Schäuble wäre besser gewesen

■ Zu spät, zu spät: Die Forschungsgruppe Wahlen erklärt der besiegten Union, woran es lag. Die SPD gewinnt bei Angestellten, die Grünen auch bei Beamten. West-PDS bleibt bei gut 1 Prozent

Mainz (dpa) – Die Forschungsgruppe Wahlen führt in ihrer Analyse der Bundestagswahl vom Sonntag den Machtwechsel vor allem auf den Wunsch nach personeller Veränderung zurück. Die Mannheimer Forscher schreiben:

„Die SPD wurde zum zweiten Mal bei einer Bundestagswahl zur stärksten politischen Kraft, vor allem aber wurde diese Wahl von Kohl und der Union verloren. Nach 16 Jahren wollten die Wähler an der Spitze ein neues Gesicht. Nur 39 Prozent wünschten sich Helmut Kohl weiter als Bundeskanzler, 52 Prozent hingegen waren für Gerhard Schröder. Dies ist der größte Vorsprung, der jemals für einen Herausforderer gemessen wurde. Gleichzeitig meinten 41 Prozent der Befragten, daß die Union mit Wolfgang Schäuble als Kanzlerkandidat ein besseres Ergebnis erzielt hätte als mit Helmut Kohl: Nur 27 Prozent waren der Meinung, daß das Ergebnis schlechter ausgefallen wäre, und 28 Prozent glaubten, daß dies keinen Unterschied gemacht hätte. Bei den SPD-Anhängern meinten sogar 47 Prozent, daß die CDU/ CSU mit Wolfgang Schäuble erfolgreicher gewesen wäre als mit Helmut Kohl. Auch wird Schäuble auf einer Skala von plus fünf bis minus fünf mit 1,6 von allen Befragten sehr viel besser beurteilt als Helmut Kohl (0,6) und liegt sogar knapp vor Gerhard Schröder, der mit 1,4 bewertet wurde.

Er war tatkräftiger und sympathischer

Helmut Kohl war für diese Wahl nicht mehr der richtige Kandidat. Ihm wurde nicht mehr die Lösung der Zukunftsaufgaben zugetraut, der tatkräftigere und vor allem sympathischere Kandidat war Gerhard Schröder.

Auch wenn der Wunsch nach einem Wechsel an der Spitze sehr deutlich war, einen Politikwechsel zu Rot-Grün wollte die Mehrheit eigentlich nicht. Eine rot-grüne Mehrheit fanden vor der Wahl lediglich 36 Prozent gut, 12 Prozent war das egal, aber 49 Prozent sprachen sich gegen eine rot-grüne Koalition aus, darunter auch 22 Prozent der SPD-Wähler.

Der klare Sieg der SPD wurde auch dadurch ermöglicht, daß ihr die Deutschen am ehesten die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zutrauten. Das Thema Arbeitslosigkeit war das wichtigste Problem in Deutschland (85 Prozent). Da 42 Prozent der Meinung waren, daß am ehesten die SPD für die Schaffung neuer Arbeitsplätze sorgen könnte, während dies nur 24 Prozent eher der CDU/CSU zutrauten, konnte die Union auch wenig davon profitieren, daß sie bei den Themen Wirtschaft, Finanzen, Kriminalitätsbekämpfung, Währungsstabilität und äußere Sicherheit einen Kompetenzvorsprung vor der SPD besaß.

Möglich wurde dieser Wechsel auch deshalb, weil es der SPD gelang, sich in ihren klassischen Wählerschaften zu behaupten und gleichzeitig einen großen Teil des Wechselwählerpotentials für sich zu gewinnen. So kommt die SPD bei den Arbeitern auf 48 Prozent, bei den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern sind dies sogar 61 Prozent.

Bedeutsam für den Erfolg der SPD war es dabei, daß sie erstmals auch in den neuen Bundesländern inklusive Berlin mit 40 Prozent stärkste Partei in der Arbeiterschaft wurde. Vor vier Jahren lag hier die CDU mit 40 Prozent noch vor der SPD mit 35 Prozent, jetzt erhält die CDU in der ostdeutschen Arbeiterschaft nur noch 25 Prozent.

