Semesterticket für Promovierende: Wer promoviert, muss radeln

Dok­to­ran­d:in­nen in Berlin und Brandenburg erhalten seit April kein vergünstigtes Semesterticket mehr. Dagegen regt sich jetzt Widerstand.

Eine U-Bahn fährt in einen Bahnhof ein.

Abgefahren: Wer in Berlin und Brandenburg einen Doktorhut tragen will, muss mehr für U- und S-Bahn zahlen Foto: Christoph Hardt/imago

BERLIN taz | Eigentlich wollen er und die anderen Promovierenden gar nicht wirklich etwas ändern, sagt Martin Konvička. „Wir wollen nur den bisherigen Status zurück.“ Noch im Wintersemester 2023/24 hatte der Doktorand Konvička ein Semesterticket, mit dem er den öffentlichen Nahverkehr in Berlin und Brandenburg nutzen konnte.

Seit diesem Sommersemester, seit es das Deutschland-Semesterticket für rund 29 Euro im Monat gibt, ist das anders. Ein kleines Bündnis aus Promovierenden von Berliner Unis, zu denen auch Konvička gehört, kämpft deshalb dafür, wieder in das Semesterticket eingeschlossen zu werden.

Konvička promoviert in Sprachwissenschaft an der Freien Universität (FU) in Berlin. Ende Januar 2024 wurde er wie gewohnt aufgefordert, den Beitrag für das kommende Semester zu zahlen. Der Preis hatte sich verändert, Konvička reimte sich zusammen, dass das Semesterticket nicht mehr inklusive war – zumindest für Promovierende.

„Es wurde nichts explizit kommuniziert“, ärgert sich der Doktorand. Die Promo­tions­studierenden säßen jetzt zwischen den Stühlen: Obwohl sie immatrikuliert sind, gebe es für sie kein Semesterticket. Viele bekämen aber auch kein Jobticket – je nach Uni und Anstellungsverhältnis. Betroffen sind allein in Berlin rund 8.300 Promovierende.

Deutschlandsemesterticket seit dem Sommersemester

Ende November 2023 einigten sich Bund und Länder darauf, ein Deutschlandticket für Studierende einzuführen. Es kostet 60 Prozent des regulären Preises von aktuell 49 Euro, also 29,40 Euro im Monat und gilt seit dem Sommersemester 2024.

Wie die meisten vorherigen, regional gültigen Semestertickets funktioniert das Deutschlandsemesterticket als Solidarmodell: Wenn sie sich nicht aktiv befreien lassen, zahlen Studierende das Abo automatisch für sechs Monate mit dem Semesterbeitrag. So wird auf einen Schlag eine Menge Tickets verkauft – und das macht die Vergünstigung möglich.

Das Angebot ist zwar bundesweit einheitlich. Ob sie es annehmen und welche Bedingungen dann genau gelten, müssen die Unis mit dem jeweiligen regionalen Verkehrsunternehmen aushandeln. In den meisten Fällen sind die Allgemeinen Studierendenausschüsse (ASten) Vertragspartner der Verkehrsbetriebe.

Mit dem Ausschluss der Berliner und Brandenburger Promovierenden sei die Zahl der Abon­nen­t:in­nen aktiv reduziert worden. Das passe nicht in die Logik des Solidarmodells, sagt Martin Konvička. „Es muss mehr Arbeit gewesen sein, uns auszuschließen, als uns inkludiert zu lassen.“ Nach dem Beschluss im November blieb den ASten und den Verkehrsunternehmen relativ wenig Zeit, Verträge für dieses Sommersemester auszutüfteln. Den Studierendenausschüssen sei die Lage der Promovierenden unter diesem Zeitdruck durchgerutscht, vermutet Konvička.

VBB und ASten verhandeln

Schon im März sagte Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD), dass sie zwar nicht zuständig sei. Ein großer Teil der Promovierenden habe sich aber ohnehin vom Semesterticket befreien lassen. Das haben Konvička und die anderen Promovierenden auf den Prüfstand gestellt. Das Semesterticket-Büro der FU habe ihnen gesagt, dass in der Vergangenheit höchstens 10 Prozent der eingeschriebenen Dok­to­ran­d:in­nen Anträge auf Befreiung gestellt hätten.

Was den Ausschluss der Promovierenden sonst begründen könnte, konnte der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) der taz nicht sagen, weil er mit den ASten aktuell über das Deutschlandsemesterticket für das kommende Wintersemester verhandelt.

Martin Konvička, Doktorand an der Freien Universität Berlin

„Es muss mehr Arbeit gewesen sein, uns auszuschließen, als uns inkludiert zu lassen“

„Auf diese Verhandlungen setzen wir unsere Hoffnung“, sagt Konvička. Das Bündnis trifft sich einmal die Woche, meist kommen fünf bis zehn Promovierende. Im Februar lancierten sie eine Onlinepetition, die sich an die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg richtete. Die Forderung: politische Unterstützung im Streit um das Deutschlandsemesterticket. Das Ziel sind 6.000 Unterschriften, bisher haben 5.725 Menschen unterzeichnet. Ende April organisierten die Promovierenden eine kleine Demonstration am Stralauer Platz in Berlin, nicht weit entfernt vom VBB-Gebäude.

