DER 11. SEPTEMBER
: Trügerischer Triumphalismus

Von STEVEN C. CLEMONS *

Die Gefühle, die die schrecklichen Attentate in New York und Washington ausgelöst haben, dürfen uns nicht daran hindern, wichtigen Fragen nachzugehen – auch zum Schutz gegen vorschnelle Antworten, die uns etwa die Theorie vom „Kampf der Kulturen“ andient. Dabei soll die Frage nach dem „islamistischen Terrorismus“ nicht nur die pseudoreligiösen Motive der Selbstmordattentäter ergründen, sondern vor allem die Ursachen für die mehr oder weniger stille Genugtuung, die der Schlag gegen das „unverwundbare Amerika“ vor allem in muslimischen Ländern ausgelöst hat. Im Zentrum steht dabei die internationale Rolle der USA , die sich nach dem Kalten Krieg als einzige verbliebene „Supermacht“ begreift und diese Rolle auch zunehmend robust ausfüllt. Gegen das Machtzentrum und den Hauptmotor einer „asymmetrischen“ Globalisierung sind neue „asymmetrische“ Kampfformen entstanden, auf die der Westen wiederum eine Antwort finden muss. Soll die Spirale der Gewalt gestoppt werden, darf diese Antwort nicht militärisch geprägt sein. Sie muss vor allem auf die Fähigkeit zur Selbstreflexion und zur Korrektur von Fehlentwicklungen setzen, die wir uns als Qualitätsmerkmal der „westlichen Demokratie“ zugute halten.

GOTT hat den Feinden Amerikas gestattet, uns das aufzuerlegen, was wir verdienen“, verkündeten zwei einflussreiche Fernsehprediger nach den Attentaten vom 11. September, Jerry Falwell und Pat Robertson, die beide als Bush-Getreue bereits im Wahlkampf tätig waren. Und Falwell fügte hinzu: „Ich wende mich an die heidnischen Geister und an die Abtreibungsverfechter, die Feministinnen, die Schwulen und die Lesben. Ihr alle habt dazu beigetragen, dass dies geschehen konnte!“[1]Derartige Reaktionen zeigen zuallererst, dass offensichtlich keine Religion ein Monopol auf Fanatismus besitzt. Doch es gab einen Konsens: Die meisten US-Amerikaner forderten nach dem 11. September Vergeltungsschläge, weit weniger Bürger fragten nach einem möglichen Hintergrund. Wie konnte es zu diesem wohl seit 1812 größten Angriff auf US-amerikanisches Territorium kommen?

Der siegreiche Ausgang des Kalten Krieges hat in den USA einen Triumphalismus hervorgebracht, der für den wahren Zustand der Welt blind macht. Die Diskrepanz zwischen einer überhöhten Selbstwahrnehmung und dem Bild, das andere Länder von den USA haben, blockiert eine konstruktive Antwort auf die aktuelle Tragödie.

Die Rivalität zwischen den beiden Supermächten war für die politischen und militärischen Eliten der USA in vieler Hinsicht ein bequemer Zustand, weil die Aktionen und Reaktionen stets vorhersehbar waren. Indem die Regierung immer raffiniertere und teurere Waffen- und Aufklärungssysteme anschaffte, wog sie die US-amerikanische Öffentlichkeit in trügerischer Sicherheit. Den Feind, auf den sie zugeschnitten waren, gab es nicht. Für dieses Versäumnis, sich auf die Ära nach dem Kalten Krieg nicht umgestellt zu haben, zahlen die USA jetzt einen hohen Preis.

Die Attentate vom 11. September haben die Unfähigkeit sichtbar gemacht, sich auf die politischen und institutionellen Realitäten der neuen Zeit einzustellen. Generäle und eine ihnen willfährige politische Führung haben lange Jahre über die Natur der Bedrohung gelogen, um die Beibehaltung der überkommenen militärischen Strukturen aus der Zeit des Kalten Krieges zu rechtfertigen: personelle Ausstattung und Waffensysteme, Rüstungsprojekte ebenso wie die ausländischen Stützpunkte. Nur langsam erkennt man, dass der neue Rüstungswettlauf im Weltraum den tatsächlichen Sicherheitserfordernissen, für die das Pentagon zuständig wäre, nicht angemessen ist. Fast alle seriösen Analysen über künftige Bedrohungen der nationalen Interessen, die der US-Regierung in den letzten fünfzehn Jahren vorgelegt wurden, haben auf die steigende Wahrscheinlichkeit einer terroristischen Bedrohung hingewiesen, die von bestimmten Staaten gefördert wird oder von nichtstaatlichen Gruppen ausgeht.

