Neues Stück am Deutschen Theater Berlin: Tote erzählen andere Geschichten

Am Deutschen Theater hat Jan-Christoph Gockel „Der Schimmelreiter / Hauke Haiens Tod“ inszeniert. Zusammengearbeitet hat er mit dem RambaZamba Theater.

Zwei Schauspielerinnen schauen auf eine ausgestopfte Katze

Die tote Katze wird bald reden mit Trine (Almut Zilcher) und Wienke (Zora Schemm) Foto: Armin Smailovic

Trines Katze ist tot. Trine (Almut Zilcher) streicht durch ihr struppiges Fell. Wir, das Publikum im Deutschen Theater, sehen das groß im Video. Neben der blond verstrubbelten Frau steht ein Mädchen, das seinen Vater sucht. Trine erzählt ihr von ihm, Hauke Haien, verflucht soll er sein, denn er schlug ihren Kater tot.

Eine schreckliche Geschichte für das Kind, Wienke Haien. Schaurig ist die Stimmung da schon. Da schlägt der tote Kater ein Auge auf, groß und grün leuchtend. Hörbar erschrocken zieht das Publikum Luft und lacht. Bald spricht der Kater auch, er redet mit Trine über Geister.

Ein Treffen mit Gespenstern, ein skurriler Tanz mit Toten, die dann doch noch sehr lebendig sind, ist die Inszenierung von „Der Schimmelreiter / Hauke Haiens Tod“ im Deutschen Theater. Inszeniert hat Jan-Christoph Gockel ein vorzügliches Zusammenspiel von nicht-behinderten und behinderten Schau­spie­le­r:in­nen aus dem Deutschen Theater und dem RambaZamba Theater.

Viele Bilder sind fantastisch und gruselig romantisch, nicht zuletzt wegen des Mitspiels von toten Tieren, neben der Katze noch ein Pferd, ein Hund, eine Möwe. Sie werden bewegt wie Puppen, sind aber aus den Fellen und Bälgen ehemals lebendiger Tiere. Und liefern nicht zuletzt damit einen Anlass für einen Exkurs über die Würde der Tiere und das Recht auf Verwesung.

Roman von Andrea Paluch und Robert Habeck

Das Stück geht auf einen Roman zurück, den Andrea Paluch und Robert Habeck vor mehr als zwanzig Jahren zusammen geschrieben haben. Sie nahmen Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“ zum Ausgangspunkt. Dort stirbt der Deichbauer, der das Land vom Meer mit neuen Methoden schützen wollte, in den Fluten. In der Umarbeitung von Paluch/Habeck hat seine Tochter die Sturmflut überlebt und macht sich Jahre später auf die Suche nach dem Grund für den Tod ihres Vaters.

Eine verlassene Bar und eine Tankstelle, an der es schon ewig kein Benzin mehr gibt, sind Details im Bühnenbild. Das Meer, sagt ein mitspielender Postbote, gibt es schon lange nicht mehr, nur noch Dürre. Trine, die Kneipenwirtin, malt apokalyptische Szenen im Märchenton aus.

Hieu Pham und Zora Schemm von RambaZamba spielen abwechselnd und zusammen die Tochter auf der Suche nach der Wahrheit. Hieu Pham ist auch Sängerin, mit dem Schlagzeuger Moritz Höhne und Anton Perman, der die Musik komponiert hat, bildet sie eine Live-Band, die spröde, wütend und traurig Wienkes Suche begleitet.

Jeder erzählt ihr eine andere Geschichte über den Tod des Vaters. In den Augen von Ole Peters (Mareike Beykirch), der im Hundepelz herumläuft und nun auf Haiens Land lebt, hat die Flut ihn gestraft für materielle Gier und Betrug. Iven, Hauke Haiens ehemaliger Knecht (Komi Mizrajim Togbonou), der Wienke begleitet, wenn auch widerwillig, weiß eine andere Geschichte: Hauke Haiens Methoden des Deichbaus wären durchaus effektiver und zum Schutz aller gewesen. Aber sie brachten Veränderungen mit sich, die die Dorfgemeinschaft nicht akzeptieren wollte.

Verschiedene Antworten

Woran Utopien scheitern, davon erzählt diese Inszenierung und gibt verschiedene Antworten. Die Lebenden sind sich nicht einig, was der Fortschritt ist und wie viel er kosten darf; die Toten haben noch eine andere Perspektive auf den Verlauf der Geschichte. Diese Stimmenvielfalt ist zunächst verwirrend, dann aber doch ein Gewinn.

Wieder am 7.,13.,18. und 19. Mai im Deutschen Theater Berlin

Eine Geschichte vom Scheitern wird ausgebreitet und interpretiert. Die Form aber, mit dem Inhalt umzugehen, hat selbst etwas Utopisches. Das liegt an der Diversität des Casts und der Arbeit mit den unterschiedlichen Stärken der Mitspielenden. Franziska Kleinert etwa, Fan von Krimis und besonders vom Tatort, hat ihre besonderen Auftritte beim Stichwort „Wasserleiche“ und ermittelt auf ihrer eigenen Spur. Die sprachlichen Ebenen wechseln und verschaffen verschiedene Zugänge.

Einen Tag nach der Theaterpremiere zeigte die ARD den Spielfilm „Die Flut“, der ebenfalls auf der Vorlage von Paluch/Habeck beruht. Die bessere Musik und mehr visuelle Fantasie hat ganz entschieden der Theaterabend. Im Plot des Films geht es zuletzt darum, ein Verbrechen zu rekonstruieren und eine Wahrheit zu finden. Das Theaterstück bleibt offener in seiner Deutung.

Dass ein Teil des Autorenpaares heute Minister ist, trägt sicher zur Beachtung bei und taugt zur Werbung. Aber eigentlich sollte man froh sein, Politiker im Amt zu wissen, die das Nachdenken über aktuelle Konflikte schon in anderer Form geübt haben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.