Merkel schweigt über neue Atom-Studie

Das Umweltministerium beauftragte selbst Gutachter, radioaktive Flecken auf Atomtransporten zu untersuchen. Merkel bestätigt Existenz des Gutachtens, will aber nichts über den Inhalt sagen  ■ Von Peter Sennekamp

Berlin (taz) – Obwohl Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) vor der Umweltausschußsitzung am Mittwoch angekündigt hatte, sie werde Rede und Antwort stehen, hielt sie auch diesmal Studien zurück. Während Ministerin Merkel veraltete Dokumente präsentierte, liegen ihren Beamten, insbesondere dem Referatsleiter für Atomtransporte, Ulrich Alter, und Wilhelm Collin vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), bereits konkrete Berichte über Grenzwertüberschreitungen vor. Besonders pikant: das Umweltministerium selbst hatte die neuen Studien gemeinsam mit der EU- Kommission bestellt. Auf Nachfrage der taz bestätigte gestern das Umweltministerium die Existenz des neuen Berichts, wollte ihn aber nicht herausgeben. Der neuen Studie ging ein alter Bericht der EU- Kommission voraus, der bereits allgemein das Problem der radioaktiven Flecken auf den Atomtransporten bestätigt.

Er liegt der Europaparlamentarierin der Grünen Undine von Blottnitz vor. Ihre Resümee aus der Lektüre: Das Problem mußte allen bekannt sein. „Haben sie alle gelogen?“ fragte sie in der Nacht zum Donnerstag die EU-Kommissare im Straßburger Parlament. Genüßlich zitierte sie den EU-Bericht (KOM96/11 vom 3. April 1996): „In einigen Fällen ist eine leichte Kontamination der Außenseite einer Verpackung möglich“, steht da. Dies betreffe Atomtransportbehälter, die in AKW mit abgebrannten Brennelementen beladen werden, so der Bericht. Trotz der Reinigung könne „eine geringe Restkontamination zurückbleiben. Die Vorschriften legen Höchstwerte für eine solche Kontamination fest.“ Völlig unstrittig sei, urteilt von Blottnitz, daß dieser Hinweis erst aufgrund konkreter Erkenntnisse der Behörden über Grenzwertüberschreitungen Eingang in das EU-Dokument fand.

Ulrich Alter vom Bundesministerium für Umwelt (BMU) wirkt seit vielen Jahren an diesen Berichten mit und vergibt gemeinsam mit seinen EU-Kollegen Sicherheitsstudien zu Transportproblemen. Das belegen die von Merkel herausgegebenen Protokolle.

Offenbar liegt die neue Merkel- Studie der Berliner Zeitung bereits vor: Die berichtete gestern, Gutachter hätten zwischen 1987 und 1996 Grenzwertüberschreitungen festgestellt und analysiert. Die Zeitung berief sich auf den Bericht der „Ständigen Arbeitsgruppe für den sicheren Transport radioaktiver Stoffe in der Europäischen Union“, der mit Hilfe des BMU, BfS, des Bundesverkehrsministeriums sowie der Bundesanstalt für Materialforschung erstellt wurde. Merkel hat also offenbar die wichtigen Ergebnisse der Gutachter im Umweltausschuß verschwiegen.

Auch aus den USA bestätigte Earl Easton von der US-Nuklearbehörde NRC inzwischen, daß dort vor fünf Jahren kontaminierte Atombehälter entdeckt wurden. Dort hätten AKW-Betreiber aber umgehend die Behörden informiert und nach Lösungen gesucht. Easton hatte noch im vergangenen Jahr gemeinsam mit Ulrich Alter (BMU) Vorträge zu Atommüllproblemen in Tucson in den USA gehalten. An dieser Konferenz nahmen auch Vertreter der Konzerne Cogema und BNFL sowie der RWE teil, die über alle radioaktiven Kontaminationen seit Jahren informiert waren. Zu Treffen dieser Art reisen deutsche Beamte viele Male im Jahr.

Gegenüber der taz bestätigte auch Josef Neubauer, Mitglied im Transport-Sicherheitsausschuß der Internationalen Atombehörde (IAEO) und in der „Ständigen Arbeitsgruppe“, es habe sich in den Beratungen nie um „theoretische Überlegungen, sondern um konkrete Grenzwertüberschreitungen gehandelt“.