„Noch ist der Ausgang offen“

Nachdem Gussinskis Medienimperium zerschlagen wurde, gilt der Radiosender Echo Moskwy als letzte unabhängige Stimme Russlands. Wenediktow wartet auf bessere Zeiten: „Putins Ruf und unser Schicksal sind aufs Engste miteinander verknüpft“

Interview KLAUS-HELGE DONATH

taz: Das Media-Most-Imperium ist Geschichte. Nur Echo Moskwy (EM) hat den Angriff des Kremls überstanden. Sind Sie mit einem blauen Auge davon gekommen?

Alexei Wenediktow: Noch ist der Ausgang offen. Wir verhandeln mit Gasprom über ein Aktienpaket von neun Prozent. Mit Gussinskis 14 und unseren 28 Prozent hätten wir dann die Mehrheit. Der Haken ist: Gasprom besteht darauf, dass wir einen Teil der Aktien, wenn wir sie denn erwerben, in einem halben Jahr an einen ausländischen Investor weiter verkaufen. Grundsätzlich sind wir nicht gegen Investoren. Wird es aber einer sein, der sich aus der redaktionellen Politik heraushält?

Warum zeigt sich der Kreml auf einmal so nachsichtig gegenüber Echo Moskwy ?

Putins Ruf und unser Schicksal sind auf Engste miteinander verknüpft. Bleiben wir unabhängig, kann der Kreml darauf verweisen, dass es um die Pressefreiheit nicht allzu schlecht bestellt ist. Übrigens, Gerhard Schröder hat Putin letztes Mal klipp und klar gesagt, Moskau könne für Europa nur ein gleichberechtigter Partner sein, wenn es sich an diese Spielregel hält. Außerdem will der Kreml ein Keil in die ehemalige Chefredakteursriege der Most-Gruppe treiben. Nach dem Motto: Hier ist der gute Wenediktow, mit dem kann man reden.

Die Stars des NTW Informationsprogramms sind bei TW 6, dem Sender Boris Beresowskis, abgestiegen. Hat der Finanzmogul EM auch finanzielle Hilfe angeboten?

Er war der Erste. Ich schätze den Ideenreichtum Beresowskis. Aber Geschäftsbeziehungen ...? Ich habe ihm für sein Angebot gedankt und gesagt, ich käme darauf zurück, wenn ich keine andere Wahl mehr hätte: „Boris, deine guten Absichten in Ehren, irgendwann haust du mich trotzdem übers Ohr.“ Er hat gelacht.

Kann der Kreml TW 6 überhaupt in Ruhe lassen, wenn der Sender die kritische Rolle NTWs übernimmt ?

Niemals. Fernsehen ist zu wichtig. Die Programmänderung war kaum spruchreif, da stattete die Steuerpolizei jedem der bei TW 6 beteiligten Unternehmen einen Besuch ab. Wirklich allen! Vor jedem Fenster, meinte ein Kollege, sei schon ein juristischer Granatwerfer in Stellung gebracht worden. Das Feuer kann jederzeit eröffnet werden.

Glaubt Putin, Russland mit alttestamentarischem Hass und ohne kritische Öffentlichkeit modernisieren zu können?

Auch Putin träumt von einem reichen und freien Russland in 10 oder 15 Jahren. Der Weg dorthin ist umstritten. Putin glaubt, wer sich seiner Vision verweigert, sei entweder dumm oder ein Agent des Westens. Ich habe ihm oft klar zu machen versucht, dass kritisches Radio den Staat nachhaltiger festige als Verlautbarungsjournalismus. Er sieht das anders. Sein Verständnis von Presse ist das eines typischen Bürokraten. Entweder unterstützt sie unsere Sache oder sie hat gefälligst zu schweigen. Er betreibt den Wiederaufbau eines starken Staates, aufrichtig und ehrlich, aber nach einem veralteten Lehrbuch aus der Breschnew-Zeit.

Hält das EM-Team der Zerreißprobe noch lange stand?

Die psychische Belastung ist ungeheuer. Niemand weiß, ob und wie es weitergeht. Unsere Leute sind hoch qualifiziert und haben keine Probleme, in anderen Topjobs unterzukommen. Manche glauben, wir könnten unter der Ägide Gasproms weitermachen wie bisher. „Bleib bei uns, du bekommst einen Vertrag auf 20 Jahre, und wir lassen dich in Ruhe“, hat man auch mir versprochen. Aber ich werde aussteigen, wenn die Redakion nicht Mehrheitseigner wird.