Die Pflicht zur Zensur

■ Vor dem Amtsgericht München hat der Prozeß gegen den ehemaligen Geschäftsführer der deutschen CompuServe-Tochter begonnen

Allen kann es keiner recht machen. Niemand weiß das vermutlich besser als Felix Somm, Absolvent der Wirtschaftshochschule von St. Gallen, der 1991 die deutsche Tochterfirma des amerikanischen Online-Dienstes CompuServe gegründet und bis 1997 geleitet hat. Seit Dienstag steht er in München vor Gericht. Er habe, heißt es in der Anklageschrift, „in den Jahren 1995 und 1996 wissentlich zugelassen, daß Kinder-, Gewalt- und Tierpornographie aus dem Internet an Kunden gelangen konnte“. Und messerscharf schließt der Staatsanwalt aus den Akten, die ihm seit zwei Jahren vorliegen, daß Felix Somm damit sowohl „vorsätzlich“ als auch „fahrlässig“ gegen das deutsche Gesetz über jugendgefährdende Schriften verstoßen habe.

Kann man mit Vorsatz und zugleich aus Schlamperei eine Straftat begehen? Das Münchner Gericht wird auch diese Frage zu klären wissen. Weit größere Schwierigkeiten wird die Kammer haben, den kurzen Lehrgang über die technischen Grundlagen der Kommunikation mit Hilfe vernetzter Computer zu verstehen, der ihr bevorsteht. Das Amtsgericht betritt blankes Neuland. Säße Somm nicht zufälligerweise auf der Anklagebank, wären die Richter gut beraten, ihn als Sachverständigen zu laden. Der Geschäftsmann darf sich zu den Pionieren zählen. Der Fall CompuServe, der mit seinem Namen verbunden ist, hat weltweit Beachtung gefunden, nur bestand der Skandal nach Meinung der empörten Netzgemeinde just nicht in dem Vergehen, das die Münchener Ankläger Somm vorwerfen. Im Gegenteil. Amerikanische Netizens haben Anfang des Jahres 1996 vielmehr sogar damit gedroht, deutsches Bier zu boykottieren, weil der Deutsche zweihundert Newsgroups auf den Rechnern des amerikanischen Online-Dienstes löschen ließ. Nicht ganz freiwillig, wie Somm eilig versicherte, vielmehr hätten ihn die Beamtem bei der Durchsuchung seiner Geschäftsräume unter mehr oder minder deutlicher Androhung rechtlicher Konsequenzen dazu aufgefordert.

Es hat ihm nichts genützt. Heute geht die Verhandlung weiter, die Anklage hat noch den Vorwurf der rechtsextremistischen Gewaltverherrlichung nachgereicht: Somm soll nicht nur Pornos, sondern auch „Computerspiele mit Anleitung zum gezielten Töten“ sowie „Spiele mit NS-Symbolen“ weitergeleitet haben.

„Ich habe Fehler gemacht, aber keinen zweimal“, sagte Somm dem Online-Magzin des Spiegels, als er letztes Jahr CompuServe verließ. Der Online-Dienst exisitiert heute nur noch auf dem Papier, er ist ihm von seinem schärfsten Konkurrenten, AOL, abgekauft worden. Somm betreibt in der Schweiz eine eigene Beratungs- und Dienstleistungsfirma für Neulinge im Internetgeschäft. Die Adresse (www .somm.com) darf als solide gelten. Der ehemalige Buhman aller aufrechten Netizens weiß, wovon er spricht. Wie schon der Skandal der gesperrten Newsgroups hat nun auch der nachfolgende Prozeß in München eine Bedeutung, die über den unmittelbaren Anlaß weit hinausgeht. Der Fall CompuServe hatte die Frage nach der Zensur im Netz öffentlich zur Debatte gestellt, der Prozeß gegen Somm wird die Pflichten privater Netzunternehmen über das im letzten Jahr verabschiedete „Informations- und Kommunikationsdienstegesetz“ (IuKDG) hinaus präzisieren.

