Keine Lösungsvorschläge

■ Was von den neuen Medien übrigblieb: Joseph Kosuth über sein Projekt "Berliner Chronik" in Zusammenarbeit mit der taz und dem Berliner Kunst-Werke e.V.

Sie wurden 1968 mit dem Aufsatz „Art after Philosophy“ zum Vordenker der Konzeptkunst. Eine Forderung war, daß Kunst sich von der Ästhetik absetzen und die Probleme formaler Kriterien beiseite lassen soll. Wie ist das zu verstehen?

Kosuth: (lacht) Ach, Sie dürfen nicht vergessen, daß ich gerade 23 Jahre alt war, als „Art after Philosophy“ herauskam. Es war interessant, einen Text zu schreiben, der stark von Agitprop bestimmt war. Auf der einen Seite stand ich unter dem Druck, unter dem wohl jeder junge Künstler steht, der solch ein Manifest verfaßt. Dann hatte es aber mit meinem Widerstand gegen Clement Greenbergs Formalismustheorie zu tun, weil mit ihm ein unglaublicher Ruck durch die Kunstwelt ging. Seine Anhänger drängten alles an den Rand, was nicht unter dieser Theorie einzuordnen war. Die Idee war, auf solche Dynamik in einem pseudo-positivistischen Wissenschaftsjargon zu reagieren. Dabei vergessen die Leute heute allzu oft, was da alles parallel vor sich ging. Wir waren im Kunstbereich Teil der 68er Bewegung. Heute reduzieren Kunsthistoriker diese Vorgänge meist auf die Arbeiten und deren antiformalistischen Gestus.

Sie haben Kunst und Philosophie thematisiert, gleichzeitig gewann die Mediendebatte mit Marshall McLuhan an Popularität. Wenn Sie als Konzeptkünstler an den beschreibbaren Strukturen der Welt arbeiten, ensteht da nicht zwangsläufig eine Konkurrenz zu Medien wie Nachrichten und Fernsehen?

Aber das schließt sich nicht gegenseitig aus. Es gibt durchaus eine Abfolge in der Produktion von Bedeutung, eine Art Resonanz zwischen verschiedenen Strategien, die angesprochen sind. Aber ich glaube, daß dabei zugleich etwas ausgelöst wird, was ich auf einem meiner Banner zitierte, indem ich sage, daß ich mit den Beziehungen von Beziehungen arbeite, was vielleicht ein bißchen pedantisch klingt. Nun, es ist immer schwierig, eine Sache zu erklären, selbst in der einfachsten Form. Wie wenn du versuchst zu zeigen, wie ein Pullover gemacht ist: Indem du ihn an seinen Fäden auseinanderziehst, beginnst du den Pullover selbst zu verlieren. Ich versuche, mich nicht zu spezialisieren, nicht im Museum zu bleiben, sondern auch außerhalb zu arbeiten.

Die Beziehungen zwischen den Beziehungen, die nicht nur im Museum stattfinden sollen: Wie wichtig ist es im Fall der „Berliner Chronik“, daß die verschiedenen Medien – von der Zeitung über Lauftexte in Kino und Fernsehen bis zur Wandarbeit in den Kunstwerken oder dem Computernetz- Zitat – im Zusammenhang gesehen werden? Reicht es überhaupt, wenn man nur einen Teil der Aktion wahrnimmt?

