Koketter Retroschick

Interessant gescheitert: „Baader“ von Christoph Roth (Wettbewerb) hat berührende, dichte Szenen – aber noch mehr Löcher im Erzählgeflecht

von STEFAN REINECKE

Am Ende stirbt Baader (Frank Giering) einen richtigen Kinotod. Umzingelt von der Polizei, in Frankfurt 1972, verabschiedet er sich von seinem Kumpan Holger Meins mit den Worten „Wir sehen uns in Hanoi“, dann zieht er zwei Pistolen und wird von hunderten Kugeln zerfetzt. Das sieht aus wie ein Zitat aus „Butch Cassidy and the Sundance Kid“. Dann beugt sich der BKA-Chef Krone (Vadim Glowna), unverkennbar Horst Herold, über den toten Körper und gibt ihm einen langen, letzten Blick. Das sieht aus wie das Finale einer griechischen Tragödie, in der am Schluss immer ein Opfer steht.

So war es nicht. Baader hat sich 1972 ergeben. Aber das ist nicht das Problem: Das Kino darf fälschen, überhöhen, mythologisieren; als Medium der Aufklärung ist es ohnehin nur bedingt tauglich. Auch bei der Stilisierung der RAF, der Übersetzung in Popcodes, der Faszination für Baaders Autofimmel, die derzeit in Mode ist, sollte die Linke nicht allzu puristisch sein. Denn die Politikone ist keine Erfindung der 90er-Jahre. Die Neigung zum einfachen Bild, zum Symbol als Identitätskennzeichen, zum Che-Guevara-Poster, wurzelt in den 60er-Jahren. Der hippe RAF-Retroschick ist nicht Verrat an 68, sondern eher dessen Fortsetzung: gerade in der ziemlich koketten Vermischung von Pop und Politik.

Aber die Abweichung vom Fakt ist nicht das Problem von Christoph Roths „Baader“: Er bleibt in einer unschlüssigen Halbdistanz, irgendwo zwischen Imitation und Fake, zwischen Tatsachentreue und Stilisierung. Es kommt alles vor: Baader, der Macho, für den Frauen Fotzen sind, der coole Gangster, der Autofreak, der über Marx wenig und über BMW-Sportcoupés viel weiß, Baader, der dumme Junge, der 1967 keine Ahnung hat, wer Hubert Humphrey ist, außer dass man ihn „wegpusten“ muss, Baader, der lächerliche Angeber, der Diktator, der Zweifel und Kritik „Fotzenlogik“ nennt und rauswirft, wer „schwach“ wirkt, Baader, der Dandy, der sich 1970 bei der Terrorausbildung bei der Fatah in der jordanischen Wüste nicht von seiner Samthose trennen kann.

„Baader“ ist so etwas wie ein analytischer Film über die erste Generation der RAF. Man sieht, wie in der Illegalität der Druck nach innen wie in einem Kessel steigt, wie die Gewalt jene, die sie anwenden, verkrüppelt. Man sieht, wie die Eskalation zwischen RAF und Staat zum Automatismus wird, den auch die Akteure nicht mehr stoppen können. Roth etabliert in einer gewagten, geglückten erzählerischen Verdichtung Horst Herold (präzise: Vadim Glowna) als Baaders direkten Gegenspieler. Herold, der linke Sozialdemokrat, der heimliche Sympathisant der APO, der zum manischen Terroristenjäger wurde. Einmal treffen sie sich: nachts, an einer Bundesstraße in einem Auto. „Der Computer weiß alles über Sie“, sagt Krone/Herold. „Dass Sie Mickymaushefte lesen und dass sie zu viel Aufputschmittel nehmen.“ Und Baader antwortet: „Und was sagt der Computer zu einem Typ, der sich auf seinen Tod zubewegt, bewusst wie ein Projekt, die Waffe der eigenen Politik“? Das ist eine zärtliche Szene: die beiden Feinde, die wissen, wie nahe sie sich sind, und ahnen, dass sie beide Verlorene sind, bizarr aneinander gekettet. Ein Bild wie aus einem Film von Melville, wenn sich Cop und Gangster vor dem Töten zeigen, dass sie sich respektieren.

Es gibt in „Baader“ ein paar berührende, dichte Szenen – und noch mehr Löcher im Erzählgeflecht. Christoph Roth mangelt es nicht an Ideen, Inspiration und politischem Verstand – aber an Stilsicherheit und Rhythmusgefühl. Die Liebe zwischen Baader und Ensslin (Laura Tonke) ist rätselhaft hohl: kaum ein Blick, kaum Berührung, nur behauptete Intensität. Frank Gierings Baader ist seltsam depressiv und zurückgenommen: Er hat nichts Vitales, das Brutale wirkt bei ihm wie ein Zitat. Und vor allem fehlt die erzählerische Linie, die narrative Logik, die plausible Folge der Szenen. So wirkt das Ganze manchmal beliebig, wie linkisch montiertes Material, das einer Dramaturgie des „und dann, und dann“ folgt.

Leander Scholz hat in dem Roman „Rosenfest“ Baader und Ensslin zu Figuren einer edelkitschigen Lovestory gemacht. Viele Kritiker hielten das für unzulässig: für Geschichtsfälschung und Legendenbildung. „Baader“ ist viel komplexer, tiefer und seriöser als „Rosenfest“. Das Problem von „Baader“ ist nicht die Fälschung. „Baader“ ist nicht zu viel Fiktion, Stilisierung, Kino, sondern zu wenig.

„Baader“. Regie: Christopher Roth. Deutschland 2002, 129 Min.