Berlin braucht keine Provinzuniversität

■  Schlechte Noten für die Unis der Stadt. Doch ein Ranking nach der Zufriedenheit der Studenten ist so aussagekräftig wie ein Schönheitswettbewerb, meint Akademiechef Simon. Worauf es ankommt: außergewöhnliche Professoren und anspruchvolle Studenten statt Kürzungen auf Provinzniveau

taz: Herr Simon, bei Umfragen unter Studenten kommen die Berliner Universitäten auf die hintersten Plätze. Hat die Hauptstadt wirklich die schlechtesten Hochschulen der Republik?

Simon: Es kommt darauf an, wonach man fragt. Sie spielen auf das Ranking des Spiegel an, der nach der Zufriedenheit der Studierenden gefragt hat. Da ist Berlin offenbar am Ende der Republik.

Und wie kommt das?

Das hängt mit der Größe der Universitäten zusammen und mit der werdenden Hauptstadt. In Berlin gibt es eben nichts Idyllisches.

Die Berliner Hochschulen werden aus Finanzgründen kleiner. Kehrt an diesen Schrumpf-Unis dann die Idylle zurück?

Wir können als Hauptstadt nicht wünschen, daß wir die Studentenzahlen einer Provinzuniversität haben. 85.000 Studienplätze bei jetzt 135.000 Studenten – das halte ich schlicht für eine kleinkarierte Katastrophe. Eine Stadt wie Berlin könnte 150.000 Studenten leicht verkraften, sie wären ein ungeheuer belebendes Element. Sicher, wenn wir nur noch 50.000 Studenten hätten, dann könnten wir sie bald einzeln betreuen. Aber ich finde gar nicht, daß Berlin sich anstrengen sollte, im Spiegel-Ranking Platz eins einzunehmen.

Warum?

Weil die Zufriedenheit der Studenten nicht das entscheidende Kriterium ist. Es ist viel wichtiger, daß hier außergewöhnliche Professoren unterrichten, daß hier die beste Wissenschaft der Republik stattfindet. Dann würden sich auch die intellektuell anspruchsvollsten Studenten hier einfinden, die auf Gemütlichkeit keinen großen Wert legen, die sich durchsetzen wollen.

Ist das zwangsläufig ein Gegensatz: gute Studienbedingungen einerseits, exzellente Wissenschaft andererseits?

Nicht zwangsläufig. Aber es gibt einen engen Zusammenhang. Ein exzellenter Wissenschaftler muß viel zu Hause sitzen oder in seinem Labor stehen und arbeiten. Er soll über ein ausgedehntes Geflecht internationaler Beziehungen verfügen. So ein Mann kann nur in einer äußerst beschränkten Zeit für seine Studenten zur Verfügung stehen. Ein junger Wissenschaftler, dem nichts vorhergeht als eine mit Mühe zusammengeschriebene Habilitation, der hat den ganzen Tag Zeit. Der kann sich die Nöte jedes Studenten anhören. Beides in einer Person zu finden, einen großen Forscher und einen großen Lehrer, das ist beinahe ausgeschlossen.

Wie steht es dann um die Einheit von Forschung und Lehre?

Ach, die ist doch längst Fiktion! In den meisten Fächern ist die Forschung so spezialisiert, daß sie sich weit von der Lehre entfernt hat. Die Studenten können ja nicht am äußersten Punkt der Spezialisierung anfangen. Forschung und Lehre sind inzwischen zwei völlig verschiedene Tätigkeiten.

Wenn die Forschung nicht mehr Voraussetzung für die Lehre ist, könnten dann die Professoren mehr als acht Stunden pro Woche unterrichten, wie es die Berliner Finanzsenatorin vorgeschlagen hat?

Das ist ein törichter Vorschlag, weil er alle Leute über einen Kamm schert. Eine Unterscheidung zwischen Lehr- und Forschungsprofessoren könnte dagegen sinnvoll sein. Den Lehrprofessoren könnte man statt der bisherigen 8 leicht 18 Wochenstunden zumuten. Diese Vorschläge sind schon 30 Jahre alt. Wenn man nicht mehr alle Professoren beamtenrechtlich gleichstellt, könnte man das auch über das Gehalt steuern.

