Landesumweltminister werden immer kleinlauter

■ Niedersachsen nimmt den Vorwurf der Fälschung gegenüber PreussenElektra zurück: Der Transport verstrahlter Castorbehälter verstoße nicht gegen das deutsche Atomrecht

Hannover (taz) – „Mit aller Intensität wird die Zuverlässigkeit der Kraftwerksbetreiber überprüft“, so versprach es der niedersächsische Umweltminister Wolfgang Jüttner erneut, als der Landtag vorgestern den Skandal um kontaminierte Atommülltransporte debattierte. Jüttner wollte in der von den Grünen beantragten Debatte allerdings „nicht zu denen gehören, die erst das Maul groß aufreißen und hinterher nichts in den Muskeln haben“. Anders als in Hessen, wo die Zuverlässigkeit des Betreibers RWE bereits formell auf dem Prüfstand steht, will Niedersachsens Umweltminister „Konsequenzen für die Zuverlässigkeit erst am Ende des Aufklärungsprozesses ziehen“.

Vor 14 Tagen allerdings waren in Hannover in Sachen kontaminierte Transporte noch viel schärfere Töne zu vernehmen gewesen. Da hatte Umweltstaatssekretär Dietmar Schulz beim Betreiber des AKW Grohnde eine doppelte Buchführung ausgemacht. Zwei Atommüllbehälter, die von außen kontaminiert aus Frankreich angekommen waren, seien zunächst auf Strahlung hin untersucht, dann gereinigt und anschließend erneut gemessen worden, hieß es. In die für die Atomaufsicht bestimmten Unterlagen wurden allerdings nur die Ergebnisse der zweiten Untersuchung eingetragen – und dabei lagen die Werte unter dem Grenzwert. Wer sich so verhalte, dürfe „nicht weiter mit Kernbrennstoffen umgehen“, sagte Staatssekretär Schulz damals.

Vorgestern verkündete Umweltminister Jüttner nun vor dem Landtag: „Der Staatssekretär nimmt den Vorwurf der Fälschung zurück.“ MitarbeiterInnen des Umweltministeriums hätten den Staatssekretär darauf hinweisen müssen, daß die doppelte Messung „normaler Vollzug des Transportrechtes ist“. Zwischenzeitlich hatte sich die PreussenElektra massiv gegen den Fälschungsvorwurf zur Wehr gesetzt. Die Grenzwertüberschreitungen bei den ersten Messungen habe schließlich der TÜV gemessen, und der sei im Auftrag der Landesregierung tätig, teilte das Energieversorgungsunternehmen mit. Dies bestätigte das Umweltministerium. Zwar habe der TÜV die Kontaminationen gemessen, allerdings nicht im Auftrag der Atomaufsicht, sondern des AKW- Betreibers. Deswegen habe der TÜV die Grenzwertüberschreitungen dem Ministerium auch nicht gemeldet. Minister Jüttner findet eine solche Doppelrolle des Gutachters jetzt korrekt.

In der Landtagsdebatte am Donnerstag haben die niedersächsischen Grünen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß zum Skandal um Atommülltransporte beantragt, um das Geflecht zwischen Aufsicht, Gutachtern und Industrie aufzuklären. Den Ausschuß kann die kleine Grünen- Fraktion allein allerdings nicht durchsetzen.

Der Schleswig-Holsteinische Energieminister Claus Möller hat inzwischen zugeben müssen, daß sein Haus über zwei kontaminierte Transporte schon länger Bescheid wußte. In den AKWs des Landes seien insgesamt 66 Transporte aufgetaucht, bei denen der Grenzwert von 4 Becquerel an der Behälteroberfläche nicht eingehalten wurde. Auch das Kieler Energieministerium will nun selbstverständlich die Zuverlässigkeit der Betreiber streng prüfen und hat für kommenden Dienstag die PreussenElektra-Spitze einbestellt. Doch genauso wie im hannoverschen Umweltministerium heißt es auch in Kiel bereits unter der Hand, daß bei dieser Prüfung wohl kaum etwas herauskommen werde – aus juristischen Gründen. Der Grenzwert von vier Becquerel findet sich nämlich weder im Atomrecht noch in der Strahlenschutzverordnung, sondern im Verkehrsrecht – in der Gefahrgutverordnung. Diese Verordnung kenne für Grenzwertüberschreitung nur eine sehr eingeschränkte Meldepflicht. Nur wenn der Grenzwert im eigenen Verantwortungsbereich, im AKW also, um das Zehnfache überschritten werde, müsse dies gemeldet werden, sagt der Sprecher des Kieler Energieministeriums. Noch enger sieht man die rechtlichen Möglichkeiten inzwischen in Hannover. Es sei überhaupt fraglich, ob Verstöße gegen Bestimmungen des Verkehrsrechts Auswirkungen auf die atomrechtliche Zuverlässigkeit haben könnten, sagt die Sprecherin des niedersächsischen Umweltministeriums. Natürlich sieht das ihr Minister genauso: „Wenn man denn die Genehmigung eines Kraftwerks zurückziehen will, muß die Unzuverlässigkeit gerichtsfest sein“, warnte Jüttner vor dem Landtag. Bei der Unzuverlässigkeit von nur einzelnen Personen könne der Betreiber im übrigen seine Zuverlässigkeit durch Austausch des Personals wiederherstellen. Jürgen Voges