30 Jahre Freiabos für Gefangene: Länger als lebenslänglich

1985 gründete sich der Verein, um Inhaftierte mit Zeitungen zu versorgen. Im Internetzeitalter ist seine Arbeit wichtiger denn je.

Schön grün – dieser Rasen. Ansonsten: ein trister Anblick – die JVA Hohenleuben, Thüringen. Bild: dpa

Es soll ein ungewöhnlich kalter Septembermontag gewesen sein, als sich Gert Behrens, Johannes Eisenberg, Benny Härlin, Gerold Klöpper, Hans-Christian Ströbele und vier weitere AktivistInnen trafen, um den Verein Freiabonnements für Gefangene e. V. 1985 in Berlin zu gründen.

„Die Lesegewohnheiten sind im Gefängnis genauso divers wie außerhalb“

Der Leitspruch damals wie auch 30 Jahre später lautete: „Jedem Knacki seine taz.” Diejenigen, die die taz lesen wollten, sollten dies auch können.

In Deutschland dürfen Menschen in Haft Zeitungen nur in Form eines Abonnements direkt vom Verlag beziehen. Doch nur für die wenigsten ist ein Abo bezahlbar, schließlich ist die Arbeitslosigkeit hinter Gittern hoch, und selbst wer Arbeit hat, wird miserabel bezahlt.

Je mehr SpenderInnen, desto mehr Knast-Abos

In ihren Anfangsjahren versorgte die taz die Gefangenen noch selbst. Mit der Zeit wuchsen die Anfragen aus den Knästen der Republik aber in einem so großen Umfang, dass eine institutionalisierte Betreuung unausweichlich wurde.

„Leider haperts am Geld” – Brief eines Gefangenen (Ausschnitt) Bild: taz

Um heute im Knast Zeitung lesen zu können, braucht es von den Inhaftierten einen Brief an den Verein, der den Lesewunsch artikuliert, und von jemandem außerhalb ein Spender-Abo. Im Fall der taz ist eine Versorgung relativ schnell möglich, denn viele taz-LeserInnen spenden Abos oder leiten ihr privates Abo während des Urlaubs in den Knast um.

Bereits seit 1991 betätigt sich der Musiker Stefan Berker als taz-Spender. Für ihn zählt, dass die Gefangenen, so sagt er, „gedanklich eine Verbindung zur Außenwelt bilden können”.

Ähnlich argumentiert auch die Spenderin Barbara Hauck, die seit 2009 regelmäßig dabei ist. Mehr noch argumentiert sie: „Ein gutes Blatt, wie etwa die taz, führt nicht nur zu mehr Wissen, sondern fördert auch die Lust am Denken, Vergleichen, Zuhören.”

Die Lesegewohnheiten sind im Gefängnis aber genauso divers wie außerhalb. Neben den monatlich 750 offiziellen taz-LeserInnen gibt es InteressentInnen für über 40 weitere Titel der deutschen und internationalen Presse, die der Verein in seinem Angebot führt und vermittelt, sofern genug Spenden vorhanden sind.

• Gefangene richten ihren Lesewunsch an den Verein. Je nach Spendeneingang kann der Lesewunsch sofort erfüllt werden oder wird auf eine Warteliste eingetragen. Ein Abo läuft höchstens sechs Monate und muss danach erneuert werden.

 

• SpenderInnen können Abos, Bücher, Weihnachtspäckchen oder Geldbeträge beitragen. Der Verein ist gemeinnützig, Spenden sind steuerlich absetzbar.

 

• Freiabonnements für Gefangene e. V., Köpenicker Straße 175, 10997 Berlin; www.freiabos.de; Bank für Sozialwirtschaft, IBAN DE02 1002 0500 0003 0854 00

Häufig müssen Gefangene jedoch längere Wartezeiten erdulden, bis ihr Lesewunsch erfüllt werden kann.

Eine Zeitung, zehn LeserInnen

Umso wichtiger ist für die Geschäftsführerin des Vereins Freiabonnements für Gefangene, Sybill Knobloch, der Hinweis an mögliche neue SpenderInnen, dass von einem gespendeten Abo nicht nur eine Person profitiert, sondern fast ein ganzes Dutzend.

Schließlich geben die Inhaftierten ihre Zeitungen untereinander weiter. Im Fall der taz kommen so im Schnitt auf eine gespendete Zeitung zehn LeserInnen.

Die Tätigkeitsfelder des Vereins beschränken sich nicht nur auf die Zeitungsversorgung. Bücherspenden werden organisiert, und zu Weihnachten schickt das kleine Team aus Ehrenamtlichen und wenigen Festangestellten Päckchen mit Kaffee, Tee, Tabak, Blättchen, Filtern und Süßigkeiten in die Haftanstalten – alles gespendet.

Im Jahr 2000 startete man das Projekt „Der runde Tisch für ausländische Gefangene”. Seit den 1990er Jahren wächst die Zahl von Menschen nichtdeutscher Herkunft in Haft. Der runde Tisch diskutiert ihre Probleme und sucht nach Lösungen.

„Ihre Art und Weise der Berichterstattung gefällt mir” – Brief eines Gefangenen (Ausschnitt) Bild: taz

Vordringlich sind für die Inhaftierten dabei Sprachunterricht und Beratungsangebote zum Ausländerrecht, Gesundheitsfragen und vielem mehr. Mittelfristig will der Verein eine Gruppe von VollzugshelferInnen mit Migrationsgeschichte für die Berliner Gefängnisse aufbauen, die ausländischen Gefängsnisinsassen helfen, sich zurechtzufinden.

Internet hinter Gittern?

Die vielleicht größte Herausforderung steht dem Verein noch bevor: Internet im Knast. Wo die Welt außerhalb der Gefängsnismauern dauerhaft online zu sein scheint, ist die Zeit hinter Gittern stehen geblieben.

Für die aktuell 62.000 Gefangenen und Verwahrten bundesweit gibt es keinen Zugang zu digitalen Medien – bis auf wenige Ausnahmen. Es dauerte allerdings auch 50 Jahre, bis TV-Geräte in deutschen Gefängniszellen zum Alltag gehörten.

„Mein einziger Weg, an Informationen zu gelangen” – Brief eines Gefangenen (Ausschnitt)

So gesehen möchte der Verein Freiabonnements für Gefangene e. V. die wohl absehbar noch weiterhin internetlose Zeit nutzen, um das Lesen in Haft zu unterstützen und Alphabetisierungprojekte im Vollzug zu entwickeln. Gleichzeitig aber will die Einführung digitaler Informationswege für Gefangene aufmerksam begleitet sein. Denn die Angleichung der Verhältnisse in Haft an die Lebenswelt „draußen” bleibt, was Informationsversorgung und Bildung in Haft betrifft, eine Zukunftsaufgabe.

MANUEL SCHUBERT ist Redakteur der taz