Alle Teile sind zufällig, und gleichzeitig ist doch jedes einzelne eine Reflexion auf das ganze Projekt. Es ist wie überall anders auch, je mehr du kennst, desto reichhaltiger wird die Sache. Dem Betrachter oder Leser gibt es in jedem Fall die Möglichkeit zu einer weiterreichenden Beschäftigung, um das Werk zu vervollständigen. Mehr ist halt besser. Mir gefällt die Idee, daß sich die Zusammenhänge quasi zufällig ergeben und nicht um ein Zentrum angesiedelt sind wie bei einem Objekt. Ich mag, daß unterschiedliche Medien mit verschiedenen Darstellungsformen arbeiten und entsprechend eine größere Gemeinde in Berlin ansprechen. So gibt es jeweils veränderte Bedeutungen, aber zur selben Zeit ergibt sich Bedeutung zwischen diesen Bedeutungen. In Los Angeles habe ich Cartoons mit Zitaten von Philosophen verbunden, weil mich die Verbindung der Kluft zwischen den Elementen interessierte. Das war die Arbeit. Die Teile waren nötig, um die Kluft aufzumachen. Es wäre allerdings ein Fehler, diese Objekte als das eigentliche Werk zu sehen. Es ist die Produktion von Bedeutung, die dazwischenliegt. So wie ein Autor mit seiner Sprache durch Texte Bedeutung erzeugt, so gehe ich mit den Worten über Sätze oder Paragraphen hinaus. Aber am Ende bleibe natürlich auch ich als Autor bestehen. Und so wie die Schriften von Walter Benjamin auf mich einwirkten, die ich mir dann zu eigen gemacht habe, so verwende ich ihn jetzt gewissermaßen wieder.

Was heißt denn nun Bedeutung?

Ich benutze das Wort Bedeutung für den Prozeß des Bezeichnens.

Aber es geht doch im Falle der Berliner Chronik nach Benjamin um den Moment, in dem die Leute auf solche Zitate stoßen. Das öffentliche Interesse wird doch erst durch die Produktion von Bedeutung, mit dem Eingriff, erzeugt?

Nun, es sind nicht einfach die Worte von Benjamin, die hier benutzt werden, es ist der gesamte Kontext. Wir beginnen mit dem Text und dessen Geschichte – als einem Produkt von Kultur. Aber das ist der Anfang und nicht das Ende des Prozesses der Bezeichnung: Was holt diese Dinge herüber in die Wirklichkeit von jetzt?

Aber ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Öffentlichkeit und historischem Text nicht wieder die Tatsache, daß das Medium die Bezeichnung schon sowohl praktisch als auch in der Theorie beinhaltet? Früher mußte man den Text in einem Buch lesen, heute kann man sich Benjamin auf arte darstellen lassen.

Ja, und das ist eine komische Umkehrung. In meiner Jugend konnte ich nicht mehr malen, weil das Medium an seine Grenzen gelangt war. Damals lag der Fortschritt noch in der Idee, etwas herzustellen, was nicht unbedingt ein Bild oder eine Skulptur war. Gut, das kam von Duchamp, hatte in den 60er Jahren eine andere Relevanz und ist bereits zu Tode diskutiert worden. Allerdings kommen wir jetzt an eine Situation, in der die Erfahrungen sich ... jetzt habe ich den Faden verloren.

Die Situation besteht doch darin, daß jeder am Medium teilhaben soll und anknüpfen kann?

Es geht auch um die Idee eines gemeinschaftlichen Raums. Die Geschichte der Zeitung beginnt mit einem Stück Papier, das an die Kirchenpforte genagelt wurde, um dann im Kreise der Gemeinde gelesen und diskutiert zu werden. In gewisser Hinsicht sind wir jetzt wieder an diesem Punkt mit dem Internet angelangt. Du sitzt nicht mehr allein beim Buch oder am Fernseher.

Sie glauben, daß Descartes' Kammer als Urzelle der Aufklärung nicht mehr funktioniert?

Statt dessen kann man sich jetzt aus den vielen verfügbaren Medien die Wände für das globale Dorf zusammenbauen. Die taz ist ein Stein davon.

Die Frage geht aber noch in eine andere, ebenso häufig diskutierte Richtung: Sind Medien das Fenster oder der Spiegel der Welt?

