Auch Vegetarier für Rindertötung verantwortlich

In Zeiten von BSE nimmt der Milchkonsum zu. Aber die Herstellung von Milch und Käse erfordert Kühe, die kalben. Die Folge: Zu viele Kälber

BERLIN taz ■ Gehören Sie zu denen, die seit der BSE-Krise mehr Käse und andere Milchprodukte essen, aber kein Rindfleisch mehr? Oder sind Sie gar Vegetarier geworden, weil Sie nach den Fernsehbildern von Kadavern nicht länger für den Tod von Tieren verantwortlich sein wollen? Dann liegen Sie im Trend: Käse boomt, und Rindfleisch ist out. Und Sie tragen allein schon durch den höheren Milch- und Käsekonsum dazu bei, dass die Kuhställe in Deutschland überquellen und die EU zur Marktentlastung hunderttausende von Rindern vernichtet. Wie das?

Damit Kühe ausreichend Milch geben, müssen sie etwa einmal im Jahr kalben. „Natürlich ist das bei Biobauern auch so. Ohne Kalb keine Milch“, sagt Simon Ziegler vom Ökodorf Brodowin in Brandenburg. „Auch bei unseren Kühen herrscht das Leistungsprinzip. Wer nicht genug Milch hat oder krank wird, muss unters Messer“, erklärt Ziegler. Da eine Kuh meist mehrmals im Leben kalbt, gibt es stets mehr Kälber, als für den Nachwuchs an Milchvieh nötig ist. Die überzähligen Kälber kommen in die Mast, werden zu Steaks und Braten. Von den rund 14,5 Millionen Rindern in Deutschland sind 4,5 Millionen Milchkühe, die anderen zwei Drittel sind zum größten Teil Nachkommen, die in der Mast landen. Reine Fleischrassen, die nicht gemolken werden und in Herden meist ganzjährig draußen weiden, sind in Deutschland selten.

Bei Bernd Voß, einem konventionellen Milchbauer in Schleswig-Holstein, der naturnah arbeitet, quillt der Stall nicht über. Er hat Kühe und Bullkälber trotz schlechter Marktlage verkauft – zu Dumpingpreisen. „Bei mir fehlen 10.000 Mark – seit Dezember. Macht im Jahr 35.000 Mark“, rechnet Voß vor. Nicht nur den Preisverfall von etwa 40 Prozent muss der Landwirt hinnehmen, bei den Schlachtkühen muss er nun auch die Entfernung von BSE-Risikomaterial und die Entsorgung der Tierreste bezahlen. „Wenn die Preise so bleiben, müsste meine Milch acht bis zehn Pfennig pro Liter teurer werden, damit der Betrieb überleben kann“, sagt Voß.

Auf die Milchpreise aber hat er im Moment keinen Einfluss, weil er Verträge hat. Und zu allem Überfluss muss Voß auch noch Strafe zahlen, weil er seine Milchquoten überschreitet. Macht etwa 5.000 Mark Strafe. Bei anderen Bauern, die ihre Altkühe nicht verkaufen konnten und weiter melken, ist das noch schlimmer. Die Milch fließt, aber jeder Liter, den der Landwirt über seine Quote hinaus an die Molkerei liefert, kostet ihn 69 Pfennig Strafgebühr. Absurd in der jetzigen Situation: Die Lebensmittelbranche meldet Notstand bei der Rohmilchbeschaffung – wegen des Käsebooms. Die 1984 in der EU eingeführten Milchquoten sind eigentlich sinnvoll, weil sie Milchseen und Butterberge verhindern. Aber im Augenblick wäre eine Ausnahmeregelung angesichts der Nachfrage besser. Doch das ist in der EU umstritten.

Auch in der Biobranche ist das Verhältnis von Milchkonsum und Rindfleischverzehr nicht ganz im Lot – aber allemal besser als im konventionellen Bereich. „Die Milch boomt, das Fleisch nicht so sehr. Biorind wird etwa so viel gegessen wie im Vorjahr, aber wir haben viel zu wenig Biomilch“, sagt Thomas Dosch von der ökologischen Erzeugergemeinschaft Bioland, die „händeringend“ umstellungswillige Milchbauern sucht. Denn auch Biobauern, die derzeit etwa 2,5 Prozent des Marktes bedienen, unterliegen der Milchquote. Ihre Kuhställe aber sind ebenfalls vielerorts übervölkert, denn alte Biokühe haben auf dem Markt ebensowenig Chancen wie ihre konventionellen Artgenossinnen. Das liegt am BSE-Misstrauen auch gegenüber Biorindern und daran, dass Bioaltkühe mangels spezieller Vermarktungswege vielfach auch im Hamburger von McDonald’s landen.

Wenn auch die derzeitigen Probleme bei fast allen Milchbauern ähnlich sind, gibt es doch erhebliche Unterschiede in der Haltung der Tiere und beim Futter. Gerade die Kälber- und Bullenmast ist eine Hochburg industrialisierter Betriebe – eine reine Stallwirtschaft ohne Auslauf. Ohne entsprechende Kennzeichnung von Rindfleisch an der Ladentheke ist das Vertrauen der Verbraucherschwer zurückzugewinnen. Solange es etwa nicht verbrieftes „Rind aus Weidehaltung“ gibt, sind die Kunden ratlos. Denn vielleicht klingt die BSE-Furcht ab, aber nicht der Ekel vor schlechter Tierhaltung.

Wohin nun also mit den Fleischbergen, die im Milchland Deutschland zwangsläufig weiterhin heranwachsen? Früher schlachten ist da eine Möglichkeit, die mittelfristig wirken kann. Wenn die Menschen aber weiterhin so sehr auf Milch und Käse stehen und kaum Rindfleisch essen, bliebe am Ende nur die so genannte Herodesprämie, die in der EU im Gespräch ist: für das Töten von Kälbern gleich nach der Geburt. So hätten wir viel Milch und wenig Fleisch. Aber aus ethischen Gründen lehnen die meisten Landwirte das ab, auch der Deutsche Bauernverband. Man scheut sich davor, diesen Kälbern von vornherein jedes Lebensrecht abzusprechen.

BEATE STRENGE