„Kleiderverbote schweißen die Rechten zusammen“

Für den Essener Jugendforscher Wilfried Breyvogel ist das Verbot von Springerstiefeln und Bomberjacken an Schulen nur eine Notlösung. Es bestätigt die Provokation rechter Jugendlicher. Schüler empfinden Kleiderordnungen als „Uniformierung“, die sie in ihrer eigenen Ästhetik behindern

taz: Jugendministerin Bergmann will an Schulen Bomberjacken und Springerstiefel verbieten. Hilft das gegen Rechtsextreme?

Das ist der falsche Weg. So ein Verbot wäre nur Teil symbolischer Politik. Man würde sich der Auseinandersetzung um die eigentlichen Fragen entziehen.

Welche sind das?

Die Jugendlichen tragen stellvertretend ungelöste Konflikte der Gesellschaft aus, etwa das komplizierte Verhältnis zum Nationalstaat oder die wirtschaftlich wie psychisch deprimierende Situation in den neuen Ländern.

Manche Schulen, egal ob Ost oder West, verbieten das martialische Skinhead-Outfit bereits. Ist das nur eine hilflose Reaktion der Schuleiter?

Ja. Zurzeit neigen Schulen dazu, animiert von der Politik, ebenfalls oberflächlich zu handeln. Sie reagieren damit genau so, wie die Jugendlichen sich das mit ihrer Provokation wünschen. Verbote schweißen die rechte Szene eher zusammen.

In einer Brandenburger Schule ist es inzwischen umgekehrt: Dort will der Rektor T-Shirts mit der Aufschrift „Nazis raus“ verbieten – weil das die rechte Mehrheitskultur provoziere. Müsste da nicht eher das Skinhead-Outfit weichen?

Sicher, es kann Schulen geben, wo man nur durch ein Verbot einen aufgeschaukelten Konflikt regulieren kann. Doch letztendlich hilft es nichts, die Jugendlichen durch Vorschriften dazu zu bringen, dass sie sich in der Schule aus dem Wege gehen.

Im Jahr 2000 sind die Delikte von Rechtsradikalen um fast 59 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Ist es da nicht nötig, Grenzen zu setzen?

Mit den Zahlen wird sehr manipulativ umgegangen. Zurzeit steigen vor allem die Propagandadelikte. Das Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen hat mir bestätigt, dass Hakenkreuze auf Schultoiletten heute als Straftat angezeigt werden. Das war früher nicht so. Damit steigen die Zahlen natürlich. Die neuen Bundesländer wehren sich gegen ihre Stigmatisierung in dieser Hinsicht. Sie haben guten Grund dazu – der Sachverhalt wird dramatisiert.

Wie erklären Sie sich, dass Skinheads in den neuen Bundesländern so präsent sind?

Durch die unterschiedliche Subkulturgeschichte. Westdeutsche Jugendlichen konnten alle Möglichkeiten durchbuchstabieren, sich gegen Normalität zu wenden – von den Gammlern und Hippies über die Sponti- bis zur Autonomenbewegung. Das fehlt bei den Jugendlichen im Osten.

Wie kommt das?

Jugendliche hatten in der DDR keine ausdifferenzierte Gegenkultur, die sich öffentlich ausleben konnte. Den Heranwachsenden scheinen nun in der Gegenwart nur gewaltbereite Orientierungen zur Verfügung zu stehen. Der Hooliganismus etwa, der sich in den Fußballstadien austobt. Oder auch Skinhead-Traditionen.

Können Ost-Jugendliche nur so Protest äußern?

Ja, die Stammkultur im Osten ist praktisch stagniert. Sie verharrt gewissermaßen auf dem proletarischen Kern. Als wir aus dem Westen Anfang der 90er-Jahre die neuen Bundesländer wahrgenommen haben, war der massivste Eindruck der, dass dieses Land kulturell in den 50er-Jahren stehen geblieben ist. Das ist zunächst die Stammkultur geblieben, an der sich die Jugendkultur abarbeitet.

Können rechte Organisationen da besonders gut Jugendliche anwerben?

Nein, das ist diese Drahtzieher-Theorie, die durch die Geschichte geistert, seit es Jugendliche gibt. Die Forschung kennt kein Beispiel, bei dem das erfolgreich war. Der Wunsch nach Autonomie ist das zentrale Motiv der Jugendlichen – und das beugt sich nicht so schnell einer Partei. In den 80er-Jahren haben FAP, NPD und Reps vergeblich versucht, Jugendliche massenhaft anzuwerben. Verstehen Sie mich aber nicht falsch. Ich schließe nicht aus, dass es in Einzelfällen solche Verbindungen gibt. Nur als allgemeine Bedrohung halte ich das nicht für realistisch.

Experten sagen, da helfe schnelles und hartes Strafen, um die jungen Leute aus dem Milieu zu lösen.

Im Bereich der Clique kann genau das Gegenteil passieren. Jede Verhärtung durch besondere Strafverfolgung für rechte Gesinnung und Gewalt, jeder Zugriff, durch den sich biografisch etwas verfestigen kann, steigert den Zusammenhalt der Cliquen eher. Harte Justiz, die nicht auf den Einzelfall bezogen ist, sondern nur symbolisch Zeichen setzen will, nützt also niemandem etwas, sondern erzeugt das Gegenteil. Das gilt genauso für Kleiderverbote.

Warum?

Es gibt immer eine Binnenwahrnehmung in der Gruppe, die ein Verbot als Unrecht empfindet. Jugendliche wollen sich autonom darstellen. Sie wollen selbst entscheiden, welche Frisur sie tragen, welche Schuhe ihnen gefallen. Das ist enorm wichtig für die.

Was halten Sie von Schul-Uniformen?

In Frankreich gehören die Uniformen zum staatlichen Schulsystem seit der Französischen Revolution. Sie stehen für die Egalität. Die deutsche Staatsschule hingegen könnte sich den Vorwurf des Totalitären einhandeln. Denn der Staat, das gilt auch für Frankreich und England, beschränkt damit die Freiheit des Einzelnen. Ich meine, Deutschland sollte angesichts seiner totalitären Geschichte die Merkmale eines liberalen Staates hervorkehren.

Auch „Uniformen“ können heute coole Outfits sein, in Hamburg ist es ein Sweatshirt mit Schulemblem.

Die Schüler würden das wohl trotzdem als Uniformierung empfinden. Gerade die subkulturelle Ausdifferenzierung der Moden ist heute ja ein zentraler Bestandteil der Jugendästhetik und -dynamik. Eine bestimmte Jeansmarke entscheidet heute über In- oder Outsein. Das lässt sich nicht so einfach stillstellen.

INTERVIEW: ISABELLE SIEMES