Umweltschutz und Beziehungen: Wie grün ist die Liebe?

Warum hält Ihre Beziehung? zeo2 fragte den grünen Umweltminister Robert Habeck und Andrea Paluch.

Welche Rolle spielt Klimakultur in einer Liebesbeziehung? Bild: dpa

Frau Paluch, Herr Habeck, wer dreht bei Ihnen immer die Heizung ab und wen regt das wahnsinnig auf?

Paluch: Er dreht sie ab.

Weil er der Energiewendeminister ist?

Paluch: Nein, weil er das Blubbern nicht hören kann.

Wer von Ihnen ist der größere Öko?

Paluch: Robert macht die Sachen im großen Maßstab, und ich mache sie im kleinen.

Im Kleinen versagt er also?

Paluch: Ach, darum geht es? Wo er versagt?

Robert Habeck ist stellvertretender Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und Deutschlands einziger Energiewendeminister. Früher schrieb der studierte Philosoph Romane, und zwar zusammen mit seiner Frau, der Schriftstellerin und Legasthenieberaterin Andrea Paluch. Das Paar hat vier Kinder, alle Jungs, und lebt in Flensburg. www.paluch-habeck.de

Habeck: Du kannst alles sagen.

Paluch: Er macht alles, was ich will.

Isst er Fleisch?

Paluch: Ja.

Kauft er ein?

Paluch: Ja, leider. Ich sage immer, lass das mit dem Einkauf, aber dann will er es machen und kauft lauter Sachen, die keiner essen will.

Habeck: Das stimmt nicht.

Was kauft er denn?

Paluch: Wurst verschiedenster Herkunft, von der man nicht weiß, was drin ist.

Aber dann kracht es?

Habeck: Nein, es kracht nicht, es wird geschwiegen. Mein Einkauf bleibt liegen. Den esse ich dann in den nächsten zwei Wochen weg und dann ist das auch wieder geheilt.

Übertreibt Ihre Frau es mit der Ökokultur?

Habeck: Nein, ich finde das super. Nur im Winter gibt es etwas viel Kohl in der Biokiste.

Paluch: Du bist doch gar nicht so oft zu Hause, du merkst es doch gar nicht.

Habeck: Die Reste sind immer Kohl.

Nervt Sie die Energiewende, Frau Paluch, weil Ihr Mann da zu viel Zeit investiert?

Paluch: Nein, gar nicht. Das ist für mich auch nicht Öko, sondern ein industrielles Projekt. Dass man dabei die Leute nicht vor vollendete Tatsachen stellt, sondern transparente und partizipative Prozesse organisiert, ist so wichtig; das kann man nicht zu viel machen.

Sie haben also Verständnis?

Paluch: Nein, das hat mit Verständnis nichts zu tun. Ich glaube, das ist richtig und vernünftig, und deshalb muss man es machen.

Wie kommen Sie mit seinem großen Dienstwagen klar, Frau Paluch?

Paluch: Er fährt den grünsten dieser Dienstwagen. Ich hatte ihn auf Krawall gebürstet und er ist dann ganz mutig zu seinem Fahrer gegangen und hat gesagt: Diese Autos gehen ab jetzt nicht mehr.

Habeck: 131 Gramm CO2. Davor hatte ich einen Hybrid, der mit 119 Gramm angegeben war, aber die Verbrauchsangabe stimmte überhaupt nicht. Aber das war wirklich anfangs ein Problem für uns beide, wenn dieses große Auto vor dem Haus stand.

Und jetzt?

Habeck: Steht es nicht mehr da. Der Fahrer fährt wieder weg.

Was ist mit der Bahn?

Habeck: Mach ich, wenn es passt. Aber wenn Sie Ihre Kinder abends noch sehen wollen, geht das nicht. Ich fahr lieber Zug, aber noch lieber sehe ich meine Familie.

Väter, die abends für Ihre Kinder da sind, das ist ein gesellschaftlicher Wert. Umweltbewusste Mobilität nicht.

Habeck: Das hat mit Gesellschaft nichts zu tun.

Sondern?