Genau darin lag auch das Problem der Malerei. Das gemalte Bild wurde als ein Fenster zu einem anderen Ort vorausgesetzt, aber was passierte, war, daß es zum Foto wurde und als Sprache in sich zusammenfiel. Aber ist Ihnen einmal aufgefallen, das Menschen auf Reisen nicht nur nach einer Zeitung in ihrer Sprache suchen, sondern die, die sie auch sonst immer lesen. Bei mir ist es so, daß ich gewöhnlich „Herald Tribune“ und „New York Times“ lese. Das ist doch nicht nur eine Frage der Nachrichten. Was ich an mir selbst gelernt habe, ist die Gewöhnung an die bestimmte Form, ob es nun die rechte oder linke Kolumne, der Fotokasten oder was immer ist. Das hat für mich genausoviel Aussage wie der Inhalt der Nachricht, und funktioniert bei anderen Sachen nicht anders.

Die Berliner Chronik arbeitet ganz selbstverständlich mit Fernsehen und Computernetzwerk. Als Sie 1968 mit den Billboards angefangen haben, wäre diese Nutzung noch undenkbar gewesen. Profitiert die Arbeit von der inflationären Ausbreitung der Medien?

Natürlich hätte ich damals nicht so arbeiten können. Das Fernsehen hätte ja nicht mal einen Bericht über meine Arbeit gemacht. Als ich 1979 ein Billboard Ecke Broadway benutzt hatte, waren die Medien überhaupt nicht interessiert. Ein New Yorker Lokalsender wollte mich erst interviewen, aber als sie mitbekamen, daß ich diese Art kontextbezogener Kunst mache, waren sie nicht mehr interessiert. Sie hätten es gemacht, wenn ich ein verrückter Künstler mit ausgeflippten Ideen gewesen wäre, voller Humor, für die ganz normalen menschlichen Bedürfnisse, wie so was dann heißt.

Jetzt haben Sie als Kunstprofessor einen Status erlangt, der Sie weltweit in alle Museen und genau in diese etablierten Medien bringt. Nimmt die Akzeptanz den Arbeiten etwas von ihrer vormaligen Bedeutung? Jenny Holzer kann mittlerweile die „Süddeutsche Zeitung“ mit Blut bedrucken, und jeder findet es gelungen.

O.k., wir lernen alle von irgend jemandem. Ich habe meine Einflüsse, und Jenny wird wissen, wo ihre liegen. Für Künstler, die immer weiter an ihren Ideen gearbeitet haben, gibt es keinen Grund, sich für eine gewisse Kontinuität ihrer Leidenschaft zu rechtfertigen. Wenn du nur die Institutionen verkörperst und entsprechend Aspekte von Macht reflektierst, dann hast du vielleicht wirklich ein Problem mit dem Apparat und keine Lösungsvorschläge. Meine Arbeit hat sich im Lauf der letzten 25 Jahre oft verändert. Das mag auch damit zu tun haben, daß ich Kunst mehr als einen Test denn als Illustration des Erreichten sehe. Ich habe nichts für die Vorstellung einer eingefrorenen Geste im Sixties-Style übrig.

Wie sehen Sie den Benjamin- Kontext hier in Berlin, im Gegensatz zur Diskussion in den USA?

Mir gefällt daran, daß der Text noch eine Relevanz besitzt, obwohl er vor 60 Jahren geschrieben wurde. Es wäre zu trivial, Benjamin nur in den aktuellen politischen Schemata politischer Korrektheit zu bewerten. Er war schon unter seinen Kollegen, bei Adorno und Horkheimer, wegen seiner politischen Haltung problematisch gewesen. Es gab den Punkt, an dem er der Künstler im Kreis der Frankfurter Schule war. Trotzdem war er ein Denker zu einer bestimmten Zeit in einer konkreten historischen Situation, und sein Denken war von sehr vielen Gefühlen und Authentizität geprägt. Es gab nicht den einen, sondern viele Benjamins, über die sich jetzt die unterschiedlichen Fraktionen streiten. Benjamin, wie auch Wittgenstein oder Freud, sind nie auf eine Richtung der Interpretation festzulegen gewesen. Das macht sie weiterhin heterogen.

