„NPD-Verbot geht uns am Arsch vorbei“

■ Gegen 90 Neonazis demonstrierten in Vegesack über 500 Gegendemonstranten auf verschiedenen Plätzen / 14 Festnahmen, Ermittlungen wegen Landfriedensbruchs, Polizist gibt Warnschüsse ab

„Wir werden auch das NPD-Verbot überleben, das geht uns am Arsch vorbei.“ Auf dem windig-kalten Aumunder Marktplatz in Vegesack applaudierten am Samstagnachmittag rund 90 NPD-Anhänger der gepressten Stimme ihres Redners, Thorsten de Vries aus Hamburg. „Die Partei und die Organisation, die wir im Herzen tragen, ist seit 1945 verboten“, tönte der weiter – in schlechtester Weltempfänger-Tonqualität – aus dem Lautsprecher des NPD-Bullis. Um den hatten sich nach über einstündiger Demonstration die meist jungen, dunkel gekleideten, kurz geschorenen Neonazis zu einem kleinen Rechteck auf dem großen Platz formiert. Kehlig signalisierten sie den Worten ihres Redners Zustimmung – während kaum 20 Schritte hinter ihnen 40 GegendemonstrantInnen riefen: „Na-zis raus, Na-zis raus, Na-zis raus!“ Nur eine schmale Kette Polizisten trennte die Gruppen.

So war für die Neonazis schon die gesamte Demo verlaufen. Immer wieder hatte die Polizei aufgebrachte GegendemonstrantInnen ganz dicht an den NPD-Zug herangelassen. Schon zum Auftakt der NPD-Demo hatten rund 50 GegendemonstrantInnen auf dem eigentlich weitläufig abgesperrten Aumunder Marktplatz gestanden – ein gemischtes Anti-Publikum, aus dem lediglich Punks gezielt hinter die polizeiliche Absperrung verbannt wurden, die auch für Antifa-Gruppen unüberwindbar blieb.

„In der Tradition der Frontsoldaten ..., hoch die Waffen-SS“, versprach unterdessen Vormann de Vries unbeirrt: „Demokraten sollten wissen, wir werden uns rächen. Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ – „Nieder mit der Nazipest, ob Ost ob West“, schallte es derweil von hinten – wo der abschließende Dank von NPD-Landes-Chef Jörg Wrieden, „für unsere Anliegen und gegen die Hetzkampagne gegen die NPD“ demonstriert zu haben, deshab ungehört blieb. Dann löste sich die Nazi-Kundgebung auf.

Die Flagge mit der Aufschrift „Freiheit für Palästina“ – gesetzlich erlaubte Symbolik für antisemitische Haltung –, wurde zusammengefaltet. Erste NPD-Leute stiegen in ihre Autos, von denen über die Hälfte auswärtige Kennzeichen trugen: Hamburg, Stade, Celle, Neumünster. In eine Kamera aus den eigenen Reihen sprach Wrieden noch schnell zufrieden: „Es ist ein Anfang, diese zweitgrößte Demo seit 1975“.

Ein Anfang wofür – das freilich hatten manche seiner Fans zu Beginn der Demo noch nicht gewusst. Erst die Nachfrage beim Chef ließ den jungen NPD-Anhänger mit blondem Extremhaarschnitt selbstbewusster auftreten. Man sei hier, um die Meinungsfreiheit zu verteidigen. „Argumente statt Verbote“, stand auch auf den Transparenten, die entrollt wurden, während die Polizei noch den Stiefeltest machte. „Wenn die sich auch nicht ans Verbot halten“, kommentierte mitleidlos ein Mädchen, dass Polizisten mehrere Neonazis abführten, deren schwarze Lederschuhe über den Knöchel ragten. Springerstifel waren verboten. Am Samstag hielt die Polizei Wort. Wo gegen Auflagen verstoßen würde, war „niedrigschwelliges Einschreiten“ angekündigt.

Bereits Stunden vor Eintreffen des NPD-PKW-Konvois in Polizeigeleit hatten auch GegendemonstrantInnen verschiedentlich Taschen-Checks und Abtasten über sich ergehen lassen müssen. Eine größere Gruppe war zeitweilig Am Fährgrund, Ort einer angemeldeten Gegendemonstration, eingekesselt worden. Von ihnen tauchten später viele an den Absperrungen oder an der NPD-Demo auf, wo sie gemeinsam mit Vegesacker SchülerInnen über die Polizeikette hinweg brüllten: „Na-zis raus. Na-zis raus. Na-zis raus!“ Mit dabei bemerkenswert viele junge Männer mit braunen Augen, deutschem oder türkischem Pass. „Wir lassen uns den Rassismus nicht gefallen“, erklärten sie, warum sie eigens aus Delmenhorst oder Bremen angereist waren. Oder warum sie sich von der Arbeit frei genommen hatten, als sie vom Nazi-Aufgebot gehört hatten. Aber manche waren auch überrascht worden.

Ins Café des türkisch-deutschen Kulturvereins direkt am Aumunder Marktplatz beispielsweise, hatte sich kein Polizist zum Gespräch verirrt. „Zu uns sind nur die Autonomen gekommen“, hieß es dort verärgert. „Die haben gesagt, es kann keine gemeinsamen Aktionen geben.“ Also haben sich die deutsch-türkischen Freunde ihre Sicherheit selbst organisiert. Direkt vor ihrer Tür fährt am Nachmittag der NPD-Konvoi vorbei. Eine Ecke weiter fliegt ein Stein aus der fünften Reihe eher aggressiver Gegendemonstranten – und trifft fast andere Zuschauer. Derweil kommt es auf dem Aumunder Marktplatz nun doch noch zum Gerangel zwischen Nazis und GegnerInnen. Kurz fliegen eine Flasche, ein paar Steine.

Die Polizei hatte hier relativ früh den Rückzug angetreten – so dass sich die verfeindeten Gruppen plötzlich ohne jeden Polizeipuffer gegenüberstanden. Hier und an anderer Stelle kommt es im Lauf des Tages zu insgesamt 15 Festnahmen. Später wird ein Verkehrspolizist noch in die Luft schießen, weil er sich von Gegendemonstranten bedroht fühlt.

Fernab von all dem waren am Mittag rund 500 Bremen-Norder dem Aufruf von DGB und Kirchen zum Protest gegen den NPD-Aufmarsch gefolgt. Die Versammlung in der Vegesacker Innenstadt, an der viele PolitikerInnen, darunter Bürgermeister Henning Scherf (SPD) und Innenstaatsrat Kuno Böse (CDU) teilnahmen, verlief ohne Zwischenfälle. Auch in Weyhe ging der „Aktionstag für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit“, das ursprüngliche Ziel der NPD-Demo, die dort aber verboten worden war, ohne Zwischenfälle unter großer Bürgerbeteiligung zuende. ede