In seinem 1999 dem US-Kongress vorgelegten Bericht der Hart-Rudman-Kommission mit dem Titel „New World Coming – American Security in the 21st Century“ heißt es: „Um sich in den Besitz von sehr gefährlichen Technologien zu bringen, werden kleine Staaten und sogar einigermaßen wohlhabende Gruppen und Individuen – egal ob kriminelle Gangs oder Terroristen – keine riesigen Investitionen in wissenschaftliche und industrielle Infrastrukturprojekte mehr vornehmen müssen. [. . .] Amerikanische Bürger werden wahrscheinlich auf amerikanischem Boden sterben, womöglich gar in großer Zahl.“[2]Die Medien kritisierten diesen Bericht zwar als aufgebauscht und alarmistisch, aber die meisten Kritiker stimmten der Schlussfolgerung zu, die nächste Regierung müsse der Bekämpfung des Terrorismus eine hohe Priorität geben.

Doch das Pentagon und die nationalen Sicherheitsorgane – einschließlich CIA, FBI und NSA (National Security Agency) – setzten weiterhin auf die Strategien der Vergangenheit. Ganz anders Timothy McVeigh, der Attentäter von Oklahama City, und Ussama Bin Laden. Sie haben die Informationsrevolution genutzt und erkannt, dass die Kleinen in der Lage sind, mit ihren Fähigkeiten gigantische Wirkungen zu erzielen, was die großen Staaten aufgrund ihrer Blindheit lange ignorierten.

Die im Macht- und Vorherrschaftsdenken des Kalten Krieges verharrenden US-Institutionen redeten nur von „Schurkenstaaten“[3]und setzten auf den Schutzschild der Nationalen Raketenabwehr (NMD). Doch warum sollten Terroristen ihr Geld für einen teuren Raketenangriff ausgeben, wenn dasselbe Ziel mit Passagierflugzeugen viel effektiver zu erreichen ist? Der teure und protzige Militärapparat der USA ist offensichtlich auf die neuartigen Herausforderungen nicht eingestellt und durch die neuen Formen politischer Auseinandersetzung verwundbar. Das Pentagon erweist sich als unfähig, mit asymmetrischen Konflikten umzugehen.

Dieses Missverhältnis wurde erstmals 1985 deutlich, datiert aber gewiss schon aus der Zeit vor der Auflösung der Sowjetunion 1991. Und wie bei allen großen historischen Erdbeben gab es auch in diesem Falle warnende Vorzeichen. Schon in der Amtszeit von Präsident Reagan produzierten die ständig steigenden Kosten für den Unterhalt des riesigen globalen Militärapparats zunehmend politische und ökonomische Probleme. Wobei es nicht allein um die Ausgaben für militärisches Personal und Ausrüstung geht. Den größten Kostenfaktor, der für die Aufrechterhaltung der globalen militärischen Vormachtstellung der USA anfiel, stellten die Handelskonditionen dar, die Washington seinen engsten Verbündeten in Europa und in Asien gewährte. Insbesondere den Japanern wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Gegenleistung für die Stationierung von US-Truppen auf japanischem Boden ein unbeschränkter, privilegierter Zugang zu den US-Märkten gewährt.

Bis 1985 war die Zahlungsbilanz der USA gegenüber Japan so stark ins Defizit geraten, dass die Japaner zum größten Gläubigerland avancierten, während die Amerikaner zur größten Schuldnernation wurden. Die politische Notwendigkeit, diese sich rasch verschlechternde ökonomische Verfassung des Landes zu korrigieren, zwang Präsident Reagan und seine Mitarbeiter dazu, dem Rest der Welt eine massive Manipulation der globalen Finanzmärkte zuzumuten.

