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: In stürmischen Zeiten

Das Meer tobt. Eine junge Frau kämpft gegen das Ertrinken. So beginnen Überlebensgeschichten, vor allem solche , die ihre Heldinnen zum Happy End nach Hollywood spülen.

„In stürmischen Zeiten“ beschreibt die Odyssee des Mädchens Fegele zwischen 1927 und dem Beginn der 40er-Jahre. Fegele (Christina Ricci), Tochter eines russischen Kantors, wird vom Vater getrennt und aus dem heimischen Schtetl vertrieben. In England nennt man sie Suzie und steckt sie in eine Schule, die ihr mit Schlägen auch das restliche Jiddisch austreiben will. Ihr Gesangstalent wird entdeckt, kleine Bühnenerfolge verschlagen Suzie in Pariser Theaterkreise zur Zeit der deutschen Okkupation. Sie wird umworben von dem Rampensau-Tenor Dante und dem Statisten Cesar, der mit Zigeunergefidel, Grillpartys und Lagerfeuerpetting die Sache für sich entscheiden kann. Kein Wunder, dass sich das Mädchen irgendwann ins Ätherische flüchtet, um diesen schweren Feuereintopf irgendwie hinter sich zu bringen.

Nachdem Christina Ricci schon mit neun lebensklüger als ihre Mutter (Cher) in „Meerjungfrauen küsst man nicht“ wirkte, in „Der Eisturm“ die Pubertät ziemlich souverän erledigte, in „Buffalo 66“ zum ausgereiften Engel mutierte , in „The Opposite of Sex“ bereits über den Marktwert des weiblichen Körpers wie ein Seemann über die Weltmeere sinniert, wird die inzwischen 20-Jährige bei Sally Potter nun noch einmal durch Glanz und Elend der Geschlechtsreife geschickt. Diesmal mit vornehmerem Vokabular und mit dem deutlich ehrbareren Ziel, die wahre, die erhabene, die selbstlose Leidenschaft zu entdecken. Und nebenbei den verlorenen Vater und die eigene kulturelle Identität.

Die ehemalig Avantgarderegisseurin, Performerin und Tänzerin Potter malt ihre Individuationsgeschichte in den Farben des 40er-Jahre-Melodramas aus und mit dem Wechsel aus Licht und Schatten, der Gut und Böse, Verheißung und Bedrohung praktischerweise nach Grauwerten unterscheidet. Das gibt am Ende zwar kein Weepy, bei dem es genauso zum Heulen ist, wenn zwei sich kriegen, wie wenn sie sich nicht kriegen, sondern nur eine Bilder-Operette. Üppig, schwer und lang.

„In stürmischen Zeiten“, ist ein Film, in dem viel gelitten und zutiefst empfunden wird. Nicht weil die Welt ohne Vater zu hart und Kriege und Verfolgung so unfassbar wären. Sondern weil die Erde bei Potter in eine Puppenstube passt, deren Figürchen eben nur Gesichter für das eine oder das andere haben. Und so schauen sie mal schmalzig wie Dauerzigeuner Johnny Depp, wenn er mit dem weißen Schimmel durch Paris galoppiert, mal schmierig wie Dante, der Opernsänger und Gelegenheitsfaschist (John Turturro). Als warten sie nur darauf, dass Kulissenschieber und Lichtsetzer dazu das passende Dekor kredenzen. Dass die Pferde ums Lagerfeuer grasen. Dass die Sonne lacht. Oder das Meer tobt.

BIRGIT GLOMBITZA

„In stürmischen Zeiten“. Regie: Sally Potter. Mit Johnny Depp, Christina Ricci, Kate Blanchett, John Turturro u. a. Großbritannien/Frankreich 2000, 97 Min.