Die Partei weiß alles, der Wähler nichts

Nur wenige PolitikerInnen outen sich als Lesben und Schwule. Warum, diskutieren Christina Schenk, Reinhard Naumann und Olaf Schwennesen

Interview DOROTHEE WINDEN
und RALPH BOLLMANN

Hält man sich besser bedeckt, wenn man als lesbische Politikerin oder schwuler Politiker noch Karriere machen möchte?

Reinhard Naumann (SPD): Das war für mich keine Perspektive, mit der ich hätte glücklich werden können. Ich habe mir die Frage gestellt: Kann ich ein Verstecken meiner schwulen Identität im politischen Alltag auf Dauer durchhalten? Kann ich lesben- und schwulenpolitische Themen aufgreifen, wenn ich nicht offen auftrete? Das ist auch eine Frage von Glaubwürdigkeit.

Christina Schenk (parteilos, PDS-nah): Für mich wäre das überhaupt nicht in Frage gekommen. Das ist ein zentraler Punkt meines politischen Engagements. Was die Programmatik und die Aufstellung von Kandidaten betrifft, haben Lesben, Schwule und Transsexuelle in der PDS gegenwärtig ganz gute Möglichkeiten. Das ist etwas, womit sich die Partei schmücken kann. Aber auch in der PDS gilt das noch immer als Randgruppenthema.

Sie sind beide eine Ausnahme. Warum halten sich lesbische und schwule Spitzenpolitiker mit öffentlichen Äußerungen so zurück?

Olaf Schwennesen (CDU): Das ist – gerade auch in meiner Partei – noch immer kein Thema, mit dem man Punkte machen kann. Es ist aber auch kein Hindernis mehr. Es wird akzeptiert, aber es hat in der Bevölkerung noch immer einen gewissen Beigeschmack. Deshalb ist oft Zurückhaltung da. Das ist bei Spitzenpolitikern anderer Parteien auch so.

Besteht die Gefahr, dass man auf schwul-lesbische Themen festgelegt wird?

Schenk: Man kann sich dagegen erfolgreich wehren. Aber es stimmt: Mit den so genannten weichen Themen schafft man sich keine gute Basis für eine Karriere. Man muss immer noch ein zweites Standbein haben.

Naumann: Als ich 1989 zum Bezirksverordneten gewählt wurde, bin ich keineswegs als schwulenpolitischer Kandidat aufgestellt worden. Dann kamen aber sehr schnell kommunalpolitische Lesben- und Schwulenthemen auf. Ich habe am Anfang schon mal gesagt bekommen: Mach da nicht so viel. Aber in dem Maße, wie man Kompetenz auch auf anderen Feldern nachweist, kann man auch Akzeptanz erfahren.

Schwennesen: In der CDU besteht die Lesben-und-Schwulen-Union erst seit zweieinhalb Jahren. Wir sind die Spätzünder. Aber man muss auch sehen, wie lange es in der SPD gedauert hat, bis es halbwegs selbstverständlich war wie heute.

Was müssten lesbische und schwule Politiker in der CDU denn befürchten, wenn sie sich offen zu erkennen gäben?

Schwennesen: Wir haben ja offen schwule Bezirksverordnete, beispielsweise in Berlin-Kreuzberg. Auch bei einigen Spitzenpolitikern ist es halbwegs bekannt. Wer sich in der Szene zeigt, der outet sich damit, ohne dass er das auch noch an die große Glocke hängen muss.

Naumann: Das reicht nicht. Junge Lesben und Schwule brauchen Vorbilder. Wenn Minister oder Generalsekretäre, so sie lesbisch oder schwul sind, das ganz selbstverständlich in einer Medienöffentlichkeit leben, dann ändert sich auch etwas in den Köpfen der Menschen.

Aber warum vollführen gerade jene Spitzenpolitiker, die innerparteilich als lesbisch oder schwul bekannt sind, noch immer einen Eiertanz um jedes gedruckte Wort zu diesem Thema?

Naumann: Da müsste ich mich in jemanden hineinversetzen, der sich anders verhält, als ich mich entschieden habe. Ich möchte da nicht spekulieren.

Die Politiker, die es betrifft, können wir nicht fragen.

Naumann: Es hat womöglich etwas mit Angst zu tun, dass man in eine Schublade gepackt wird. Die Frage ist: Wie definieren wir SpitzenpolitikerInnen? Unsere Bezirksbürgermeisterin Monika Wissel hat in ihrer Amtszeit ihr öffentliches Coming-out bewerkstelligt. Die Tatsache, dass sie unverändert im Amt ist, gibt ihr Recht.

Schenk: Das hängt auch von der eigenen Sicherheit ab. Wenn man mit sich selbst nicht im Reinen ist, dann strahlt man Unsicherheit aus, und diese Unsicherheit provoziert mögliche Angriffe. Das Zweite sind die äußeren Bedingungen, auf die man jeweils trifft. Sie dürften zumindest in der PDS kein Grund sein, sich nicht zu outen.

Naumann: Meine Erfahrung ist: Wenn man den Mut gefasst hat, dann erfährt man auch Solidarität. Das ist aber kein Selbstläufer. Man muss sich gegenseitig Lernprozesse zugestehen.

In der SPD dauert dieser Lernprozess schon ziemlich lange. Bei der Bundesregierung hat man den Eindruck, sie wolle ihre kleinbürgerliche Klientel nicht verschrecken.

Schwennesen: Wenn ich mir Justizministerin Herta Däubler-Gmelin anschaue, dann muss ich sagen: Da ist Angela Merkel schon weiter.

Schenk: Sie kommt aus dem Osten.

Gibt es da noch Ost-West-Unterschiede?

