Bundesgerichtshof hilft Zeitungsverlagen: Neue Zweifel an Tagesschau-App

Verlage kämpfen gegen den Online-Journalismus der ARD-Sender. Der Bundesgerichtshof gibt ihnen eine neue Chance gegen die digitale Tagesschau.

Die Tagesschau-App: Wieviel Text ist erlaubt? Bild: dpa

KARLSRUHE taz | Die Tagesschau muss ihre Online-Angebote möglicherweise deutlich umgestalten. Der Bundesgerichtshof ordnete Donnerstag eine gründliche Prüfung der Tagesschau-App an, diese dürfe jenseits der „sendungsbezogenen“ Beiträge keinen „presseähnlichen“ Journalismus betreiben.

Der Streit um die Online-Aktivitäten der ARD-Anstalten hat grundsätzliche Bedeutung, weil Zeitungsverlage ihre Chancen im Internet und damit letztlich auch ihre Existenz bedroht sehen.

Die Webseite tagesschau.de gibt es schon seit 1996. Doch die Zeitungsverleger warnten früh, dass hier mit Gebührengeldern Konkurrenz für die Online-Portale der Zeitungen entstehen. 2003 erhob der Privatfunkverband VPRT sogar Beschwerde bei der EU-Kommission. Die deutschen Rundfunkgebühren seien eine unzulässige Beihilfe und Wettbewerbsverzerrung, insbesondere im Bereich des Online-Journalismus.

2007 einigten sich die EU-Kommission und Deutschland auf einen Kompromiss. Die Online-Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Sender sollten genau beschrieben und eingeschränkt werden. Ein gänzliches Online-Verbot für Tagesschau und Co. kam aber nicht in Betracht. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte ebenfalls 2007 festgestellt, dass sich der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durchaus auch auf digitale Angebote erstreckt.

Einschränkung zum Schutz der Printpresse

Vor diesem Hintergrund wurden 2009 die Online-Aktivitäten der Sender im Rundfunk-Staatsvertrag neu geregelt. Die Sender mussten „Telemedienkonzepte“ entwickeln, die dann einem Drei-Stufen-Test unterzogen wurden: Entspricht das Angebot dem öffentlich-rechtlichen Auftrag? Liefert es einen Mehrwert im publizistischen Wettbewerb mit anderen Medien? Rechtfertigt der Nutzen die Kosten? Außerdem wurde im Staatsvertrag eine wichtige Einschränkung zum Schutz der Printpresse verankert: „nichtsendungsbezogene presseähnliche Angebote sind nicht zulässig“, heißt es dort. Was damit konkret gemeint ist, blieb freilich offen.

Für tagesschau.de wurde 2010 jedenfalls ein Telemedienkonzept entwickelt, das der NDR-Rundfunkrat beschloss und das die niedersächsische Staatskanzlei freigab. Ende 2010 erweiterte die ARD dann das Angebot um eine Tagesschau-App. Dort wird das Angebot von tagesschau.de für Smartphones und Tablet-Computer aufbereitet.

Gegen die Tagesschau-App klagten aber alsbald elf deutsche Verlage, darunter Springer (Bild-Zeitung, Die Welt), DuMont (Kölner Stadtanzeiger, Express) sowie die Verlage der FAZ und der Süddeutschen Zeitung. In einem Musterprozess wandten sie sich gegen das Angebot der Tagesschau-App vom 15. Juni 2011. Deren Schwerpunkt liege auf „zeitungstypischen Textbeiträgen“ und sei damit „presseähnlich“. Die Verlage werteten den vermeintlichen Verstoß gegen den Staatsvertrag als „unlauteren“ Wettbewerb.

In der ersten Instanz, beim Landgericht Köln, erhielten die Verlage Recht. Die Tagesschau-App vom Juni 2011 sei presseähnlich gewesen und damit unzulässig. Anders urteilte jedoch das Oberlandesgericht (OLG) Köln Ende 2013. Es lehnte die Verlags-Klage ab, weil tagesschau.de einst den Drei-Stufen-Test erfolgreich absolviert habe und dies auch die Zivilgerichte binde. Die Verleger hätten gleich gegen den Beschluss des Telemedien-Konzepts klagen müssen.

Kölner Richter müssen nochmal prüfen

Dagegen gingen die Verleger in die Revision zum Bundesgerichtshof. „Die Schutzvorschriften für die Presse laufen leer, wenn sie nicht effektiv kontrolliert werden“, monierte Verlagsanwalt Axel Rinkler in der Karlsruher Verhandlung. Mit Erfolg.

Der Bundesgerichtshof hob das OLG-Urteil auf und verwies das Verfahren zurück. Die Kölner OLG-Richter müssen nun doch prüfen, ob das Angebot der Tageschau-App zu presseähnlich war. Als „presseähnlich“ gilt ein Online-Angebot, wenn es vor allem aus Texten besteht. Dabei komme es, so der Vorsitzende BGH-Richter Wolfgang Büscher, nicht auf den einzelnen Online-Beitrag an, sondern auf die „Gesamtheit der nichtsendungsbezogenen Beiträge“.

Letzteres ist für die ARD ungünstig, da sie insbesondere in Beiträgen, die sich auf Sendungen beziehen, viele Videos und Audio-Files bereit hält. ARD-Anwalt Gernot Lehr zeigte sich dennoch überzeugt, dass die Sender auch mit den neuen Maßstäben beim Oberlandesgericht Köln gewinnen werden.

Zum Schluss kommen die Grundrechte

Möglicherweise scheitert die Zeitungs-Klage schon daran, dass man gar nicht mehr ausreichend rekonstruieren kann, wie das Angebot der Tagesschau-App am 15. 6. 2011 aussah. Dann könnten die Verleger allerdings auch einfach eine neue Klage gegen eine aktuelle Ausgabe der Tagesschau-App einreichen. Und vermutlich werden sie dann auch gegen das Angebot auf tagesschau.de klagen, denn die Kritik betrifft beide Online-Präsentationen gleichermaßen.

Die Online-Redaktion der Tagesschau wird wohl ihrerseits darauf achten, dass künftig möglichst viele Beiträge „sendungsbezogen“ sind, etwa indem sie Links auf gesendete Inhalte oder Ankündigungen für kommende Programme enthalten. Auch für abgetippte Interviews und Sendungs-Manuskripte gibt es keine Text-Beschränkungen. Und bei den übrigen Beiträgen muss die ARD wohl darauf achten, dass sie genügend multimedial sind, das heißt Video-, Audio- und interaktive Elemente enthalten.

Viele Beobachter rechnen damit, dass der Streit, so oder so, am Ende beim Bundesverfassungsgericht landet. Wer in den Fachinstanzen verliere, werde sich am Ende auf seine Grundrechte - Pressefreiheit oder Rundfunkfreiheit - berufen. Beim Bundesverfassungsgericht haben allerdings die öffentlich-rechtlichen Sender traditionell einen guten Stand. (Az. I ZR 13/14)

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