Im September 1985 vereinbarten die USA und Japan bei einem Treffen der Finanzminister der G 7-Gruppe im New Yorker Plaza Hotel eine radikale Wechselkurssenkung des Dollars gegenüber dem Yen. Die Folge war, dass sich in den USA innerhalb eines Jahres alles, was in Yen bezahlt wurde, um 50 Prozent verbilligte. Der Eingriff in das Dollar-Yen-Verhältnis bewirkte eine gigantische Welle japanischer Investitionen in den USA. Finanzielle Basis dieser Investitionen waren die japanischen Aktiva, die ihren Wert auf dem Weltmarkt praktisch über Nacht verdoppelt hatten.

Mit anderen Worten: Damit die Reagan-Regierung ihren obsessiven Kampf gegen das sowjetische „Reich des Bösen“ fortführen konnte, wandten ihre führenden Köpfe eine politische Strategie an, die auf einen massiven Ausverkauf US-amerikanischer Vermögenswerte hinauslief und bedeutete, dass Washington die Kontrolle über seine Staatsverschuldung weitgehend an eine Satellitenmacht abtreten musste. Als die Ländereien, auf denen der kaiserliche Palast in Tokio errichtet ist, einen höheren Wert erreichten als ganz Kalifornien, zeigte dies an, dass die Kosten für die Aufrechterhaltung des US-Empire politisch und ökonomisch untragbar geworden waren.

Auch die ökonomische Krise in Ostasien, die nach 1997 auf einen großen Teil der Entwicklungsländer übergriff, signalisierte die allmähliche Auflösung der Institutionen, die der Kalte Krieg hervorgebracht hatte. Die großen Konkurrenten Sowjetunion und USA hatten die meisten Staaten der Welt gezwungen, sich für eine Seite zu entscheiden. So hatten sie ein ausgedehntes Netzwerk begründet, um durch Handelsbeziehungen, Militärhilfe bzw. militärische Stützpunkte sowie auf Grundlage diplomatischer Zusammenarbeit die Staaten des eigenen Einflussbereichs bei der Stange zu halten. Nach der Auflösung der Sowjetunion hat sich die Basis der Kosten-Nutzen-Rechnung für die Staaten innerhalb des US-Einflussbereichs drastisch verändert. Ohne das Gespenst der sowjetischen Bedrohung schwand zum einen die Bereitschaft der USA, die Kosten für die Aufrechterhaltung dieses Empire zu tragen, zum anderen aber auch das Bedürfnis der Verbündeten und der Satellitenstaaten, ihre Souveränität den Prärogativen der USA unterzuordnen.

Nach einer gängigen, aber oberflächlichen Interpretation war die Finanzkrise in Ostasien das Ergebnis kapitalistischer „Vetternwirtschaft“, mangelhafter Bankenaufsicht und kurzfristiger Kapitalflucht. Aber letztlich ging der ökonomische Kollaps darauf zurück, dass die USA ohne rivalisierende Supermacht nicht mehr gewillt waren, die alten Verhältnisse in diesen Ländern weiterhin zu tolerieren, obwohl sie selbst diese Verhältnisse häufig genug herbeigeführt oder zumindest abgesichert hatten.

Die USA zwangen die Staaten Ostasiens, in kürzester Frist eine umfassende Deregulierung ihrer Finanzmärkte durchzuziehen, und zwar ohne ein System der Kontrolle und Transparenz, das eine Manipulation der Märkte und irrationale kollektive Investitionsentscheidungen hätte verhindern können. Die Bretton-Woods-Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) waren die Speerspitze, die Südkorea und die Staaten Südostasiens im Auftrag der USA zwangen, jenen neoliberalen ökonomischen Handlungsrahmen zu übernehmen, den das US-Kapital als Preis für seine Investitionsbereitschaft forderte. Diese verfehlte Strategie des IWF und der US-Regierung führte in der ganzen Region zu Überinvestitionen und uneinlösbaren Wachstumserwartungen. Als der Kollaps kam, wurde die entstehende Mittelklasse dieser Länder erneut in die Armut zurückgeworfen, während die US-amerikanischen und europäischen Investoren ihre Schäfchen ins Trockene bringen konnten.

Die Krise von 1997 und 1998, die Thailand, Indonesien, Südkorea, Malaysia, Singapur, Hongkong, Brasilien, Argentinien und Chile erschütterte, wäre zur Zeit des Kalten Krieges mit der Sowjetunion undenkbar gewesen, denn diese hätte unweigerlich versucht, die veränderte Lage in diesen Ländern für sich zu nutzen.

