„Ich spiel da nicht den Schwarzenegger“

Dieter Kosslick ist der neue Leiter der Berlinale. Die Strukturen sollen bleiben, aber er möchte mehr umstrittene Filme in den Wettbewerb nehmen

taz: Wie werden Sie sich auf Ihren neuen Job als Festivalleiter vorbereiten? Wie sehen Ihre nächsten Wochen aus?

Dieter Kosslick: Ich habe jetzt Hausaufgaben zu machen. Ich muss mir ankucken, wer auf der Berlinale wie für was zuständig ist. Natürlich war ich jetzt jeden Tag da und habe einen gewissen Eindruck bekommen. Aber ich muss jetzt auf einen Kern von etwa 20 bis 30 Leuten zugehen und mich darüber informieren, für welche Abläufe jeder zuständig ist. Das wird bis Ende April dauern. Heute Morgen wollte der Chef des amerikanischen Kinoverbandes, Jack Valenti, wissen, ob ich jetzt mal kurz nach Hollywood fliege und mit den Studiobossen rede. Davon bin ich noch ein bisschen entfernt (lacht).

Braucht das Festival eine neue Struktur? Wollen Sie die Einteilung in Wettbewerb, Panorama und Forum beibehalten?

Ja, aber das heißt natürlich, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Wettbewerb, Panorama und Forum verbessern sollte. Was ja vielleicht auch bedeutet, dass die Arbeit mehr Spaß macht. Im Moment bin ich mit dem „Festivallook“, seinem „Design“ noch nicht ganz vertraut. Wenn wir zu einer kleinen, kleinen Neustrukturierung kommen, wäre ich schon ganz froh. Letztlich geht es ja auch nur darum, am Bett rumzuzupfen und das Kissen auszuschlagen. Ich kann ja nicht aus einem normalen Hochbett einen Futon machen (lacht). Und ich habe auch keine Lust, mich mit 30 Leuten anzulegen, um zu beweisen, dass ich der Chef bin. Ich spiel da nicht Schwarzenegger.

Mit welchem Ziel wollen Sie die Zusammenarbeit der Sektionen verstärken?

Dass jede einzelne ein stärkeres Profil bekommt. Das muss sich auch in der Optik, im Design niederschlagen. Inhaltlich könnte es fast das Gleiche sein, und es könnten auch sechshundert Filme bleiben, aber man hätte ein anderes Gefühl dafür. Es geht mir eher um einen Teamgeist, einen Spirit, eine bestimmte Energie.

Apropos 600 Filme. Ist die Klage über zu viele Filme angesichts der gut besuchten Kinos nicht ein reiner Journalistenvorwurf?

Ganz bestimmt. Außerdem sucht sich sowieso jeder seine eigene Berlinale. Die meisten Ausländer finden es einfach supertoll, dass die Berlinale so ein gigantisches Ding ist. Der gemeine Berliner freut sich sowieso an Sean Connery und macht sich keinen großen Kopf darüber, ob auf der Berlinale nun 8.000 Filme laufen oder 8. Und der Taxifahrer, der mich heute gefahren hat und der seine Magisterarbeit über den Vergleich der Filmwirtschaft von Pakistan und Afghanistan geschrieben hat, der hatte sich auch schon seinen Spezialfilm rausgesucht. Ganz klar: Wenn man weniger Filme zeigt, hat man weniger Einnahmen. Die braucht man aber, um an anderen Stellen zu investieren.

Wie sehen Sie das Dilemma des Wettbewerbs? Wenn die Berlinale viele Stars hatte, hieß es, de Hadeln verkauft sie an die Amis. Und wenn zu wenige Stars kamen, wurde auch gemeckert.

Dieser Konflikt ist nicht zu lösen. Deshalb glaube ich, dass die Energie, die man an dieser Front reinsteckt, auch nicht viel bewirken wird. Ich glaube, die Strukturfragen sind wichtiger, und ich sage das jetzt ganz harmlos. Es ist doch wichtiger, dass ich mit dem Panorama-Leiter Wieland Speck und dem künftigen Forumschef Christoph Terhechte fünf Stunden zusammensitze, als 50 Stunden über den Anteil von Stars und Sternchen zu grübeln.

Was würden Sie am Wettbewerb ändern?

