Screenings von Neugeborenen: Heiß begehrtes Fersenblut

Das Neugeborenenscreening ist eine genetische Reihenuntersuchung. Sie ist unumstritten. Einige Krankenhäuser nutzen sie jedoch aus.

Wofür wird das Blut aus dem Fuß benutzt? Bild: sabianmaggy | CC-BY

BERLIN taz | Kurz vor oder nach Geburt ihres Kindes werden Eltern hierzulande mit einer Frage konfrontiert: Ärzte oder Hebammen bitten sie um Zustimmung, Blut aus Ferse oder Vene des Babys entnehmen zu dürfen – zwecks Testung auf angeborene Stoffwechsel- und Hormonstörungen.

Dieses sogenannte Neugeborenenscreening am zweiten oder dritten Lebenstag ist eine genetische Reihenuntersuchung. „Das Ergebnis“ der Blutprobenanalyse im Labor, erläutert eine „Elterninformation“ des Universitätsklinikums Heidelberg, „ist noch keine medizinische Diagnose“. Möglich sei aber die Aussage, ob die gesuchten Stoffwechseldefekte „weitgehend ausgeschlossen“ werden können – oder aber eine zusätzliche Untersuchung angeschlossen werden müsse, um festzustellen, ob eine angeborene Erkrankung tatsächlich vorliegt oder nicht.

Dies passiert selten. Laut Heidelberger Elterninformation wird bei etwa einem von 1.500 Babys eine derjenigen mindestens 14 Störungen entdeckt, nach denen per Screening gesucht wird. Heilbar sei keine dieser Krankheiten; frühzeitig erkannt, könnten sie jedoch behandelt und die Symptome gemildert werden, zum Beispiel mittels Medikamenten oder einer speziellen Diät.

Geschehe dies nicht, könne die Unterlassung ernste Folgen haben: Nach Ausbrechen des Stoffwechseldefekts Phenylketonurie – betroffen ist laut Statistik eines von 10.000 Neugeborenen – könne es zur geistigen Behinderung des Kindes kommen; trete Galaktosämie (Risiko 1 : 40.000) auf, drohe schlimmstensfalls ein „möglicher tödlicher Verlauf“. Ähnlich informiert das Berliner Universitätsklinikum Charité junge Eltern, und fett gedruckt betont sein Aufklärungsflyer: „Mit der Teilnahme an diesem Untersuchungsprogramm helfen Sie, die Gesundheit Ihres Kindes zu sichern.“

Proben schnell vernichten

Ob die prägnanten Schriften wissenschaftlich angemessen informieren, haben Datenschützer nicht zu bewerten. Ihre Aufgabe ist es zu prüfen, ob geltende Regeln eingehalten werden, wenn es darum geht, Menschen zur Zustimmung zu bewegen. Für das Neugeborenenscreening gibt es zwei Rechtsgrundlagen: zum einen das Gendiagnostikgesetz (GenDG). Paragraf 13 fordert, genetische Proben „unverzüglich zu vernichten“, sobald sie für den Zweck der Entnahme nicht mehr benötigt werden. Die andere Vorgabe sind die „Kinder-Richtlinien“ des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Sie verlangen, „Restblutproben“ des Babys „spätestens“ nach drei Monaten zu vernichten.

Die Regeln nehmen Bezug auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und Bedenken von Datenschützern. Der Beauftragte in Hamburg hatte schon vor Jahren festgestellt, dass Klinikträger zunehmend bemüht seien, ihre Gewebe-, Blut- und Datensammlungen interessierten Forschern und Arzneimttelherstellern zur Nutzung gegen Entgelt anzubieten; Blutproben, gewonnen auch beim Neugeborenenscreening, könnten so perspektivisch „als mögliche Ressource für die Genforschung dienen“.

Das GenDG gilt seit Februar 2010. Dennoch sind noch immer Papiere im Umlauf, die zum Geiste des Gesetzes nicht wirklich passen. „Sowohl den Flyer der Berliner Charité als auch das Informationsblatt des Klinikums Heidelberg halte ich datenschutzrechtlich für bedenklich“, teilte Juliane Heinrich, Pressesprecherin des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar, auf Anfrage der taz mit.

Charité bricht das GenDG

Die Charité hat offenbar beschlossen, den Vorgaben des GenDG im Regelfall nicht unmittelbar zu folgen. „Eine Vernichtung der Restblutproben“, heißt es in der dort vorgelegten Einverständniserklärung, „erfolgt in Berlin planmäßig erst nach 18 Jahren.“ Begründung: „Um auch später die korrekte Durchführung der Screening-Untersuchungen kontrollieren zu können, empfehlen wir Ihnen diese verlängerte Aufbewahrungsdauer.“

Wer als Sorgeberechtigter nicht bereit ist, diesen – vom geltenden GenDG klar abweichenden – Weg mitzugehen, muss den Charité-Vordruck sorgfältig lesen und dort extra ein Kreuzchen machen, um seine Ablehnung zu dokumentieren. Gleiches gilt für die „wissenschaftliche Verwendung“ von Restblutproben des Babys, auf die es das Berliner Uniklinikum offensichtlich auch abgesehen hat. Eltern, die ihr Veto nicht per Kreuzchen deutlich machen und das Einverständnisformular zum Screening einfach unterschreiben, genehmigen faktisch auch die Nutzung unverbrauchter Baby-Blutreste für Forschungszwecke, die ihnen jedoch nicht näher erläutert werden.

Ähnlich verfährt man am Uniklinikum Heidelberg: Auch dort wird die Filterpapierkarte mit eingetrocknetem Babyblut nur dann „nach drei Monaten komplett vernichtet“, wenn Eltern dies ausdrücklich per Kreuzchen verlangt haben.

Ein Flyer reicht nicht aus

Die Pressesprecherin des Bundesdatenschützers erläutert: „Es reicht nicht aus, dass in einem Flyer auf die längere Aufbewahrungssituation aufmerksam gemacht wird.“

Wer Restblutproben länger als drei Monate aufbewahren wolle, müsse das „ausdrückliche Einverständnis“ der Eltern einholen – und damit anders vorgehen als die Screeningzentren in Berlin und Heidelberg, die im Übrigen nicht die einzigen sind, die das noch junge GenDG recht eigenwillig auslegen.

Zuständig für die Kontrolle der Unikliniken sind die Datenschutzbehörden in den Bundesländern. Solange sie sich jedoch nicht rühren, sind Eltern gefordert, die Einwilligungspapiere genau zu studieren, bevor sie diese unterschreiben oder nicht. Das ist wohl eine Zumutung – ausgerechnet, wenn die Gedanken ganz ums neue Baby-Glück kreisen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.