Dass die militärische Führung der USA nach der Auflösung der Sowjetunion unfähig war, über das Konzept einer bloßen Verwaltung des Empire hinauszudenken, zeigt sich am klarsten in der Entscheidung, US-Truppen in Saudi-Arabien zu stationieren. Dazu heißt es in der offiziellen Geschichte der Dritten US-Armee, aufgrund der Aggression gegen Israel und die regionalen Bündnispartner der USA habe im Sommer 1991 „das Königreich Saudi-Arabien den sofortigen Beistand der Vereinigten Staaten angefordert, um das Land vor der Bedrohung durch Mittelstreckenraketen schützen zu können. Die US-Armee reagierte rasch, indem sie zwei Patriot-Luftabwehrbataillone mitsamt einem Brigade-Hauptquartier von Europa nach Saudi-Arabien verlegte.“ Die 7 000 Soldaten sollten eigentlich nur vorübergehend stationiert werden, haben sich nach zehn Jahren aber offenbar auf Dauer eingerichtet. Die militärischen Planer im Pentagon hätten eigentlich bedenken sollen, dass stationierte Truppen nur eine gewisse Zeit lang stabilisierend wirken können. Wie etwa im japanischen Okinawa, wo die vierzig amerikanischen Militärbasen mittlerweile auf starke Ablehnung stoßen. Denn die amerikanischen Militärstützpunkte im Ausland haben in der Vergangenheit die lokalen Konflikte bekanntlich eher radikalisiert als gemäßigt.

Militäranalytiker und Publizisten haben in den US-Medien endlos über die Frage gestritten, ob für die USA in Bosnien vitale Interessen auf dem Spiel stehen, welche die Stationierung von etwa 3 000 Soldaten in Bosnien – und von noch weniger in Mazedonien – rechtfertigen könnten. Dagegen gab es in Washington keinerlei Diskussion über die Stationierung von US-Truppen in Saudi-Arabien. Was eigentlich, so fragt man sich, unterscheidet die Situation im Iran zur Zeit des Schah-Regimes von der im heutigen Saudi-Arabien? Sollte die US-Regierung sich nicht Gedanken darüber machen, welche Auswirkungen ihre militärische Präsenz hat, die in den Augen der saudischen Bevölkerung die Legitimation des Herrscherhauses unterminiert und zudem die Opposition der Islamisten gegen die USA radikalisiert? Derartige Fragen werden beiseite gewischt – entweder mit dem Hinweis, die US-Truppen hätten lediglich die durch den irakischen „Schurkenstaat“ bedrohte Region zu stabilisieren, oder aber weil die Frage überhaupt tabu ist, weil es den USA prinzipiell schwerfällt, sich aus internationalen Positionen zurückzuziehen, in die sie sich militärisch eingegraben haben.

Strobe Talbott, stellvertretender Außenminister in der Clinton-Regierung, hat kürzlich in einer Diskussion argumentiert, die Unterdrückung der Kultur und Identität der Völker des sowjetischen Imperiums habe Teile der Bevölkerung in bestürzendem Maße radikalisiert. Auf die Frage, ob eine solche Radikalisierung nicht auch in Okinawa oder Saudi-Arabien zu erwarten sei, antwortete Talbott, die im Ausland stationierten US-Truppen seien regionale „Stabilitätsanker“.

Auch wenn Ussama Bin Laden international ein Paria ist, sollte man unbedingt seine Äußerungen zu diesem Thema zur Kenntnis nehmen. Es gibt gute Gründe, ihm jede Legitimation, zu reden, abzusprechen, aber Tatsache bleibt, dass viele wohlhabende Eliten in Saudi-Arabien, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Oman und in Kuwait – die angeblich von den USA geschützt werden – die Ansichten Bin Ladens durchaus teilen.

