Krawallorientiert

ARD und ZDF versagen bei ihrer Berichterstattung über das World Economic Forum in Davos. Der Proporz regiert. Anstalts-Insider sprechen von Zensur

von GITTA DÜPERTHAL

Nicht „Tagesschau“, nicht „Heute Journal“: Davon, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen in den Nachrichtensendungen seinem Informationsauftrag nachkommt, kann nach Davos keine Rede mehr sein. Statt von journalistischer Unabhängigkeit war die Berichterstattung über das World Economic Forum (WEF) ganz deutlich vom Proporzdenken geprägt

Bereits im Vorfeld des von Klaus Schwab organisierten Treffens der Wirtschaftshaie und Politik-Eliten, das dieses Jahr mit großzügigem Gestus einige NGOs (Nichtregierungsorganisationen) integrierte, machte sich Unmut in den eigenen Reihen der Fernsehmacher breit. Ein leises, aber unüberhörbares Murren, kein lautes Aufbegehren. Denn ein solches kann sich in den steilen Hierarchien der Sendeanstalten wohl niemand mehr leisten, zu groß ist die Angst um den Job. Dennoch: Alles habe sich für „erwartete Gewalttätigkeiten“ von Demonstranten in Davos aufgerüstet, beklagten Fernsehjournalisten, die aus benannten Gründen nicht zitiert werden möchten.

Gleichzeitig habe bereits von Anfang an die Entscheidung festgestanden, über das am Donnerstag parallel zum WEF letzte Woche beginnende Weltsozialforum in Porto Alegre der Globalisierungskritiker, wo die intellektuelle Reflektion stattfindet, überhaupt nicht zu berichten.

Keine Kostenfrage

Dies sei Zensur, so ein mit unterdrückter Wut hervorgestoßener Kommentar. Und: Eine Kostenfrage sei es ganz sicher nicht, sowohl das ZDF als auch die ARD verfügen über Studios unmittelbar in Nähe des Veranstaltungsorts. Es handele sich um eine politische Wertung, die Nachrichtenredaktionen nicht gut zu Gesicht stünde.

Angesichts der manipulativen Berichte bei ARD und ZDF konnte der Fernsehzuschauer diese Bedenken in der Tat bestätigt sehen. Die friedlichen Debatten des Weltsozialforums im brasilianischen Porto Alegre mit 4.000 Teilnehmern aus 120 Ländern waren den Fernsehmachern keine Nachricht wert.

Hingegen wurde bereits zum Auftakt der Davoser Veranstaltung in der „Tagesschau“ sensationsheischend die folgende „Tagesthemen“-Berichterstattung anmoderiert: „Aufrüstung in Davos, die Militanten kommen“. Auch das ZDF kündigte via „heute“ an, die Sicherheitskräfte im Nobel-Skiort bereiteten sich auf einen Großeinsatz vor.

Doch am Samstag, als dieser sich dann in seinen brutalen Auswirkungen zeigte, war Davos plötzlich kein Thema mehr. Kein Wort über schikanöse Kontrollen, die eine bis an die Zähne bewaffnete Polizei dort vornahm. Keine Bilder von Wasserwerfern, Tränengas oder den Gummigeschossen, die am Bahnhof von Landquart gegen die wenigen WEF-Kritiker eingesetzt wurden, denen es gelang, bis dorthin vordringen.

Nun konnte man allerdings nicht behaupten, dass sich die ARD trotz Hochgebirge tatsächlich im Tal der Ahnungslosen verschanzt hätte: Samstagnachmittags, zur flauen Sendezeit um 16.30 Uhr, wurde im „Europamagazin“ informativ und detailliert berichtet: Darüber, dass der Schweizer Bundespräsident Moritz Leuenberger, der als liberaler Geist gilt und beim offiziellen Weltwirtschaftsforum die Eröffnungsrede hielt, sich peinlich berührt veranlasst sah, beim Alternativforum „Public eye on Davos“ Selbstverständlichkeiten wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit offiziell garantieren zu müssen. Darüber, wie diese unterdessen draußen vor der Tür mit Polizeigewalt verhindert wurde. Darüber, dass auch ARD-Korrespondent Kurt Stenzel bezweifelte, ob beim Polizeieinsatz die Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde. Doch dummerweise: Alles zur Siesta-Zeit versendet!

Sah man vielleicht mit dem Zweiten besser? – Von wegen. Im „heute-journal“ war ein kurzer Ausschnitt der Züricher Randale zu sehen – ohne Schilderung der Geschehnisse im Vorfeld, versteht sich. Motto: Wir haben es prophezeit, und siehe, es wurde wahr. Allerdings wurden jugendliche Protestbewegungen am Samstag nicht generell ausgegrenzt. In eigener Sache war das Zweite am Ball – und Thomas Gottschalk durfte live verkündigen, dass er nun doch nicht beim Grand Prix Eurovision antritt. Wie war das doch gleich mit der Boulevardisierung beim ZDF?