Paluch: Er ist ein Sehnsuchtstyp, er muss nach Hause kommen. Nicht, weil wir das unbedingt wollen, sondern weil er das braucht.

Wohin fliegen Sie?

Habeck: Im Job selten. In den Urlaub ab und zu. Die Orte, wo man mit dem Zug hinkommt, machen wir gern mit dem Zug. Italien, zum Beispiel. Für uns schwingt da 90iger Interrail-Romantik mit. Da müssen die Jungs dann halt mit.

Frau Paluch, Sie definieren ganz offensichtlich das ökokulturelle Niveau der Familie. Auf welcher Grundlage?

Paluch: Die Grundlage ist, dass wir uns damit wohlfühlen.

Heißt?

Paluch: Angefangen hat es damit, dass Robert „Tiere essen“ von Jonathan Safran Foer gelesen und gesagt hat: Ich esse nie wieder Fleisch.

Warum lachen Sie?

Paluch: Eine halbe Stunde später sind wir zum Essen, und dann war es wieder anders. Aber dann wurde einer unserer Söhne Vegetarier.

Was brachte ihn dazu?

Habeck: Er machte ein Praktikum bei einem Züchter, der Galloway-Rinder auf halboffenen Weiden hält. Diese Rinder werden nicht geschlachtet, sondern mit dem Gewehr geschossen. Da war er dabei und das fand er in Ordnung. Aber dann hat er auch gesehen, wie ein anderes Rind mit Bolzenschuss- Betäubung getötet wurde. Da kam er nach Hause und sagte: Wenn ich Fleisch esse, dann nur noch von glücklich erschossenen Tieren. Und bald darauf war er der konsequenteste Vegetarier der Familie.

Bekehrt er andere?

Paluch: Nein, er verschont alle mit seiner Meinung und erwartet dafür Respekt für seine Haltung. Aber den kriegt er natürlich nicht. Fleischesser sind ja sehr aggressiv.

Wie ist es bei Ihnen?

Paluch: Das größte Aha-Erlebnis habe ich, seit ich bei einer Frau in der Nachbarschaft esse, die einmal die Woche vegan kocht. Normalerweise bin ich nach dem Essen müde. Nach dem veganen Essen war ich aber total fit, energiegeladen und gut drauf. Ich dachte: Wie geil ist das denn?

Daraufhin haben Sie ganz umgestellt?

Paluch: Naja, wir essen nur manchmal vegan und auch nicht komplett vegetarisch, aber wir kennen unsere Kühe.

Habeck: Die Einkaufs- und Ernährungsfrage ist für mich schon ziemlich anstrengend. Da hat sich etwas in der Familie entwickelt, bei dem ich Gefahr laufe, den Anschluss verlieren.

Heißt?

Habeck: Früher war ich der Held mit meinen Eierkuchen. Heute heißt es: Die schwimmen ja in Fett, und keiner will sie mehr essen.

Paluch: Unser Vegetarier macht halt bessere.

Habeck: Früher war es toll, wenn ich sagte: Heute abend grillen wir. Heute heißt es: Wir wollen das tote Tier nicht mehr sehen. Jetzt kann ich nur noch den Rasen mähen.

Paluch: Selbst das schaffst du nicht.

Habeck: Jetzt reicht’s aber.

Wir spüren bei Ihnen eine gewisse Bockigkeit gegenüber ökologischem Lebensstil – und das als Grüner Minister. Woher kommt das?

Habeck: Weiß nicht. Vielleicht weil ich versuche, mich im politischen Alltag von Ritualen möglichst freizumachen. Aber wenn ich zum Bauernverband gehe, dann denken alle: Ah, da kommt der Grüne, der will bestimmt kein Fleisch essen und nur Biogemüse.

Ja, und?

Habeck: Dieses Ökosein ist für mich ein Stigma, wie dass Politiker Schlipse tragen und immer nichtssagend reden.

Was tun Sie?