In seinem demnächst erscheinenden Buch gibt Peter Bergen folgende Äußerung Bin Ladens wieder: „Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat die USA hochmütiger gemacht; sie beginnen, sich selbst als Herrscher über diese Welt zu sehen, und haben eine neue Weltordnung etabliert, die sie auch selber so nennen. [. . .] Die USA messen mit zweierlei Maßstab, indem sie jeden zum Terroristen stempeln, der gegen ihre Ungerechtigkeit auftritt. Sie wollen unsere Länder besetzen, uns unserer natürlichen Ressourcen berauben, uns ihre Agenten als Herrscher aufzwingen [. . .] und sie wollen, dass wir alldem auch noch zustimmen.“ Bin Laden ist ein Terrorist, aber seine Worte klingen auf unheimliche Weise ähnlich wie die Kommentare und Ressentiments führender Politiker in vielen Ländern der entwickelten und der unterentwickelten Welt über das unilaterale und arrogante wirtschaftspolitische und militärische Auftreten der Vereinigten Staaten.

Verhinderte Diplomatie

DIESES Ressentiment wäre sicher geringer, wenn Präsident Bill Clinton während seiner Amtszeit seinen ursprünglichen Plan einer neuen Außenpolitik umgesetzt hätte. Er hatte auch tatsächlich nach seinem Wahlsieg über George Bush 1992 versucht, die nationale Sicherheitslogik zu verändern, indem er den ökonomischen Interessen denselben Stellenwert einräumte wie den klassischen Kriterien der Sicherheitspolitik. Dabei hatte er feststellen müssen, dass die militärische Führungsschicht im Gefolge des Golfkriegs jedes Gespür für die ethischen Standards des gemäßigten politischen Lagers verloren hatte.

Im November 1992, noch vor seinem Amtsantritt, hatte Clinton auf dem wirtschaftspolitischen Gipfeltreffen in Little Rock, Arkansas, angekündigt, er wolle die Staaten der Welt in einem Geflecht von nutzbringenden wechselseitigen Wirtschaftsbeziehungen zusammenführen. Die militärischen Eliten wollte er in den Hintergrund treten lassen und mutete ihnen zudem zu, nun auch Schwule und Lesben in ihre Ränge aufzunehmen. Doch das Pentagon ließ sich nicht unterkriegen und behielt am Ende gegen den von persönlichen Skandalen gebeutelten Clinton die Oberhand. Hätte Clinton einen neuen außenpolitischen Kurs eingeschlagen, wären die Vorbehalte gegen sein Land vielleicht nicht derart gewachsen.

Sein Nachfolger, Präsident George W. Bush, hat sich bereits vor seinem Amtsantritt regelmäßig von den Geheimdiensten informieren lassen. Auch sein außen- und verteidigungspolitisches Team mit Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice, Außenminister Colin Powell, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, Vizeaußenminister Richard Armitage und Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz hatte er bemerkenswert rasch nominiert. An der Spitze von FBI und CIA beließ er Louis Freeh und George Tenet, verzichtete also auf die Ernennung eigener, handverlesener Vertrauensleute. Freeh hatte bei der Verfolgung der terroristischen Attentäter gegen das US-Kriegsschiff Cole im Jemen eine Schlüsselrolle gespielt, und Tenet hatte sich vor allem beim Aufspüren der formellen und informellen Gruppen hervorgetan, die den Friedensprozess im Nahen Osten zu stören drohten. Unter informierten Beobachtern kursierte damals die Befürchtung, der Irak – und vielleicht auch der Iran oder Libyen – könnten versuchen, die Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern zu torpedieren, und im darauf folgenden Chaos könnten vielleicht sogar Massenvernichtungswaffen – insbesondere irakische – zum Einsatz kommen.

Bush wusste genau, dass er die öffentliche Meinung nicht mit seinen innenpolitischen Vorstellungen und Zielen gewinnen konnte; also setzte er auf die Außenpolitik. Auffällig ist dabei, dass Bush im Gegensatz zu Clinton sein wirtschaftspolitisches Team mit eher zweitklassigen Leuten besetzt hat. Bush hat sich offenbar auf außenpolitische Themen fixiert. Doch anders als Richard Nixon und Henry Kissinger – die geopolitischen „Realisten“ aus jener Zeit, die man gemeinhin als den Beginn des amerikanischen Niedergangs ansah – bezeichnet sich Bush gern als „Realist“ in einer Zeit des beispiellosen Machtzugewinns.

