Endpunkt einer jahrelangen Entwicklung

Auch einen Monat nach dem Brandanschlag auf den Jüdischen Friedhof in Potsdam tappt die Polizei weiter im Dunkeln. Die Terrorgruppe „Nationale Bewegung“ macht derweil weiter: mit Drohanrufen und Hasspaketen. In der Jüdischen Gemeinde wächst die Sorge vor weiteren Attentaten

von HEIKE KLEFFNER

Seit über einem Monat fahndet in Potsdam eine 18-köpfige Sonderkommission der Polizei nach der rechtsextremistischen „Nationalen Bewegung“. Bislang ohne Erfolg. Nach dem Brandanschlag auf die Trauerhalle des Jüdischen Friedhofs der brandenburgischen Landeshauptstadt Anfang Januar hatte die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen gegen die Gruppierungen an sich gezogen. Dort will man sich zu dem Thema nicht äußern: „aus ermittlungstaktischen Gründen,“ sagt ein Sprecher der Bundesanwaltschaft.

Bei den Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde in Brandenburg wächst allerdings die Verunsicherung. Denn trotz erhöhtem Fahndungsdruck macht die „Nationale Bewegung“ weiter. Am 30. Januar ging im Büro von Brandenburgs Ausländerbeauftragter Almuth Berger eine Drohung gegen eine von der Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltete Lesung mit dem deutsch-türkischen Schauspieler Serdar Somuncu zum Jahrestag der nationalsozialistischen Machtergreifung ein. Im Theaterhaus werde „das Blut derer fließen“, die die Lesung besuchen wollten, drohte die „Nationale Bewegung“. Die Lesung fand trotzdem statt – wenn auch unter Polizeischutz. Wenige Wochen zuvor hatten die Rechtsextremisten ein Schweinefleisch-Paket und ein Schreiben mit Drohungen an die Jüdische Gemeinde in Potsdam geschickt.

„Die Unsicherheit der Gemeindemitglieder wächst mit jeder neuen Drohung weiter,“ sagt Bernd Jansa, Verwaltungsleiter der Jüdischen Gemeinde im Land Brandenburg. Die knapp 800 Mitglieder sind mehrheitlich Zuwanderer aus den GUS-Staaten, haben ohnehin mit Integrationsschwierigkeiten, Arbeitsplatzsuche und Existenzsicherung zu kämpfen. Der „antisemitische Hass und die Akribie, mit der die ‚Nationale Bewegung‘ vorgeht“, steigere die Verunsicherung unter den Zuwanderern, so Jansa. Gleichzeitig ist man in der Gemeinde erleichtert über die Solidaritätsbekundungen – „nicht nur von Politikern, sondern auch aus der Bevölkerung“, wie Jansa betont. Seit einigen Wochen finden beispielsweise montags am ehemaligen Standort der Potsdamer Synagoge öffentliche Kundgebungen gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit statt.

Nach den jüngsten Drohungen der „Nationalen Bewegung“ wurde der Polizeischutz für jüdische Einrichtungen im Land verstärkt. Mittlerweile hat sich die Gruppierung zu mindestens 16 Straftaten in 12 Monaten bekannt – darunter auch zwei Brandanschläge auf türkische Imbisswagen in der Umgebung von Potsdam und Propagandaaktionen mit explizit antisemitischen und nationalsozialistischen Aussagen.

Während die Ermittler im Dunkeln tappen, spekulierte Brandenburgs Innenminister Jörg Schöhnbohm öffentlich über eine „Einzelperson oder Kleinstgruppe“ im Stil der „Antiimperialischen Zellen“. Und mit präventiven Durchsuchungsmaßnahmen in der rechten Skinheadszene wie in der vergangenen Woche versucht das Innenministerium, Aktivismus gegen rechts zu demonstrieren. Zu spät, wie Kritiker meinen. „Die ‚Nationale Bewegung‘ ist der terroristische Endpunkt einer jahrelangen Entwicklung“, meint Ulli Jentsch vom Antifaschistischen Pressearchiv in Berlin. Die Gruppierung könne in der gesamten Region Potsdam auf seit Jahren gewachsene rechtsextreme Strukturen und ein großes subkulturelles Umfeld zurückgreifen. Dessen Existenz sei in der Öffentlichkeit lange Zeit ignoriert worden.

Zu den Exportschlagern der neonazistischen Szene Potsdam gehört beispielsweise seit Mitte der 90er-Jahre die Naziskinband „Proissenheads“, die bis Anfang 1998 in einem städtisch geförderten Jugendclub ihre Proberäume hatte und bei Konzerten der verbotenen Gruppierung „Blood & Honour“ im gesamten Bundesgebiet auftritt. Das Markenzeichen der Proissenheads-Texte sind extremer Antisemitismus, NS-Verherrlichung und gezielte Aufrufe zu Gewalt gegen politische Gegner: So heißt es beispielsweise auf der CD „Jung und Stolz“ in dem Lied „Ermordet vom Dreck“: „In Deiner Hand der Bäsi, die Stiefel wie geleckt, den Schädel kahlgeschoren, Du wartest auf den Dreck (....) Du stehst zu jedem Hieb.“ Und in einem Interview in dem Neonazimagazin „White Supremacy“ beantwortete Uwe Menzel, Sänger von Proissenheads, die Frage nach der nützlichsten Erfindung der Menschheit mit nur einem Wort: „Gaskammern“.

Der Wirkung dieser antisemitischen Hassmusik versucht die Jüdische Gemeinde im Land Brandenburg gemeinsam mit anderen Organisationen mit Informationsveranstaltungen an Schulen entgegenzutreten. Davon werde man sich auch durch Drohungen nicht abhalten lassen, so Jansa. Wichtig sei jetzt jedoch, den kleinen jüdischen Gemeinden im Land nicht nur mit schönen Worten, sondern auch materiell beim Aufbau der Gemeindestrukturen zu helfen.