„Viele Leute wundern sich, dass wir uns aufregen“, sagt Konvička. Er und die anderen, die für ihr Deutschlandsemesterticket kämpfen, bekämen oft zu hören, dass sie einfach das Standardticket für 49 Euro im Monat kaufen könnten. 20 Euro Differenz, das sei nicht viel. Vor einigen Jahren sei das Leben in Berlin relativ preiswert gewesen. Das habe sich jedoch extrem geändert, die Mieten steigen, die Inflation treibt die Lebenshaltungskosten nach oben. „Promovierende sind finanziell nicht gerade gut situiert“, sagt Konvička. Da machten 20 Euro mehr oder weniger im Monat einen Unterschied.

Deutschlandticket droht teurer zu werden

Tatsächlich droht der Preis des regulären Deutschlandtickets zu steigen. Für das restliche Jahr 2024 wollen die Ver­kehrs­mi­nis­te­r:in­nen des Bundes und der Bundesländer die Kosten stabil bei monatlich 49 Euro halten.

Als sie sich Mitte April für ihre halbjährliche Konferenz trafen, betonte Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne), dass es das Deutschlandticket 2025 und darüber hinaus geben soll. Zu welchem Preis, blieb offen, weil sich Bund, Länder und Verkehrsverbünde bisher nicht auf einen langfristigen Finanzierungsmechanismus einigen konnten. Wenn das Abo teurer wird, steigen die Kosten für das vergünstigte Deutschlandsemesterticket – zumindest nach der aktuellen Regelung.

Außerdem sind die Arbeitsbedingungen für Promovierende oft nicht rosig. In Deutschland gibt es rund 200.000 Doktorand:innen. Wer das Glück hat, eine Stelle als Wis­sen­schaft­li­che:r Mit­ar­bei­te­r:in zu erhalten, muss in der Regel Lehrveranstaltungen halten, Studierende betreuen und weitere Aufgaben für den Prof übernehmen. Die eigene Forschung kommt oft nur langsam voran. Das belegt die Statistik: 5,7 Jahre benötigen Promovierende im Schnitt bis zum Abschluss.

Umfragen zeigen, dass so gut wie niemand die Promotion innerhalb der Vertragslaufzeit schafft. Kein Wunder: Drei Viertel der Verträge enden nach spätestens drei Jahren. Rund je­de:r sechste Promovierende hatte bei einer Befragung im Jahr 2021 sogar nur einen Kurzzeitvertrag über maximal 12 Monate.

Werden die Arbeitsbedingungen für Promovierende besser?

Möglich macht das das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), das den Hochschulen seit 2007 große Spielräume für befristete Verträge in der sogenannten Qualifizierungsphase bietet – und von Betroffenen und Gewerkschaften stark kritisiert wird. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat zuletzt zwar eine Reform angekündigt, nach der unter anderem bundesweite Mindestvertragslaufzeiten für Promovierende (über drei Jahre) eingeführt werden sollen – juristisch bindend wären diese aber nicht.

Lisa Janotta vom Netzwerk Gute Arbeit in der Wissenschaft spricht deshalb von kosmetischen Korrekturen. „Das Hauptproblem besteht ja weiter. Promovierende werden von ihrem Prof mit Arbeit zugeschüttet und kommen nicht zu ihrer Promotion.“ Gleichzeitig sei der Druck enorm, wenn man später in der Wissenschaft bleiben möchte. Weil es so wenige unbefristete Stellen gibt, ist die Konkurrenzsituation extrem. Wer da mit­halten möchte, weiß, dass das oft nur geht, wenn man Freizeit, Urlaub und selbst den Kinderwunsch hintan­stellt.

Dass die Promovierenden in Berlin und Brandenburg jetzt um ihre Mobilität streiten, frisst auch zeitliche Ressourcen. Das machte das Bündnis bei der Demo am 29. April deutlich. „Statt zu promovieren, müssen wir für etwas kämpfen, was unser Recht sein sollte“, sagte ein Redner, der nicht namentlich genannt werden möchte.

Die Situation der Dok­to­ran­d:in­nen aus Berlin und Brandenburg sticht im Vergleich mit anderen deutschen Unis heraus. Die taz hat knapp 50 Hochschulen in allen Bundesländern kontaktiert und gefragt, ob das Deutschlandsemesterticket für Promovierende gilt.

Die Antwort in den meisten Fällen: Promovierende hätten dann Anspruch auf ein Semesterticket, wenn sie als Promotionsstudierende an der jeweiligen Hochschule eingeschrieben sind – sowohl in der Vergangenheit als auch im aktuellen Sommersemester. Einige Unis ergänzten, dass Promovierende, die nicht eingeschrieben, dafür aber an einem Lehrstuhl angestellt sind, ein Jobticket kaufen können.

Die Berliner Verwaltungen für Verkehr und Wirtschaft haben derweil angekündigt, allen Haupt­städ­te­r:in­nen ab Juli 2024 ein Nahverkehrsabo für 29 Euro im Monatanzubieten. Allerdings gilt das nur innerhalb der Stadtgrenze. Über den Stand der Verhandlungen für das Deutschlandsemesterticket im kommenden Wintersemester 2024/25 gaben auf Anfrage der taz weder VBB noch Studierendenausschüsse genauere Auskunft: Die Gespräche liefen noch, wann und wie sie enden, sei unklar.

Hinweis: Dieser Artikel wurde am 15. Mai 2024 um 17:23 Uhr aktualisiert. Zuvor war die Rede von 7.000 Betroffenen. Dies wurde korrigiert, allein in Berlin sind es rund 8.300 Betroffene. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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