Always-ultra Pipi-Pose

■ Zwischen Nacktheit und neurotischem Manager: Mit "Remake of the Weekend" liefert sich die Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist dem Publikum aus - aber milde

Zum Ortstermin im Berliner Museum für Gegenwart drängen sich die Fernsehteams, von den Fotografen, Radioleuten und Kollegen diverser Zeitungen ganz zu schweigen. Pipilotti hier, Pipilotti da, Pipilotti überall: Ob sie sich nicht mal auf die Treppe setzen könne für eine typische Pipi-Pose? Kein Problem, Pipilotti, kurze, schwarze Haare, weißes Hemd, graue Anzughose (ihr derzeitiger persönlicher Stil, Typ „neurotischer Manager“, wie sie dem Berliner Tagesspiegel verriet), kann. Mit gespieltem Trotz läßt sie sich nieder und schaut nachdenklich auf ihre Schuhspitzen, trotz (oder wegen?) des heftig einsetzenden Blitzlichtgewitters. Das nächste Interview zur Abwechslung im Halbdunkel vor dem Taufbecken, das Pipilotti Rist anläßlich ihrer aktuellen Ausstellung „Remake of the Weekend“ in den ersten Stock des Hamburger Bahnhofs hat hieven lassen? Klar, warum nicht, und ab rauscht Pipilotti, die als „Meisterin der Bildstörung“ mit „ihrer kessen Art“ (laut Spiegel) die Kunstwelt in den vergangenen Jahren im Sturm eroberte, samt einem Pulk Kabelträger im Schlepptau nach oben. Nur einmal gibt es einen kurzen Mißton: Als die von anhaltendem Erfolg verwöhnte 35jährige Schweizerin mit ausgeprägtem Popappeal, seit letzten Sommer hochoffiziell mit der künstlerischen Leitung der Expo 2001 betraut, gefragt wurde, wie sie denn zurechtkäme mit ihrer Rolle als Medienstar. Da kniff sie die Augen zusammen: Eine solche Frage nun ausgerechnet von einem Journalisten, das empfinde sie „geradezu als masturbierend“.

Dabei wäre es gar nicht so abwegig gewesen, auf den Einwurf etwas näher einzugehen. Vielleicht hätten sich dann erhellende Parallelen ergeben, und das ist nicht abwertend gemeint. Schließlich sind die Mechanismen, die bei der Vermittlung von Nachrichten zur Anwendung kommen, und die Arbeitsweise von Pipilotti Rist einander nicht unähnlich. Beide bedienen sich aus dem vergleichsweise schmalen Fundus gesichert geltender Bildtraditionen, setzen auf die Überzeugungskraft eines kollektiven visuellen Gedächtnisses. Die Arbeiten, fünf ältere und eine neue große, die seit heute im Hamburger Bahnhof zu sehen sind und danach noch nach Wien, Grenoble und Zürich wandern, machen da keine Ausnahme.

Die Grundelemente, aus denen Rist ihre Videofilme und Installationen baut, sind sattsam bekannt, sie stammen aus Kino, Werbung, Videoclips oder den Hochebenen der Hobbyfotografie. Diese Ingredenzien werden von Rist freilich gehörig mit Flitter überzogen, durch poppige Farben aufgefrischt und optische Effekte verfremdet, bis das zugrunde liegende Klischee kaum noch zu erkennen ist.

Einer der Filme, die im Hamburger Bahnhof präsentiert werden, zeigt eine Frau im Wald: Immer wieder fährt die Kamera die Gestalt der Nackten ab. Starke Nahsicht und die Wölbung, die durch die Verwendung eines extremen Weitwinkelobjektivs, bewirken seltsames. Regungslos wie tot liegt sie dort, aber es will sich kein Schrecken einstellen. Wie kaum sonst jemandem gelingt Pipilotti Rist die Gratwanderung zwischen Provokation, Ekel und einer durch und durch ästhetisierten Inszenierung. Je länger man davorsteht und die sich wiederholende Videoschleife auf sich wirken läßt, desto mehr wird aus der reizenden Toten ein von Sinn entleerter Körper, aus dem Körper bald eine groteske, mit Glasperlen wunderschön geschmückte Landschaft oder eben ein Akt im Wald – Ophelia.

Dazu kommt bei Rist, falls überhaupt eine Erzählung stattfindet, eine ordentliche Portion anarchischer Witz: In der aus zwei Projektionen bestehenden Videoinstallation am Eingang zur Ausstellung, „Ever is over all“ von 1997, sieht man eine junge Frau im luftigen Sommerkleid fröhlich eine Straße entlanggehen, in der Hand eine langstielige exotische Blume, die sich bald als robust genug erweist, parkenden Autos die Seitenscheiben einzuschlagen. Eine Polizistin beobachtet das Treiben eine Weile, dann grüßt sie freundlich. Das mag zunächst nach arg plakativ artikulierter Frauenwut klingen, ist aber, so die Künstlerin in der ihr eigenen Diktion, eher die Aufforderung, „uneinsichtige Regeln nicht zu befolgen“. Insofern war für Rist, die in ihren Filmen auch oft selbst als Darstellerin fungiert, der Umstand, daß sie die Hauptrollen in „Ever is over all“ mit Freundinnen besetzte, weniger Ausdruck von Protest, als vielmehr schlicht das Naheliegende.

Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Selbst wenn wie in dem „Blauen Leibesbrief“ („meine Titel sind immer Kürzestgedichte“) vermeintlich Gewalttätiges vorgeführt wird, bleibt die Darstellung stets gnädig diesseits des Erträglichen. Ein verletzter Mund, Schamhaare, ein blutverschmierter Slip, das sieht bei Rist, der gelernten Computer-Graphikerin, immer noch zu allererst einfach gut aus. Das soll nicht heißen, daß Pipilotti Rist es sich leicht macht. Im Gegenteil: Sie liefert sich dem Publikum auf eine Weise aus, wie es nur wenige andere Künstler tun.

Auf der anderen Seite zwingt sie den Besuchern nicht mehr eine bestimmte Perspektive auf, wie zum Beispiel in der 1995 im Hamburger Kunstverein vorgestellten Installation „Das Zimmer“, für die sie zusätzlich riesige überdimensionierte Möbel entwarf, um den Betrachter auf Kindesgröße schrumpfen zu lassen. Die Ausstellung im Hamburger Bahnhof ist zum Flanieren gemacht. In dieser Hinsicht, so hat es zumindest den Anschein, ist Pipilotti Rist inzwischen milde geworden. Ulrich Clewing

Pipilotti Rist: „Remake of the weekend“, bis 1. Juni, Hamburger Bahnhof, Berlin. Katalog: 39 DM