Noch deutlicher werden die Veränderungen bei den Angestellten, die anders als die Arbeiterschaft auch in den alten Bundesländern weniger über langfristig tradierte Bindungen an eine bestimmte Partei verfügen und deshalb das wichtigste Wechselwählerpotential darstellen. 1994 war die Union mit 38 Prozent bei den Angestellten gesamtdeutsch etwas stärker als die SPD, jetzt liegen die Sozialdemokraten mit 42 Prozent klar vor der CDU/CSU mit 31 Prozent.

Union verliert vor allem bei Frauen über 45 Jahre

Im Gegensatz dazu konnte sich die Union bei den Katholiken weitgehend behaupten, insgesamt kommt sie in dieser Gruppe auf 46 Prozent. Nach wie vor ist die CDU/ CSU außerdem im ländlichen Raum stärker als in Großstädten, in Gemeinden mit maximal 5.000 Einwohnern ist die Union mit 40 Prozent sogar stärkste Partei, hat allerdings dort ihre größten Verluste. In den Großstädten liegt die Union unter 30 Prozent.

Die stärkste Bewegung zwischen den beiden großen Parteien gab es bei den über 45jährigen: Hier hat die CDU/CSU vor allen Dingen bei den Frauen überdurchschnittliche Verluste. Das gilt auch für die über 60jährigen Frauen, die bisher die treuesten Anhänger der Union waren. Dies gilt für Ost und West gleichermaßen.

Daß die Grünen sich als drittstärkste politische Kraft in Deutschland behaupten konnten, ist ebenfalls auf eine überdurchschnittliche Unterstützung bei den Angestellten und Beamten zurückzuführen, wo die Grünen auf 10 Prozent kommen. Darüber hinaus waren sie mit 10 Prozent wieder bei den 18- bis 24jährigen sowie mit ebenfalls 10 Prozent bei den 25- bis 44jährigen erfolgreich. Außerdem haben sie, ebenfalls schon traditionell, in den Großstädten mit 9 Prozent besonders gut abgeschnitten. Allerdings gilt für die Grünen auch nach wie vor, daß sie im Osten gravierende Defizite aufweisen, dort kommen sie nur knapp über 5 Prozent.

Noch deutlicher fallen die Defizite der FDP im Ost-West-Vergleich aus: Die FDP kommt in den neuen Ländern inklusive Berlin lediglich auf 3,6 Prozent, in den alten Ländern ohne Berlin aber auf 7,0 Prozent. Außerdem liegt sie bei den Selbständigen mit 15 Prozent deutlich über ihrem Gesamtergebnis.

Die PDS, die erstmals die 5-Prozent-Grenze knapp überschritten hat, bleibt mit gut einem Prozent im Westen weiter ohne Bedeutung. In den neuen Ländern inklusive Berlin erreicht sie hingegen 19,5 Prozent und hat dort auch höhere Gewinne als im Westen. Ihre besten Ergebnisse erzielt sie dabei im Osten Berlins, wo es sie wieder vier der fünf Direktmandate gewinnen konnte.

Daß die bisherige Bundesregierung im Osten mehr verloren hat als im Westen, hat seine Ursachen nicht nur in der besonderen ökonomischen Situation aufgrund des Einigungsprozesses. Im Osten Deutschlands sind die Bindungen an die Parteien deutlich geringer als im Westen, und damit spielen für die Wahlentscheidungen aktuelle Einflüsse und auch Personen eine wichtigere Rolle. Zwangsläufig fallen deshalb dort die Veränderungen stärker aus und vollziehen sich auch in kürzerer Zeit. Allerdings ist ein solcher Trend auch im Westen zu beobachten. Im längerfristigen Vergleich lockern sich auch hier die Bindungen an die Parteien. Für immer mehr Wähler werden immer mehr Parteien grundsätzlich wählbar, was auch kurzfristige Verschiebungen in größerem Umfang ermöglicht.

Gerhard Schröder paßt zum Wechselwähler

Zu dieser veränderten Struktur in unserem Parteiensystem mit immer größeren Wechselwählerpotentialen hat der Kurs der SPD unter Gerhard Schröder gepaßt: Mit seiner Profilierung als Kandidat der Mitte hat er es auch einem großen Teil der bürgerlichen Wechselwähler erleichtert, sich diesmal für die SPD und gegen eine weitere Amtszeit Helmut Kohls zu entscheiden. Ob die Erwartungen gerade der bürgerlichen Wechselwähler allerdings von einer rot- grünen Mehrheit erfüllt werden können, muß abgewartet werden.“