In ihrem „Berliner Manifest“ haben die Berliner Universitätsprädenten selbst Reformvorschläge gemacht. Am meisten Aufsehen erregte die Forderung nach Studiengebühren. Können Gebühren wirklich helfen?

Nein. Die Finanzminister werden die Gebühren nicht den Universitäten überlassen, sondern dem Staatssäckel zuführen. Man mag sie wegen ihrer psychologischen Wirkung auf die Studenten für nützlich halten. Aber diese Sekundäreffekte wären es mir nicht wert, einen sozialen Numerus clausus zu riskieren. Es wäre ein Rückfall ins vorige Jahrhundert, wenn man nicht studieren kann, nur weil man kein Geld hat.

Diese Gegenargumente haben manche Befürworter von Studiengebühren zu dem Vorschlag veranlaßt, solche Gebühren erst einmal probeweise an einzelnen Hochschulen einzuführen.

Durch ein solches Experiment erfährt man nichts, was man nicht schon vorher weiß. In der Probephase werden die Finanzminister den Universitäten die Gebühren überlassen. Kaum sind sie generell eingeführt, wird die Verwaltung schon einen Trick finden, um das Geld einzuziehen.

Wo wir schon beim Geld sind: Die meisten Hochschulvertreter in Berlin sagen, alle unsere Probleme kommen nur daher, daß wir hier so wenig Geld haben. Lassen sich denn die Probleme mit Geld alleine lösen?

Sicher nicht. Wenn die Universitäten sagen würden, sie könnten mit ihren bisherigen Etats nichts machen, dann würden sie sich in die Tasche lügen. Sie brauchen nicht mehr Geld, sondern eine absolute Planungssicherheit. Die Sparzwänge, die den Berliner Universitäten innerhalb kürzester Zeit auferlegt worden sind, sind barbarisch. Das muß man schon sagen. Auf der anderen Seite ist dieses Land fast bankrott und das Land Brandenburg auch. Die Finanzminister sparen natürlich dort, wo es am wenigsten Widerstand gibt.

Warum haben die Hochschulen in der Öffentlichkeit einen solch schwachen Stand?

Die wenigen Intellektuellen sind als Wählerpotential nicht besonders interessant. Der Politik und ihrem rationalen Machtkalkül kann man da keinen Vorwurf machen. Wenn der Fachbereich Ägyptologie eingestellt wird, dann ist das doch den Leuten vollständig egal, die morgens 20 Minuten auf ihre U-Bahn warten.

Nach der Wende hat man geglaubt, man könne an der Humboldt-Universität alles besser machen, von einer Elite-Universität war die Rede. Warum hat das nicht funktioniert?

Eine Elite-Universität wäre nur mit einer Neugründung möglich gewesen. Aber die Humboldt-Universität ist ja ein lebendiger Organismus, den Sie nicht von heute auf morgen völlig ummodeln können. Sie können aus einer ehrwürdigen Kuh nicht plötzlich ein elitäres kleines Kälbchen machen.

Potsdam hat beim „Spiegel“-Ranking unter allen Universitäten in Berlin-Brandenburg am besten abgeschnitten. Würden Sie den Berliner Studenten raten, dorthin zu flüchten?

Nein. Allenfalls denjenigen, die dasselbe suchen wie die Studenten, die in Potsdam so positiv geurteilt haben. Dort würden sie aber die idyllische Aura zerstören. Die Berliner Studenten sollen ruhig hier bleiben und ihre Professoren stärker unter Druck setzen. Um diese Rankings gibt es ja immer eine Riesenaufregung. Aber im Grunde ist es wie bei Rankings von Gastwirtschaften oder Schönheitsköniginnen. Kein Mensch würde auf den Gedanken kommen, daß eine „Miss Berlin“ wirklich die schönste Berlinerin ist. Vielleicht ist sie strohdumm, aber sie entspricht irgendwelchen Idealmaßen. Oder wenn man sagt, das Restaurant Vau sei das beste von Berlin: Die französische Küche dort mag exzellent sein, aber ein Eisbein bekomme ich dort eben nicht.

Interview: Ralph Bollmann