regierung (weder rot noch grün). Die Repräsentanz flaniert in der allgemeinen Wertlosigkeit und organisiert permanent ihren eignen Mehrwert. Geschichten von früher sind da nur noch Belastungen, die an Verantwortung erinnern könnten, aber Profit und Klassifizierung töten das ab. So wird’s möglich: Frieden durch Krieg, und ihr regt euch über die RAF auf oder das „Steine und Mollis sind Argumente“.

Wir haben nicht nur der Elterngeneration den Krieg erklärt, sondern den allgemeinen, internationalen gesellschaftlichen Verhältnissen, viele machten es – zur Entschärfung – zum Generationenkonflikt, und so passierte wieder das Unmögliche, sie kehrten zurück (nach der Amnestie von 20.000) zu den Eltern, den alten Berufen und Klassenunterschieden. Der Zusammenbruch des so genannten realen Sozialismus bewirkte nur noch, dass sie s.k.a. (sozial-kommunistisch-anarchistisch) aus ihrem Wortschatz strichen. Die Ansätze unserer Diskussionen (Schwabinger Krawalle, Provos, sds) gingen davon aus, dass alte Kader nicht das sind, was sie vorgeben zu sein, und dass wir uns autonom organisieren müssen (Spontiguerilla), dass die Emanzipation der Individuen wichtiger sei als Fraktionszwang oder Konformismus wie Hierarchie in den Parteien. Die K-itis wie die Fachidiotie in den BIs warf die Bewegung zurück. Erst die zweite Bewegung (Punks, Hausbesetzungen, Anti-AKW...) wurde die beste ABM, und einige von ihnen sieht man noch auf Demos.

Nehmen wir das Gute an (dass die Inhalte von damals wieder wert werden, existenziell, revolutionär wie eh und je), ist es notwendig, die repräsentative Demokratie abzuschaffen durch BIs, die gesamtgesellschaftlich arbeiten. Allgemeine Politisierung, nicht spezielle. Begreifen, was das heißt: postnational ... Sinn statt Unsinn. Nur wenn jeder Einzelne sich politischer begreift als die Politik, ist Altern kein Regress und Opposition keine Frage der Generationen. PETER STAIMMER, Berlin