Karawane der Korrekten

Je komplexer die Probleme, desto einfacher die Schlagworte: Udo Lindenberg, Nina Hagen, die Söhne Mannheims und andere musizierten im Berliner Velodrom gegen rechte Gewalt. Die eigentlichen Stars aber waren die Mitarbeiter der Initiativen, die Opfern von Fremdenfeindlichkeit Beistand bieten

von ARNO FRANK

Nein, die Pressekonferenz zu „Rock gegen rechte Gewalt“ verhieß nichts Gutes. Rechts saß der allüberall sitzende Ben Becker in weißem Anzug und blickdichter Sonnenbrille. Links mümmelte der tapfere Wolfgang Thierse in seinen Vollbart. Dazwischen hatte Wortführer, Initiator und Institution Udo Lindenberg Platz genommen, verborgen hinter Hildegard-Knef-Sonnenbrille und Hut. Sagte Sachen wie „Wir wollen, dass endlich Schluss ist mit der braunen Soße in unserem Land“, sicher, aber wackelte in erster Linie mit seinem Hut. Wie er das machte, dieses beständige Wippen selbst beim Sprechen, gab nicht nur Deutschrock-Exegeten Rätsel auf. Geht ihm angesichts rechtsradikaler Gewalt der Hut hoch? Ohrenwackeln gegen rechts? Nein, „mit dem Stolz einer Feierinstitution“ wollte er durch die Städte reisen „und die Menschen mitreißen“. Zwar nicht unbedingt in Guben, Hoyerswerda oder Solingen, sondern in Dresden, Hamburg und Rostock. Am Samstag nun feierte die Karawane der Korrekten im Berliner Velodrom ihre Abschlussparty.

Ohne Ben Becker. Das „Weichei“ liege mit einer Lungenentzündung im Bett, ließ der kürzlich bei Pro 7 gefeuerte Moderator Ingo Appelt das Publikum wissen. Was freilich der milden Stimmung keinen Abbruch tat: Neben engagierten Gymnasiasten, wehmütigen Altrockern und ein paar störrischen Punks war nämlich auch die „Mitte der Gesellschaft“ gekommen, die augenscheinlich keiner Jugendkultur zuzuordnen ist. Hier wollte und konnte sie, um mit Uwe Johnson zu sprechen, auf „sich selbst als die Besseren“ hinweisen. Nicht durch kämpferische Tanzwut, sondern in der gepflegten Atmosphäre eines Kirchentags. „La Olas“ gab es keine, und die einzige Welle, die hin und wieder durch die Halle rollte, war die von Udo Lindenberg beschworene „braune“. Je komplexer die Probleme, desto einfacher müssen die Schlagworte sein: „Ich liebe Deutschland“, bekannte Nina Hagen, „trotz seines schlechten Geschmacks.“

Da mussten selbst die vereinzelten Glatzen klatschen, die mit Böhse-Onkelz-T-Shirts aufgehakenkreuzt waren – um auf Anfrage zurückzugiften, die Onkelz seien längst nicht mehr rechts, seien nie richtig rechts gewesen.

Die Frage, ob „Rock gegen rechte Gewalt“ der guten Sache nicht einen Bärendienst erweise, stellte sich erst gar nicht: Da gab’s HipHop und Reggae, NDW und Punk, Industrial und ein Panikorchester, das aufspielte, als gelte es, den Rock zu retten – und nicht die letzten Reste von ziviler Courage. Tatsächlich mühte sich vor allem Udo Lindenberg – sichtlich beseelt von seiner weihevollen Mission –, die altbekannten Licks ’n’ Tricks des Rock vor den Karren seiner Frohen Botschaft zu spannen: Das gute Gewissen schunkelte zum Bluesschema, ausdauernde E-Gitarren-Soli gemahnten an bessere Zeiten, und mächtig anschwellende Refrains sollten selbst die letzten Zweifel beseitigen.

Dass Rockmusik im Innersten selbst faschistoide Züge trägt, wurde dabei eher en passant enthüllt. Einer hymnischen Refrainzeile wie „Sie brauchen keinen neuen Führer, das können sie schon ganz alleine“, könnten auch Skinheads insgeheim zustimmen.

Doch wo Musik für die gute Sache instrumentalisiert wird, gerät sie ohnehin zum sozialen Hintergrundgeräusch. Die eigentlichen Stars des Abends, mit frenetischem Beifall bedacht, waren denn auch die Mitarbeiter der zahlreichen Initiativen, die Opfern von Fremdenfeindlichkeit Beistand und Orientierung bieten. Eine davon heißt „Schweißwarzen“, ein Wortspiel aus „weiß“ und „schwarz“. Weil aber Ingo Appelt einen entsprechenden Zuruf aus dem Publikum auf sich münzte, schleuderte er ein zorniges „Arschloch!“ zurück – die Nerven lagen blank. Dabei wurde selbst Wolfgang Thierse ein ähnlich freundlicher Applaus zuteil wie dem Hauptakt, Xavier Naidoos Söhnen Mannheims. Zum Mitsingen freilich war am Ende kaum noch jemand zu bewegen.

„Mein Sohn war in Woodstock“, erzählte Udo Lindenberg noch, „der hat mir davon erzählt. Aber das hier heute war anders.“ Was genau es nun war – eine Soiree der Selbstgewissen oder eine ABM für abgehalfterte Musiker –, spielt keine Rolle. Geld stinkt nicht. Auch nicht, wenn es nach abgestandenem Rock riecht.