Habeck: Es geht nicht darum, was ich tue, sondern was ich als Haltung verkörpere. Wenn ich vom Bauernverband nach Hause fahre, Andrea, und du rufst an und sagst, bring‘ noch ein paar Liter Milch mit, dann nehme ich halt die erste Abfahrt und wenn da ein Aldi kommt, dann kaufe ich die Milch halt dort. Wenn ich das beim Bauernverband erzähle, dann klatschen sie alle und sagen: Gottseidank, endlich mal kein grünes Besser-Menschentum.

Aber?

Habeck: Wenn ich mit der Milch nach Hause komme, kriege ich von euch eins zwischen die Hörner.

Paluch: Kannst Du das Private und das Öffentliche nicht trennen?

Habeck: Für mich ist es ein Problem, als Grüner Umweltminister sagen zu müssen: Ich gehe nicht mehr zu Aldi, sondern nur noch zu Top-Bioläden, ich ernähre mich nur noch vegan und trage nur noch Klamotten mit Top-Siegel.

Ist das nicht die Vorbildfunktion eines Grünen Ministers?

Habeck: Nein, das ist eine Sackgasse. Wenn ich fliege oder Fleisch esse, predige ich Wasser und trinke selber Wein. Wenn ich aber kein Fleisch esse und niemals Milch bei Aldi kaufe, predige ich das bessere Menschentum. Das würde als abgehobene Lebensstil-Vorschreiberei verstanden.

Sie glauben, ein Ökolebensstil würde Ihnen politisch schaden?

Habeck: Definitiv. Ich verlöre den Anschluss an viele Menschen. Damit wäre ich nicht da, wo die Gesellschaft ist, für die ich Politik machen will. Der Preis ist, dass ich den Anschluss an meine Familie verliere.

Paluch: Nicht an alle. Wir sind ja keine Ökofamilie, die Ökos sind zwei von sechs.

Habeck: Ich könnte ja zumindest halb dazu gezählt werden. Zweieinhalb.

Paluch: Naja.

Ach, jetzt doch wieder?

Habeck: Wenn die Lebensphase als Politiker vorbei ist, wird das viel leichter. Wenn ich nicht ständig gefragt werde, ob ich Vegetarier bin oder welches Auto ich fahre, sondern ich es einfach machen kann. Aber als Ökominister wäre das sofort eine Rolle, und das hasse ich wie die Pest.

Sie könnten die Ökomoderne und die klimakulturelle Emanzipation auch als Freiheitszuwachs verstehen und in Ihre politische Argumentation einbauen?

Habeck: Falls Sie auf die grüne Freiheits- Verbotsdebatte anspielen: Meiner Meinung nach ist die Entwicklung politischer Bahnen das Entscheidende, aber innerhalb der Bahnen könnten wir toleranter sein. Wir müssen eine emanzipatorische Politik machen, aber wir müssen nicht den anderen jeden Firlefanz vor die Nase halten.

Sie erleben das klimabewusstere Leben nicht als Freiheitsgewinn?

Habeck: Ich dachte eigentlich, wir reden in diesem Gespräch über die Liebe.

Wir reden darüber, welche Rolle Klimakultur in einer Liebesbeziehung spielt.

Paluch: Ich habe schon gehört, dass Beziehungen am Essen zerbrochen sind.

Habeck: Ich weiß, dass sich WGs darüber zerstreiten, dass man die Milchtüte falsch reinstellt, so war das bei mir auch. Aber die WG habe ich auch nicht geheiratet. Wenn man sich liebt, dann steht doch diese Liebe im Vordergrund und nicht die Milchtüte.

Das heißt?

Habeck: Ich glaube, wenn wir beide die Gesellschaft grundsätzlich anders sehen würden – und ich rede hier nicht von Milchtüten – dann wären wir nicht zusammen. Ich habe mich in Andrea verliebt, weil sie Freiheit als Lebensmotto verkörpert. Andrea hat alles in Frage gestellt, nicht nur den Stundenplan der Uni und den Alltag, sondern alle Konventionen. Und macht es noch immer. Das ist gelebtes Glück, die Dinge nicht so zu machen, wie man sie immer gemacht hat.

