Schavans Dissertation: „Sie versteckt sich hinter Formalien“

Die Dissertation der Bildungsministerin ist nicht leicht zu beurteilen, sagt Norman Weiss vom Doktorandennetzwerk Thesis. Aber sie müsse sich endlich inhaltlich äußern.

Hält sich bedeckt: Annette Schavan. Bild: dpa

taz: Herr Weiss, haben Sie auch schon Angst, wegen irgendwelcher Nachlässigkeiten Ihren Doktortitel zu verlieren?

Norman Weiss: Ich kenne tatsächlich einige, die sich im Zuge der Schavan-Debatte ihre Dissertationen noch einmal genau angesehen haben. Wahrscheinlich findet man durchaus irgendwo ein Haar in der Suppe. Bei 400 Seiten, die man über vier Jahre schreibt, kann hier und da mal versehentlich eine Fußnote wegfallen. Die Frage ist: Welches Ausmaß nimmt das Ganze an, und steckt Absicht dahinter?

Fast alle Delikte verjähren – außer Mord und Schummeleien bei der Doktorarbeit, oder?

Das Wissenschaftssystem basiert auf Ehrlichkeit. Stellen wir uns vor, jemand fälscht Daten in einer Medikamentenstudie, Menschen kommen zu Tode. Strafrechtlich wäre das irgendwann verjährt. In der Wissenschaft sind die Kriterien anders, und das ganz zu Recht. Der Doktorgrad ist nicht einfach ein Berufsabschluss, sondern die Eintrittskarte ins Wissenschaftssystem. Deswegen sollte der Titel in so einem Fall selbstverständlich entzogen werden. Auch nach 30 Jahren. So jemand hat in der Forschung nichts mehr zu suchen.

Hat Schavan betrogen?

Der Fall ist nicht so klar wie der Fall Guttenberg. Ich habe mich erst richtig einlesen müssen und wage bis heute kein endgültiges Urteil darüber abzugeben, ob sie betrogen hat oder nicht.

ist Vorsitzender des Netzwerks Thesis - Interdisziplinäres Netzwerk für Promovierende und Promovierte e. V. Er lehrt Mathematik und Informatik an der Uni Hildesheim.

Der Gutachter der Uni Düsselsoll von einer „leitenden Täuschungsabsicht“ ausgehen.

In der Arbeit lassen sich zwei verschiedene Plagiatstechniken finden. Einmal das sogenannte Bauernopfer, das heißt: Ich übernehme ein Zitat, mache das kenntlich, aber die übernommene Textstelle ist wesentlich länger, als es die Anführungszeichen signalisieren. Als Zweites findet sich die Verschleierungstaktik: Ich übernehme Schlussfolgerungen und Zitatquellen von einem anderen Autor, ohne diesen selbst zu erwähnen. Möglicherweise hat Frau Schavan einige der Werke, die sie zitiert, nie selbst gelesen und kennt sie nur aus zweiter Hand, ohne das eindeutig kenntlich zu machen. Aus heutiger Sicht sind beide Techniken eindeutig Plagiate.

Aber?

Die Arbeit liegt über 30 Jahre zurück, damals waren die Gepflogenheiten eventuell anders. Wenn man von einer Absicht zur Täuschung spricht, muss man das berücksichtigen.

Sie sehen keine Täuschung?

Ob sie täuschen wollte, ist gar nicht so entscheidend. Eine Wissenschaftsministerin sollte zumindest die heute gängigen Zitierregeln kennen und sich zu ihnen bekennen. Das hat sie nicht getan und sich immer nur herausgeredet. Das kreide ich ihr an.

Stattdessen kommt sie der Universität Düsseldorf mit dem Anwalt …

Als die Vorwürfe aufkamen sagte sie, sie rede nicht mit anonymen Kritikern. Jetzt soll das Verfahren diskreditiert sein, weil das Gutachten vorab durchgesickert ist. Frau Schavan verteidigt sich immer mit dem Verweis auf Formalien. Sie muss endlich inhaltlich zu den Vorwürfen Stellung nehmen.

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