Gewiss hat Bush die verbrecherischen und schrecklichen Terroranschläge in den USA weder gewünscht noch erwartet. Doch der 11. September liefert ihm den erhofften Vorwand, um den militärischen Apparat aufzurüsten, um die Gespenster zu bekämpfen, die schon seinen Vater verfolgten; insbesondere will er die Auffassung aus der Welt schaffen, wonach Saddam Hussein die Bush-Familie geschlagen hat, sowie sein Popularitätsdefizit beseitigen, das ihm aufgrund seines umstrittenen Wahlsiegs anhaftet. In vielerlei Hinsicht würde eine militärische Konfrontation für Präsident Bush den Rohstoff für eine Politik liefern, die ihn als starken Präsidenten erscheinen ließe. Doch Bush und seine Gefolgschaft wollen immer noch Staaten bekämpfen. Sie haben also immer noch nicht die neue Qualität der Bedrohung im 21. Jahrhundert begriffen.

Die USA fordern heute, dass alle Nationen sich entscheiden müssen, ob sie „für uns oder gegen uns“ sind – als gäbe es eine eindeutige Trennlinie zwischen Gut und Böse. Der Kongress wird Präsident Bush die Mittel und die Kompetenz bewilligen, den militärischen und den nachrichtendienstlichen Apparat der USA aufzurüsten. Die Bürgerrechte werden weiter eingeschränkt werden. Bush wird unser aller Leben verändern, um einen Feind zu verfolgen, den er nicht aufspüren kann.

Wenn Bin Laden der Organisator dieser Massaker war, soll er verfolgt werden, ebenso seine Kollaborateure und seine Beschützer. Aber unsere Energie sollte sich vor allem auf ein anderes Ziel richten: Wir müssen die Verhältnisse verändern, die den Terror ausbrüten; wir müssen unser Denken erneuern und mit Verstand operieren. Der Kalte Krieg ist vorbei. Der Preis, den wir zahlen müssen, wenn wir das nicht begreifen, wird ständig steigen.

In einer Auseinandersetzung mit dem Wesen der wissenschaftlichen Revolutionen betont der Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn, die wissenschaftliche Neuerung sei keineswegs ein linearer Prozess. Vielmehr brächen sich immer dann neue Erkenntnisse Bahn, wenn ein Paradigma, das lange rationalisiert, immunisiert, gerechtfertigt und gegen die Konkurrenz anderer Paradigmen geschützt worden ist, schließlich in sich zusammenbricht. Ein ähnliches – wenn auch keineswegs notwendiges – Schicksal könnte den USA bevorstehen, wenn sie nicht aufhören, sich ihrer beherrschenden Rolle in einer neuen Weltordnung zu rühmen und zu brüsten. In den Vereinigten Staaten sollte man deshalb besser nach vorn denken. Zum Beispiel darüber, wie sich der IWF in eine Beratungsinstanz für die Entwicklungsländer verwandeln ließe, damit diese sich nicht einfach in ihre Rolle von billigen Produzenten für die US-amerikanischen Verbraucher fügen, sondern stattdessen ökonomische Strukturen aufbauen, die eine eigene Mittelklasse und ein langfristiges Binnenwachstum tragen können. In Washington muss man also endlich mit diesen Teilen der Welt zusammenarbeiten, und auch mit den NGOs, die sich für sie engagieren. Mit anderen Worten: Die USA müssten den armen Teilen der Welt mit Verständnis gegenübertreten, statt wie bisher nur mit ihrer Ideologie und ihrem Herrschaftsanspruch.

dt. Niels Kadritzke

* Vizepräsident der New America Foundation,

Washington, D. C.

Fußnoten:

1 Beide fundamentalistischen Fernseh-Evangelisten halfen Bush bei den Vorwahlen der Republikaner, die Erfolgswelle seines gemäßigten Konkurrenten John McCain zu stoppen. Pat Robertson gilt in den USA als ernst zu nehmender Politiker, der durchaus Chancen hatte, zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten nominiert zu werden. Falwell hat sich mittlerweile auch auf Druck des Weißen Hauses für seine Äußerungen entschuldigt.

2 „New World Coming – American Security in the 21st Century“, Publications of the Congress, Washington, D. C., 1999.

3 Siehe Noam Chomsky, „Das Besorgnis erregende Konzept der Schurkenstaaten“, Le Monde diplomatique, August 2000.