Ganz die alte „Führerschule“

In seinem dritten Buch über das BKA legt Dieter Schenk die braunen Wurzeln des Amtes frei und bringt so die Regierung in eine schwierige Lage

Das Urteil ist vernichtend: „Aus den bisherigen Untersuchungen ergibt sich, dass das Bundeskriminalamt (BKA) von Nazi-Tätern aufgebaut wurde – eine Tatsache, die bis heute schwer zu begreifen ist. 1959 bestand der Leitende Dienst des BKA aus 47 Beamten – bis auf zwei hatten alle eine braune Weste. Für das rechtsstaatliche Selbstverständnis des BKA ist rückblickend als moralische Katastrophe zu bewerten, dass fast die Hälfte der 47 BKA-Chefs als NS-Verbrecher im kriminologischen Sinne bezeichnet werden müssen.“ Dieses Urteil fällt der frühere Kriminaldirektor beim BKA, Dieter Schenk, in seinem Buch über „Die braunen Wurzeln des BKA“.

Es ist die die erste systematische Untersuchung zur Entstehung des Amtes und das dritte Buch von Schenk zum BKA. In dem Tatsachenroman „BKA – Eine Reise nach Beirut“ (1990) durchleuchtete er kritisch das internationale Wirken der Bundespolizei, der er immer wieder die polizeiliche Zusammenarbeit mit Folterregimen und Diktaturen vorhielt. Diese Kooperationen in den Achtzigerjahren waren es auch, die ihn zur Kündigung beim BKA veranlasste. In „Der Chef“ (1998) widmete sich Schenk der Zeit der Terrorismusbekämpfung in den Siebzigerjahren und der herausragenden Persönlichkeit des damaligen BKA-Chefs Horst Herold.

Das neue Buch will Schenk als Abschluss einer Trilogie verstanden wissen. In der Führungsspitze des BKA wird man diese Ankündigung mit Erleichterung lesen. Kaum ein BKA-Kritiker hat sich den Zorn der Behördenspitze so zugezogen wie Schenk – vor allem, weil er als ehemaliger Insider detailliert Behördeninterna vorlegen konnte.

Vier der frühen BKA-Führungsleute benennt Schenk als „Schreibtischtäter“, die an Deportationen von Homosexuellen, Sinti und Roma, und von so genannten Asozialen mitgewirkt hätten. 15 der ersten BKA-Führer waren nach Schenks Recherchen darüber hinaus Mitglieder der Einsatzgruppen in Polen und als Vorgesetzte in die Vernichtung der polnischen Intelligenz verstrickt. Sie hätten die Geheime Feldpolizei in Weißrussland befehligt, „die an der Ausrottung der jüdischen Bevölkerung beteiligt war, und massenweise Menschen als Partisanen oder polnische Kommissare tötete, wenn nur ein fragwürdiger Verdacht vorlag“. Einige hätten bei Exekutionen „selbst Hand angelegt“. Jeder dritte der leitenden BKA-Beamten sei zudem ein früheres Mitglied der Gestapo gewesen.

Die Gründer des BKA haben nach Schenk nicht nur die Organisationsprinzipien und Strukturen des früheren NS-Kriminalpolizei nachgebildet. Sie blieben auch der von den Nationalsozialisten kreierten Kategorisierung verhaftet, wenn sie intern von „Elementen“, „Gewohnheitsverbrechern“, „Asozialen“ oder „Zigeunern“ sprachen, die „auszuschalten“ seien. Penibel rekonstruiert er unter anderem die Vita von sieben Absolventen der „Führerschule der Sicherheitspolizei“ von 1938, die später im BKA Führungspositionen einnahmen – unter ihnen Paul Dickopf, der 1965 zum BKA-Präsidenten aufstieg und der Schenk zufolge in den letzten Kriegsjahren als Doppelagent sowohl dem NS-Geheimdienst wie auch US-Diensten zuarbeitete. Später habe sich Dickopf mit einigem Geschick die Legende eines Widerstandskämpfers zugelegt.

Die „Alt-Kriminalisten“ im BKA um Dickopf, schränkt Schenk ein, „waren keine offen erklärten Nazis, sie fügten sich – nolens volens – den demokratischen Spielregeln des neuen Staates“. In ihren Herzen bewegten sie aber weiter die alten Zeiten, wie Briefe an den „lieben Kameraden Dickopf“ belegten. Schenk zitiert die Haltung Dickopfs mit dem Satz: „Die sicherste Methode, die Demokratie zu zerstören, besteht darin, sie zu übertreiben.“ Paul Dickopf wurde 1970 bei seiner Verabschiedung als BKA-Präsident vom damaligen Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher als „Vorbild für die gesamte deutsche Polizei“ gewürdigt.

Vor dem Hintergrund der in Schenks Buch erhobenen Vorwürfe gegen Dickopf wollte die PDS-Abgeordnete Ulla Jelpke Ende 2001 in einer kleinen Anfrage wissen, ob die Bundesregierung eine amtliche „Korrektur“ der Bewertung der BKA-Entstehungsgeschichte für notwendig erachte. Lapidar heißt es in dem von Staatssekretär Körper verfassten Antwortschreiben vom 3. Dezember: „Das Bundeskriminalamt hat keine nationalsozialistische Vergangenheit. Es ist im Jahre 1951 gegründet worden“. Diese Aussage hat Schenk widerlegt. WOLFGANG GAST

Dieter Schenk: „Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA“, 372 Seiten, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001, 22,90 €