Somm läßt sich von Ulrich Sieber verteidigen, einem der wenigen Juristen, die sich in Deutschland auf diesem neuen Gebiet einen Namen gemacht haben. Für Sieber steht fest, daß Firmen, die nur den Zugang zum Netz vermitteln, für die Inhalte, die ihre Kunden dort abrufen können, nicht verantwortlich sein können. Wären sie das, so trug er am Dienstag dem Gericht vor, müßte auch Bayerns Ministerpräsident Stoiber auf der Anklagebank sitzen, denn der Freistaat bietet mit seinem eigenen, „Bürgernetz“ genannten Online-Dienst einen bislang unzensierten Zugang zu sämtlichen Websites an, auch zu rechtsradikalen und pornographischen.

Mit Somm werde „ein unbescholtener Bürger zum Sündenbock gemacht“, warf Sieber der Anklage vor, das ganze Verfahren „schädigt die Entwicklung des Datennetzes in Deutschland nachhaltig“. Nur weiß Sieber sehr wohl, daß die Rechtslage so klar nicht ist. Er hat selbst die Bundesregierung beraten. Das inzwischen geltende Gesetz stellt Zugangsvermittler lediglich dann frei, wenn sie illegale Daten bloß zu ihren Kunden weiterleiten. Angebote jedoch, die sie auf ihren Rechnern dauerhaft speichern, müssen nach deutschen Gesetz legal sein. Diese Bedingung gilt insbesondere für die Diskussionsforen des Usenets. Wer sie besonders leicht erreichbar anbieten will, muß sie abonnieren und lokal speichern – eine Fundgrube für Denunzianten und staatliche Sittenwächter.

Deshalb halten private Provider heute höchstens eine kleine Auswahl aus den geschätzten 30.000 Newsgroups bereit, weit mehr als die von CompuServe einst gelöschten 200 bekannten Sexforen bleiben ausgesperrt. Von Zensur ist nicht mehr die Rede, das Geschäftsinteresse der Firmen, die das Rechtsrisiko scheuen, hat sich durchgesetzt.

Aber gerade CompuServe bietet seinen Stammkunden auch heute noch im eigenen Netz Newsgroups an, die aus dem Internet importiert werden. Für diesen Teil des Dienstes sei aber allein die amerikanische Zentrale zuständig gewesen, schon deswegen könne Somm als Geschäftsführer der deutschen Tochter dafür nicht verantwortlich gemacht werden, plädierte die Verteidigung. Doch die Staatsanwaltschaft wies kühl darauf hin, das neue deutsche Gesetz habe auch für diesen Fall „Lücken in der Frage der Kontrollpflicht von Online-Diensten geschlossen“. Bei halbwegs begründetem Verdacht dürfte die Polizei demnach auch heute noch jeden Newserver filzen.

Ein als Zeuge geladener Sachverständiger erläuterte dem Gericht zwar, warum es technisch heute noch nicht möglich sei, strafbare Internet-Inhalte automatisch auszusondern. Amerikanische Kollegen, ergänzte Sieber, spotteten bereits über den deutschen Pronofilter, von dem die übrige Welt leider nur noch nichts wisse. Nur beweisen gerade amerikanische Online-Dienste seit langem, daß eine Kontrolle auch anders möglich ist. Nicht nur die Homepages der eigenen Kunden, auch die Newsgroups aus dem Usenet werden auf dem Rechner von CompuServe regelmäßig mit Stichproben nach Inhalten abgesucht, die den eigenen puritanischen Hausregeln widersprechen. Zudem wird der Zugang zu den Themen, die nur für Erwachsene geeignet seien, mit einem zusätzlichen Paßwort erschwert.

Ebendiese Aufsicht über seine Kunden sei der deutschen Tochter schon 1995 zumutbar gewesen, argumentiert jetzt die Staatsanwaltschaft, und das bayerische Justizministerium will eine Niederlage in keinem Fall hinnehmen. Ein Sprecher sagte, der Freistaat werde ein eigenes Gesetz in den Bundesrat einbringen, falls die Gerichte eine Kontrollpflicht der Online-Dienste verneinen. Niklaus Hablützel

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