Schenk: Ganz enorme! Der Osten war nicht so prüde. Die DDR hatte nicht solche rigiden Vorstellungen, was eine „normale“ Familie ist. Es gab viele Alleinerziehende, eine hohe Scheidungsrate. Religion spielte nicht so eine Rolle. Däubler-Gmelin ist durch den schwäbischen Pietismus geprägt. Das halte ich bei ihr für die entscheidende Bremse.

Naumann: Entscheidend ist, dass die rot-grüne Regierungsfraktion in Kürze einen Gesetzentwurf vorlegt. Dann können wir uns darüber streiten, was in der Tüte drin ist oder nicht.

Wäre es denkbar, dass eine Großstadt wie Berlin in ein paar Jahren einen schwulen Bürgermeister hat – der bei repräsentativen Anlässen mit seinem Gatten auftritt?

Schenk: Ich habe keine Probleme, mir das vorzustellen.

Naumann: Für Berlin, denke ich, ist die Zeit reif. Die SPD könnte es sich auch vor dem Hintergrund ihrer Programmatik gar nicht mehr leisten, aufgrund dieses Kriterium eine Kandidatur zu verhindern. Das würde die Partei erheblich Stimmen kosten.

Wie würde das beim SPD-Mitglied an der Basis ankommen?

Naumann: Die gehen mitunter toleranter und aufgeschlossener an die Thematik heran als mancher Akademiker. Ein Maurer, der mit seiner Sexualität im Reinen ist, würde im Zweifelsfall auch pragmatisch mit den Folgen umgehen, die ein schwuler Bürgermeister oder eine lesbische Bügermeisterin mit sich bringt. Bei der Kandidatenauswahl wird aber nicht die sexuelle Orientierung entscheiden, sondern die politische Kompetenz.

Schenk: Das würde ich bezweifeln. Da spielen auch andere Faktoren eine Rolle, zum Beispiel die Zugehörigkeit zu einem Parteiflügel.

Schwennesen: Deshalb ist es schwierig, festzustellen, ob jemand wegen seiner Homosexualität aus dem Rennen scheidet. In meinem Heimatort Bremerhaven war der ganzen Partei bekannt, dass der Kreisvorsitzende schwul ist. Seine Homosexualität wurde nie als Argument gegen eine Kandidatur verwendet. Das war vor fünfzehn Jahren. Es wird auch heute niemand wagen, so etwas parteiintern oder halb öffentlich als Gegenargument zu verwenden.

Naumann: Ganz so ist es nicht. Als im nordrhein-westfälischen Meerbusch ein CDU-Ratsmitglied als offen schwul auftrat, führte das zu Repressalien, die den damaligen CDU-Generalsekretär Peter Hintze auf den Plan riefen. Keine Partei kann solche Einzelfälle ausschließen. Parteiöffentlichkeit ist das eine, aber ein öffentliches Coming-out ist schon noch mal was anderes.

Schwennesen: Wenn man persönlich dem Wähler gegenübersteht, kann man überzeugend darstellen, dass es nichts Besonderes ist, schwul zu sein. Schwieriger ist es, wenn sich das über die Medien in einem unpersönlichen Raum abspielt. Die Tatsache, dass wir fast keine Spitzenpolitiker haben, deren Homosexualität einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist, zeigt, dass dieser Sprung von der Parteiöffentlichkeit zur Offenheit gegenüber den Wählern nicht gemacht wird. Das ist wahrscheinlich mehr eine Frage des Mutes als eine Frage der Wahlchancen. Da muss sich jeder die Frage stellen: Will ich die Speerspitze sein und dieses Experiment mal riskieren – oder will ich das nicht?

Haben Sie den Eindruck, dass das familienpolitische Papier von Angela Merkel an der Basis schon angekommen ist?

Schwennesen: Die Partei ist im Moment noch in der Meinungsbildung, und die Ansichten gehen sehr weit auseinander. Wir haben von vielen Bundestagsabgeordneten durchaus Zuspruch bekommen.

Naumann: Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten mit anderen Parteien?

Schwennesen: Die Positionen der Lesben und Schwulen in der Union sind weitgehend deckungsgleich mit den Forderunge der Lesben- und Schwulengruppen anderer Parteien.

Wenn die wesentlichen Forderungen erfüllt sind, welche Rolle bleibt dann noch für Lesben- und Schwulenpolitiker?

Naumann: Es könnte sein, dass wir eines Tages feststellen: Der Emanzipationsprozess ist so weit vorangeschritten, dass wir uns anderen Themen zuwenden können. Wir haben in den letzten 20 Jahren viel erreicht. Den Fortschritt muss man sich aber immer wieder erarbeiten. Wenn es uns wirklich so gut geht, dann ist es überraschend, wie lange wir eben über Ängste und Gefahren des Sichtbarwerdens von Lesben und Schwulen geredet haben. Das passt nicht ganz zusammen. Antidiskriminierungspolitik bleibt auf der Tagesordnung.

Aber die eingetragene Partnerschaft wird einen Großteil der Forderungen erfüllen?

Schwennesen: Wenn die eingetragene Partnerschaft verwirklicht ist, wird es heißen: Nun reicht es aber erst mal.

Schenk: Die volle Öffnung der Ehe ist aber auch dann keineswegs der Endpunkt. Es geht um die rechtliche Gleichstellung aller Lebensweisen, nicht um das überlebte Ehemodell. Jede Form von Wahlverwandtschaft muss die Möglichkeit bekommen, sich rechtlich abzusichern. Und zwar unabhängig davon, ob die Partner hetero- oder homosexuell sind und ob sie allein, zu zweit oder zu mehreren leben.

Schwennesen: Das ist dann nicht mehr Lesben- und Schwulenpolitik, sondern Gesellschaftspolitik.

Schenk: Ganz genau.