Hungern, damit die Flüchtlinge satt werden

■ Ein Pfarrer fastet seit zwei Wochen gegen die Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Herne (taz) – Eigentlich ist er ein Schwergewicht. Pfarrer Harald Rohr ist kräftig. Sein eisgrauer Bart, sein lauter Baß, sein Amt – das alles gibt ihm Autorität. Trotzdem hat er ein drastisches Mittel gewählt, um seinem Anliegen Gehör zu verschaffen.

Harald Rohr ist im Hungerstreik gegen die geplante Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Seit dem 31. März trinkt er nur noch Wasser. Heute sind es 14 Tage: „Drei, vier Tage fühlte ich mich richtig schlecht. Dann kam eine Art Hochplateau, dann wieder eine Krise.“ Doch sein Fasten sei nur „ein Köder“, damit die Medien über das „Ungeheuerlichste, was in der Bundesrepublik je Gesetz werden sollte“ berichten. Eine wohlkalkulierte politische Aktion sei der Hungerstreik, beteuert der Protestant Rohr, nicht religiöse Askese: „Mit der Fastenzeit hat das nichts zu tun.“ Er hungere, weil er nicht wolle, daß Flüchtlinge „in diesem Land hungern, das vor Nahrung nur so überquillt“.

Der neue Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, ausreisepflichtigen sowie geduldeten AusländerInnen den Anspruch auf Sozialhilfe zu entziehen. Illegal eingereiste Menschen, ehemalige DDR- VertragsarbeiterInnen aus Vietnam, die nicht zurück wollen, und Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien sollen von deutschen Sozialämtern keine Unterstützung mehr erhalten. Das Kalkül ist einfach: Ohne Geld oder Bezugsscheine für Lebensmittel und Kleidung können die Flüchtlinge in Deutschland nicht leben und müssen das Land verlassen. „Unmoralisch“, sagt Pfarrer Rohr dazu immer wieder. So, als glaube er, Politik bewege sich in den Kategorien von Moral.

Am Ostersamstag sitzt der Pfarrer auf einem Campingstuhl in der Herner Fußgängerzone. Ein Dutzend UnterstützerInnen haben sich handgeschriebene Plakate vor den Bauch gehängt und sprechen PassantInnen an: Sie sollen an ihren Bundestagsabgeordneten schreiben, er möge der Gesetzesverschärfung nicht zustimmen.

Solche Aktionen kennen die HernerInnen von Harald Rohr. Statt einer Gemeinde leitet der Pfarrer ein „Info-Zentrum 3. Welt“. Schon in den Siebzigern hat er in der Fußgängerzone gestanden und gegen die Apartheid und für fairen Handel mit Lateinamerika demonstriert. Die einst fernen Schäfchen des Drittweltpfarrers landen jedoch immer öfter direkt in Herne, als Zwangsprostituierte aus Osteuropa oder als AsylbewerberInnen aus Afrika. Die Solidarität, die Pfarrer Rohr von seinen MitbürgerInnen einfordert, ist konkreter geworden. „Wenn Sie mir was vorlegen, unterschreibe ich doch immer“, sagt eine alte Frau.

Doch die meisten HernerInnen fassen die Tüten mit den Ostereinkäufen fester und hasten vorbei. Einige bleiben auch stehen vor dem zerzausten Pfarrer hinter seinem Tapeziertisch und schimpfen los. Dann nennen sie Harald Rohr die Plätze, „wo die Bosnier den ganzen Tach rumhängen und unsereiner muß malochen“. Um ihre Schimpfkanonaden los zu werden, lassen sich die HernerInnen sogar naßregnen. „Alle Zukunftsängste werden auf Flüchtlinge projiziert“, weiß Rohr. Klar müßten die Bosnier rumhängen, schließlich hätten sie keine Arbeitserlaubnis. Der Ton ist rauher geworden, auch im Ruhrgebiet, wo in vielen Grundschulen seit Jahrzehnten auch Türkisch unterrichtet wird. „Die Türken sind aufenthaltsberechtigt, das ist Champions League.“ Das komplizierte Ausländerrecht erklärt Pfarrer Rohr anhand einer Fußballtabelle. Da gilt sogar noch die befristete Duldung als Uefa-Cup- Platz. „Aber hier geht's um die Abstiegsplätze“, die „Duldung“ und „Grenzüberschreitung“ heißen. Flüchtlinge mit diesem Status wären vom neuen Gesetz betroffen.

Wohl fühlen sich viele sozialdemokratischen Bundestagsabgeordnete nicht bei dem Gesetzentwurf, den ihre Partei in den Bundesrat gebracht hat. Auch einzelne Abgeordnete von FDP und CDU halten das Gesetz für zu scharf. Würde bei der Abstimmung im Bundestag der Fraktionszwang aufgehoben, könnte das Gesetz scheitern. „Aber so etwas passiert nur beim großen Lauschangriff. Denn da waren ja Anwälte, Ärzte und Journalisten betroffen, nicht Flüchtlinge ohne Lobby“, sagt Rohr. Deshalb habe er zum Mittel Hungerstreik gegriffen. Den will fortsetzen, „aber nicht bis zum letzten“. Robin Alexander