Manchmal wäre es vielleicht besser, man würde den umstrittensten Film im Wettbewerb zeigen und nicht da, wo es vielleicht einfacher ist. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn man „Trembling before G-d“ , den Film über schwule orthodoxe Juden in New York, vom Forum in den Wettbewerb geschoben hätte. Vielleicht hätte man uns die Ohren lang gezogen und gesagt, der Film ist nicht so groß. Aber vielleicht ist das Thema so groß. Und ansonsten: Lieber „Magnolia“ als „Steel Magnolia“.

In letzter Zeit gab es Gerüchte um einen angeblichen künstlerischen Leiter . . .

Ich werde am 1. Mai einen Job antreten, den ich jetzt noch nicht habe, deshalb werde ich vorher bestimmt keine Funktionen verteilen, die ich erst recht noch nicht habe. Diese Meldung war ein Gerücht. Denn ich gehe davon aus, dass ich der künstlerische Leiter bin, weil ich anschließend auch die künstlerische Kritik auf den Hut bekomme. Von daher würde ich den Job nicht teilen.

Parallell zur Berlinale findet ein Filmmarkt statt. Funktioniert der überhaupt angesichts der immer größer werdenden Konkurrenz?

Ja, zum Beispiel auch, weil ein Wettbewerbsfilm wie „Italienisch für Anfänger“ in diesem Jahr supergut verkauft wurde. Das Problem ist aber, dass direkt im Anschluss daran der amerikanische Filmmarkt stattfindet. Während die einen ihre Stände in Berlin aufbauen, fahren die anderen schon wieder nach Los Angeles. Aber vielleicht kann man ja auch am Markt etwas verändern und ihn durch einen Koproduktionsmarkt bereichern.

Damit wären wir bei Cannes, das immer noch das wichtigste Festival ist, weil dort unter anderem durch die vielen französischen Koproduktionen die interessanteren Filme laufen. Der letzte Wong Kar-wai, um nur ein Beispiel zu nennen.

Diese Chance haben wir aber auch, weil immer mehr internationale Produktionen mit deutschem Geld gedreht werden. Mindestens genauso wichtig ist aber, dass sich die deutsche Filmwirtschaft mit der Berlinale so identifiziert wie die Franzosen mit Cannes. Und dass der Festivalleiter gute Kontakte zu allen Teilen der deutschen Branche hat. Das Ohr reinhalten, um zu wissen, was sich tut, und um neue Talente zu finden – das war ja schon mein Job bei der Filmstiftung. Nur musste ich denen als Förderer noch glauben, was sie mir auf der Herrentoilette erzählt haben. Als Festivalleiter kann ich jetzt immerhin den fertigen Film sehen.

Hat Ihnen das Festival in diesem Jahr Lust auf den Job gemacht?

Es ist einfach ein riesiger Abenteuerspielplatz. Und ich werde da nicht mit der schwäbischen Kehrwoche reinfahren und versuchen, an dieser Vielfalt irgendetwas zu ändern. Wo gibt es das schon, dass bei einem solchen Event derart unterschiedliche Leute zusammen ins Kino gehen. Die Profis, die Käufer, die Cineasten, die Schüler, die Freaks. Als ich mir im Kino International „The Tailor of Panama“ angekuckt habe, da hatte ich einen echt guten Kick. Ich war schon lange nicht mehr mit so vielen verschiedenen Leuten so relaxed im Kino. Und als ich rausging, stand da an der Tür auch noch einer, der schwäbische Butterbrezeln verkauft hat.

Seit kurzem ist die Berlinale Sache des Bundes. Was sagen Sie zu Befürchtungen, dass das Festival unter parteipolitischen Einfluss geraten könnte?

Was meine Person angeht, ist das wirklich Quatsch. Da gibt es nichts zu befürchten. Und auf repräsentativer Ebene sehe ich das eher umgekehrt: Wir haben uns jahrelang beklagt, dass es für die Branche keine politische Repräsentanz im Ausland gab und dass in der Politik keiner Ahnung vom Kino hatte. Jetzt ist meine Generation an der Macht, und die ist schon immer gern ins Kino gegangen. So wie es ja auch in Frankreich nie diese Trennung gab. Ich kann nur sagen: Her mit dem Schröder, her mit dem Fischer! Rein ins Kino!

INTERVIEW: KATJA NICODEMUS