Rechtsextremismus in der DDR hausgemacht?

Die Gauck-Behörde versuchte mit einer Podiumsdiskussion die Ursachen des anhaltenden Rechtsextremismus in den fünf neuen Bundesländern zu ergründen

Ein Punkkonzert in der Ostberliner Zionskirche enttarnte den Mythos vom antifaschistischen Staat. Am 17. Oktober 1987 zeigte sich der jahrelang unter dem Deckel gehaltene Rechtsextremismus in der DDR öffentlich: Lauthals Naziparolen grölend schlugen rund 30 Skinheads auf die Konzertbesucher ein. Eine öffentliche Diskussion gab es nicht. Der Staat machte den Westen dafür verantwortlich: Die Skinheads seien von dort „beeinflußt und aufgewiegelt“ worden.

In einer Expertise des Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung aus dem Jahr 1988 wird dies pseudowissenschaftlich begründet: „Aufkommen und Verbreitung rechtsradikaler Ideologie ist essenzieller Bestandteil der Herrschaftsordnung in der BRD.“ Rechtsextremismus in der DDR sei demnach „eine Überschwapperscheinung, die Attraktivitätsmuster enthält für den kleinen Teil Jugendlicher, der sie annimmt“. Es existiere „mit Sicherheit kein ausgesprochenes ‚Faschismussyndrom‘ unter diesem Teil der Jugend“.

Doch dem widersprechen schon die wenigen heute bekannten Zahlen, die am Donnerstag Abend bei der Podiumsdiskussion „Rechtsextremismus in der späten DDR“ in der Gauck-Behörde vorgestellt wurden. So seien zum Beispiel zwischen 1965 und 1980 in der Armee 730 Soldaten wegen rechtsextremistischer Handlungen belangt worden, sagte Bernd Eisenfeld, Mitarbeiter der Behörde. In knapp sieben Monaten im Jahr 1978 seien in den Schulen der DDR 600 Fälle von Rechtsradikalismus registriert worden: von Hakenkreuzschmierereien bis zur Gruppengründung. Die Stasi sprach 1987 von 800 rechtsextremistischen Jugendlichen in der DDR. Eisenfeld sagte, dass der heutige Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern „seine entscheidende Prägung über Generationen hinweg in der DDR erfahren“ habe.

Jan C. Behrends von der Universität Bielefeld sagte, der staatlich verordnete Antifaschismus sei ins Leere gelaufen, da „das tradierte Konzept der Nation stärker wirkte als das abstrakte des Internationalismus“. Die Bürger seien unsicher gewesen im Umgang mit Ausländern, sagte Almuth Berger, die Ausländerbeauftragte Brandenburgs. Nur 166.000 Ausländer hätten in der DDR gelebt.

Auch für den Kriminologen Bernd Wagner, schon in der DDR mit Rechtsextremismus beschäftigt, war klar: „Der Rechtsextremismus Ost ist hausgemacht.“ Eine demokratische Zivilgesellschaft habe sich in den neuen Ländern bis heute nicht entwickelt, es gebe einen „völkischen Bewusstseinszustand“. Solange sich das nicht ändere, „werden alle repressiven Maßnahmen ins Leere laufen“.

Ist die DDR also die Wurzel allen rechten Übels im Osten der Jetztzeit? Die Diskussion in der Gauck-Behörde scheint Christian Pfeiffer, den Justizminister Niedersachsens, zu bestätigen. Der hatte 1999 die These aufgestellt, durch die Erziehung im Kollektiv, durch den Anpassungsdruck in der Gruppe habe sich eine „ängstliche Provinzialität“ im Osten entwickelt. Und „wer verunsichert ist im Kern, der empfindet Fremdes eher als bedrohlich“, sagte Pfeiffer. Was der Osten jetzt brauche, das sei ein „Turbokurs in Weltoffenheit“. 10.000 Schüler pro Jahr sollten deshalb ins Ausland gehen.

Eine mittlere Position in der Debatte nimmt der Politologe Peter Reif-Spirek ein. Einerseits dürfe man die aktuelle Umbruchssituation im Osten mit all ihren Schwierigkeiten nicht ausblenden; und andererseits könne man in Bezug auf die Mentalitätsgeschichte „nie von einer Stunde null ausgehen“. Die Theorie Pfeiffers teilt Reif-Spirek nicht, da man kein Gleichheitszeichen zwischen Autoritarismus und Rechtsextremismus setzen dürfe. Als „Quatsch“ gar bezeichnet der Leipziger Jugendforscher Peter Förster die Thesen Pfeiffers, das Gegenteil sei der Fall: Die zu DDR-Zeiten stark kollektiv orientierten Jugendlichen würden sich heute eher links als rechts einordnen. Dies belege die neueste Welle seiner Jugendstudie, die er schon zu DDR-Zeiten im Jahr 1987 begann. Die aktuellen Verunsicherungen, wie etwa die Angst vor Arbeitslosigkeit, seien die entscheidenden Einflüsse für rechtsextremes Denken und Handeln, erklärte er.

SEBASTIAN FISCHER