Paluch: Sondern sie zu verbessern. Darum geht es. Man ist ja nicht Öko, weil man Öko sein will. Sondern weil man etwas verbessern will. Seinen Gesundheitszustand oder den Weltfrieden.

Das ist der Grundkonsens Ihrer Parterschaft?

Habeck: Der Grundkonsens ist, den kleinen Scheiß nicht überzubewerten. Wir sind seit 20 Jahren zusammen, wir haben vier Kinder, wir haben zusammen Bücher geschrieben. Würden wir uns da in die Wolle kriegen, weil es die falsche Wurst gibt oder gar keine oder um die Frage des richtigen Ketchups, das wäre doch erbärmlich. Wenn wir irgendwann aufhören, uns zu lieben, dann können wir uns auch über Ketchup streiten. Aber in dieser Reihenfolge.

Unsere These lautet: Öko gehört nicht einmal zum Werteportfolio der gebildeten Mittelschicht, deshalb streiten wir uns nicht darüber.

Habeck: Das stimmt doch nicht. Der Streit über die ökologische Moderne hat die Zusammensetzung der Bundesregierung bestimmt.

Sie meinen, die Aufregung um einen fleischfreien Kantinentag?

Habeck: Ja, klar. Der Wertekanon hat den Wahlkampf für die Grünen negativ beeinflusst. Hätten alle gesagt, das ist ja mal eine tolle Idee, dass die Kantinen einen Tag in der Woche fleischfrei kochen, und das übertragen wir darauf, welchen Strom wir nutzen, welche Kleidung wir tragen, welche Autos wir fahren: Dann wären die grünen Wahlwerte durch die Decke gegangen und wir hätten eine andere Regierung. Der Streit um Lebensstilfragen ist sehr präsent, nur wirkt er sich eben negativ aus für den, der sie stellt. Die Gesellschaft hat einen Lebensstil mit ökomodernen Werten noch nicht definiert. Die Bundestagswahl war eine Abstimmung darüber, dass wir mit diesem Thema nicht behelligt werden wollen. Habeck: Zu Recht. Mein politisches Ziel ist es eher, dafür zu sorgen, dass sich die Rahmenbedingungen verändern, als dass sich das individuelle Leben der Menschen verändert.

Das ist der offizielle Grünensprech.

Habeck: Finden Sie das falsch?

Nein, aber ungenügend.

Habeck: Wir haben in Schleswig-Holstein 3,5 Prozent Biooanteil – und das seit 20 Jahren. Das ist ein hochproduktives Agrarland. Darauf zu setzen, dass die Nachfrage nach Öko die anderen 96,5 Prozent dazu bringt, Öko zu werden, ist illusorisch. Und trotzdem müssen wir Gewässer schützen und Tiere vernünftig halten. Und wenn sich jemand Ökostrom nicht leisten kann oder will, dann müssen wir trotzdem wegkommen von Atom- und Kohlestrom. Meine Aufgabe ist es, das politisch zu regeln. Dafür brauche ich aber auch Zustimmung von denen, die nicht Biobauern sind oder Ökostrom beziehen.

Die totale Entkopplung von Politik und Lebensstil funktioniert aber auch nicht.Wie wollen Sie eine gesellschaftliche Mehrheit für Ihre Politik, wenn die Glücksvorstellung der Gesellschaft eine Currywurst aus Massentierhaltung ist.

Habeck: Die Dinge nicht so zu machen, wie man sie immer gemacht hat, heißt nicht in erster Linie, Konsequenz bis zum Tod. Das ist auch eine Absage an Ökospießertum und ein Plädoyer für eine gewisse Lässigkeit.

Es gibt Liebespaare, wo die eine den anderen nicht küsst, wenn er Fleisch gegessen hat.

Habeck: Jemanden nicht zu küssen, weil er eine Currywurst gegessen hat oder auch eine Kohlrabi, entwertet Küssen. Leberwurst ist voll eklig.

Paluch: Stimmt. Aber was ist wichtiger? Doch wohl küssen, oder?

Interview: Hanna Gersmann und Peter Unfried. Der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 3/2014. Den Text können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.