Aber alle drei Persönlichkeiten

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stehen für den Beginn unseres Jahrhunderts und für eine Lockerung von Bedeutung. Benjamin spielt die verschiedenen Bedeutungsebenen von Begriffen gegeneinander aus, er bürstet noch die Geschichte gegen den Strich. Das Zitat in der taz macht deutlich, daß sich da zwei Seiten gegenüberstehen: die eine wird informiert, die andere will informieren – aber was wissen die beiden über diese Verbindung?

Ja, die Frage ist: Haben sie sich getroffen?

Benjamin hat dieser Begegnung mißtraut. Sie holen das jetzt wieder in die Zeitung.

Für mich ist daran interessant, wie sich der Unterschied auswirkt. Jede Zeitung bedient ihre Klientel nach deren Erwartungen.

Aber das kann sich sehr schnell ändern: O.J. Simpson war zunächst nur ein Fall für die Schlagzeilen, jetzt werden an diesem Beispiel die allgemeinen Moralvorstellungen in Amerika diskutiert. Hat sich damit auch die Information verändert?

Es ist das Bild, das sich Amerika von sich selbst macht, das hier zur Diskussion steht – nicht als Gesellschaftsmodell, sondern im privaten Sinne. Amerika ist von Grund auf rassistisch. Mit Simpson kommt ein Rollenmodell durcheinander. Ein Schwarzer wird innerhalb des weißen Wertesystems so lange geduldet, wie er athletisch gebaut ist und gut aussieht. Sobald er andere Züge annimmt, wendet sich die Öffentlichkeit gegen ihn.

Es ist die Koinzidenz, in der sich nach Benjamin Bedeutung offenbart – aufblitzt. Ist das einer der Gründe, weshalb der Textstreifen jeden Tag in verschiedenen Sparten auftaucht?

Ja, dann wäre es der Platz, an dem Dinge aufeinandertreffen.

Das läge dann im Rahmen des Textes, aus dem das Zitat stammt. In dem dazugehörigen Aufsatz über Baudelaire beschreibt Benjamin den Zusammenprall von Massengesellschaft und Individuum im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Werden diese unterschwelligen Ebenen mit der Übertragung auf die Zeitung für den Moment als Erinnerungsspeicher wieder aktiviert?

Richtig, die taz wird zur Passage, zu einer Art Informationspassage, in der der Boulevardier durch Informationen bummelt. Es ist anders als im Rahmen der Kunst, wo die Bedeutung überdeterminiert und dadurch limitiert wird. Darin liegt ein Vorteil von Kunst im öffentlichen Raum.

Trotzdem findet sich selbst darin noch Platz für Benjamins Vorstellung, die Welt als ganze festhalten zu können. Am Ende der Aktion sind parallel zum Zitat an neun Tagen Informationen über das Geschehen in aller Welt mittransportiert und gesammelt worden. Ist Ihre Arbeit auch eine Art Passagen-Werk?

Dem Passagen-Werk lag die Idee der Simultanität von Ereignissen zugrunde. Bei der Berliner Chronik ist die Bewegung eine ähnliche. Sie begleitet die Verbindungsstränge anhand von Beziehungen innerhalb der Gesellschaft, und damit wäre die Arbeit erfüllt. Interview: Klaus Biesenbach

Harald Fricke

Parallel zu der bundesweiten Präsentation in der taz finden folgende Aktionen statt: Bis zum 15.7. werden im Fernsehen Zitate auf B 1 eingeblendet; bis 31.7. läuft ein Vorfilm in 9 Berliner Kinos; bis 10.7. ist eine Schrift-Banderole über der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz /Berlin befestigt; bis 15.7. ist ein Schriftbild an einer Baustelle am Schönhauser Tor angebracht, und als Dauerinstallation ist in der Auguststraße an der Hauswand der Kunst-Werke ein Zitat installiert. Ferner sind die Texte über Internet abrufbar.