Interkontinentale Harmonie

US-Präsident Bush und Kremlchef Putin wollen weiter abrüsten. Doch der beschworene Geist der neuen Beziehungen zwischen beiden Staaten führt nicht automatisch zur Lösung aller Probleme. Strittig sind ABM-Vertrag und Raketenabwehrsystem

aus Moskau KLAUS-HELDE DONATH

Die USA und Russland wollen weiter abrüsten. Nachdem Präsident George W. Bush bereits am Dienstag zum Auftakt des amerikanisch-russischen Gipfels in den USA angekündigt hatte, das US-Arsenal an Langstreckenwaffen auf ein Drittel der bisherigen Stärke zu reduzieren, zog gestern nun auch der Kremlchef nach. „Wir müssen uns nicht länger gegenseitig einschüchtern, um Einigung zu erzielen“, meinte Putin. „Sicherheit wird nicht durch einen Haufen Metall oder Waffen geschaffen“.

Auch Russland wird seine 5.800 Interkontinentalraketen auf ein Drittel abbauen, die USA verfügen derzeit noch über 7.000 atomare Sprengköpfe. Die Bereitschaft zur Abrüstung hatten beide Seiten unterdessen schon im Vorfeld bekundet.

Demonstrativ stellten beide Staatschefs, die sich seit Amtsübernahme Bushs vor knapp einem Jahr zum vierten Mal treffen, den neuen partnerschaftlichen Geist in den russisch-amerikanischen Beziehungen zur Schau. Doch einige Fragen blieben offen. Der Kremlchef besteht darauf, die geplanten Abrüstungsschritte vertraglich zu fixieren. Denn im Unterschied zu Washington hält der Kreml am ABM-Vertrag als unverzichtbare Grundlage der Sicherheitsarchitektur fest. Bush hätte es unterdessen gerne etwas unverbindlicher: „Ich hab ihm (Putin) in die Augen geschaut und seine Hand geschüttelt“, das reiche ihm als Vertrauensbeweis. „Aber wenn Sie es unbedingt auf einem Stück Papier niederschreiben wollen, mach ich auch das gerne.“

Auch das US-Projekt eines Raketenabwehrschirmes (NMD) stört offenkundig noch die volle Harmonie. Als Belohnung für Russlands Wohlverhalten hatte Washington vorübergehend Raketentests ausgesetzt, die indes einen Bruch des ABM-Abkommens bedeutet hätten. Bush und Putin wollen die kontroversen Punkte heute auf der Ranch des US-Präsidenten bei Steak und Pies aus dem Weg räumen.

Das russische Verteidigungsministerium ließ sich nicht von der versöhnlichen Atmosphäre beeinflussen. Dort hieß es, der zunächst einseitig angekündigte US-Abrüstungsvorschlag garantiere nicht den proklamierten Umfang des Abbaus und deren Kontrolle. Militärs und weite Kreise der politischen Elite beobachten mit wachsendem Missmut das kooperative Verhalten des Kremlchefs gegenüber dem Westen. Von dem gelernten KGB-Spion hatten sie genau das Gegenteil erwartet.

Doch damit nicht genug. Auch diesmal klopfte Putin wieder an die Tür der Nato. Russland sei bereit, sich auf das Atlantische Bündnis zuzubewegen, so weit wie dieses darauf vorbereitet sei. Deutlicher hätte er seinen Willen nicht bekunden und die westliche Allianz auffordern können, dazu Stellung zu beziehen.

Hinsichtlich Afghanistan sei man sich auch näher gekommen, meinte Bush. Man habe sich darauf geeinigt, die UN zu unterstützen, die für die Zeit nach dem Krieg eine „breite multi-ethnische Regierung“ favorisieren. Moskau war zunächst gegen eine Beteiligung der Taliban an einer Nachkriegsregierung.

Auf handfeste Ergebnisse, die in Moskau erwartet werden, kann Wladimir Putin noch nicht verweisen. Heimlich hofft man, Washington werde auf Berlin einwirken, Russland die sowjetischen Altschulden zu erlassen oder zumindest umzuschulden. Überdies baut der Kreml darauf, dass, um der Welthandelsorganisation beizutreten, Hindernisse bis 2004 aus dem Weg geräumt sein werden. Ein greifbares, wenn auch bescheidenes Zugeständnis dürfte die Aufhebung des Jackson-Vanik-Verfassungszusatzes sein, das Importe aus der Sowjetunion mit deren Politik gegenüber jüdischen Auswanderern verknüpfte.