„Was ist mit euren Männern los?“

Bei der nationalen Konferenz gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern verkündet Familienministerin Bergmann frohe Botschaften – die Praxis ist nach wie vor behördliches und gesellschaftliches Desinteresse, das an Mittäterschaft grenzt

von ANNA HOLZSCHEITER

„Was ist eigentlich mit euren Männern los, dass sie um die halbe Welt reisen, um unsere Kinder sexuell zu missbrauchen?“ – die Frage einer thailändischen Kollegin habe ihn zutiefst beschämt, sagte Dirk Bange vom Jugendamt Hamburg auf der Konferenz „Kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern“ Mitte der Woche in Berlin.

10.000 deutsche Touristen reisen nach Schätzungen von Christa Dammermann von „terre des hommes“ jährlich ins Ausland, um vorzugsweise in Thailand, der Tschechischen Republik und auf den Philippinen ihre perversen Neigungen an Minderjährigen auszuleben. Rechtliche Folgen haben die Sexualverbrechen aber in den wenigsten Fällen. Einer Studie des Justizministeriums zufolge waren zwischen 1993 und 1998 ganze 53 dieser „Sextouristen“ in Deutschland vor dem Richter gelandet, 13 von ihnen wurden verurteilt. „Wenn wir behaupten, dass 1 Prozent der Sextouristen strafrechtlich belangt werden, ist das schon eine sehr optimistische Schätzung“, sagte Rudolf Egg von der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden.

Von den rund 300 TeilnehmerInnen der Konferenz des Familienministeriums kam harsche Kritik an Politik und Gesellschaft: „Warum sehen wir Kinderprostitution immer als Problem des Auslands? Sie findet direkt vor unserer Haustür statt“, sagte Dammermann. Die Dunkelziffer der Minderjährigen, die sich in Deutschland prostituieren müssen, werde auf 40.000 Kinder und Jugendliche geschätzt.

„Wir müssen in den süßen Wein, den Bundesministerin Bergmann uns präsentiert hat, leider sehr viel trübes Wasser gießen“, sagte Egg. Denn: Was sich in der Theorie löblich anhört, wird in der Praxis gar nicht oder nur mangelhaft angewandt. Bergmanns süßer Wein: „Deutschland hat als eines der ersten Länder die Bedingungen des Stockholmer Aktionsplans von 1996 gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern erfüllt.“ Das trübe Wasser der Praktiker: Die Regierung müsse endlich die Schutzaltersgrenze für Kinderpornografie in Deutschland von 14 auf 18 Jahre hochsetzen. Die Schutzaltersgrenze von 18 Jahren ist zentraler Bestandteil der UN-Kinderrechtskonvention von 1990 und sieht vor, dass die Produzenten von pornografischem Material bestraft werden, wenn die Darsteller 18 Jahre oder jünger sind. Außerdem hat Deutschland dem Artikel 22 der UN-Konvention, der den Kinderschutz auch auf Flüchtlingskinder ausdehnt, nur unter Vorbehalt zugestimmt (siehe Text links). „Dies ist aber gerade eine Gruppe, die verstärkt von Prostitution betroffen ist“, sagte Dammermann.

Von Bergmanns Wein gab es noch mehr: „Kindesmissbrauch wird von uns strafrechtlich verfolgt, auch wenn er im Ausland passiert.“ Das Wasser: „Da gibt es ganz große Umsetzungsprobleme“, sagte Birgit Thoma, Kriminologin und Juristin. Die fehlende Kooperationsbereitschaft der Botschaften beispielsweise führe dazu, dass Täter, deren Pass eingezogen worden ist, in der Botschaft einen neuen Pass bekommen. Sie können unbehelligt ausreisen, die Botschaft erstattet keine Anzeige gegen sie. Außerdem: Fast alle Verurteilungen seien erfolgt, weil die Täter am Flughafen mit einschlägigen Fotos und Videos erwischt worden waren, sagte Dammermann. „Im Zeitalter der digitalen Medien wird wohl keiner mehr mit Videokassetten durch den Zoll laufen, sondern das Pornomaterial gleich vom Urlaubsort aus ins Netz stellen.“

Den kindlichen Opfern von sexueller Gewalt ist mit der Konferenz natürlich wenig geholfen: Für sie bedeutet der gegenwärtige Missstand in Deutschland, dass sie von einer Institution zur nächsten geschubst werden und dabei ihre grauenhafte Geschichte zu oft wiederholen müssen. An Therapieplätzen mangelt es ohnehin, kritisiert Ursula Enders von Zartbitter e. V.: „Die Chance, ein qualifiziertes Therapieangebot zu bekommen, ist in vielen Landkreisen geringer, als Tagessieger in einer Quiz-Show zu werden.“