Einigkeit und Recht und Deutschtum

■ Hamburger Burschenschaften: zwischen alten Traditionen und neuem Rechtsextremismus. Sonia Shinde sah sich in der schlagenden Verbindung um

: zwischen alten Traditionen und neuem Rechtsextremismus. Sonia Shinde sah sich in der schlagenden Verbindung um.

Als ich die Klingel der Altbauvilla an der Heimhuder Straße 34 bediene, tröstet mich einzig der Gedanke, daß sie mich schlimmstenfalls wieder rausschmeißen werden. Nur ein kleines Türschild weist dezent darauf hin, daß das vierstöckige Gebäude Domizil der Burschenschaft Germania Königsberg ist. Nach einer Weile öffnet sich zögernd die Tür mit den Butzenscheiben und ich werde mißtrauisch beäugt: „Ja bitte?“

Vertrauen heischend wedele ich mit dem Werbe-Flugblatt aus der Mensa, das zu einem burschen- schaftlichen Informationsabend einlädt. Heute abend bin ich die einzige Interessentin, die sich ihre Vorurteile über Burschenschaften nehmen lassen will. Es wird nicht bei diesem Abend bleiben — für mich beginnt eine mehrwöchige Erkundungsfahrt durch die Hamburger Verbindungsszene.

Ich werde ins Altherrenzimmer geführt, wo sich die anwesenden Burschenschaftler leutselig, tolerant und liberal geben. In den Wandregalen des Versammlungsraumes stapeln sich „Deutsche Kommersbücher“, die Sängerbibeln der Burschenschaftler. Aus dem grünen Einband ragen acht Stahlnieten, die den Buchdeckel zentimeterhoch über dem Tisch schweben lassen, damit an den feuchtfröhlichen Gesangsabenden Bier-Rinnsale sich bequem zwischen Tischplatte und Liedertexten dahinschlängeln können, ohne die 544 Liederbuchseiten in Gerstensaft zu ertränken. In dem Liederbuch findet sich unter

1dem Sangeskapitel „Heimat“ großdeutsches Liedgut wie die „siebenbürgische Volkshymne“, „Treue in Südtirol“ und das „Lied auf Ostpreußen“.

In der Ablage des Altherrenzimmers erblicke ich neben dem rechtsextremen Hetzblatt „Junge Freiheit“ auch die „Burschenschaftlichen Blätter“. Fünfmal im Jahr flattert die Verbandspostille ins Haus. Aus dem Hochglanz-Heft erfährt der interessierte Leser, daß die Wiedervereinigung nur eine „kleinstdeutsche Vereinigung“ sei. Und die Anerkennung der polnischen Westgrenze wird als „Preisgabe der deutschen Ostgebiete“ und als „geradezu bedrückend“ empfunden. Neokonservative wie Armin Mohler und Robert Hepp und Rechtsextreme wie Franz Schönhuber laden als Gastautoren des Burschenschafts-Organs zum deutsch-nationalen Lesestündchen ein.

Aber mit Rechtsradikalismus und Ewiggestrigen wollen meine Gesprächspartner offiziell nichts zu tun haben. „Schließlich sind wir von den Nationalsozialisten verboten worden“, erklärt mir „Germanen“-Bursche Andreas Rietz. Geschickt unterschlägt der Student der Geophysik dabei, daß die deutschen Burschenschaften schon vor Hitlers Machtergreifung größtenteils stramme Antidemokraten waren. Bereits 1920 existierte ein Heiratsverbot innerhalb der burschenschaftlichen Dachorganisation „Deutsche Burschenschaft“ mit einem „jüdischen oder farbigen

1Weibe“. Ab 1924 forderten die Burschenschaften einen Ariernachweis ihrer Mitglieder, 1933 beteiligten sie sich an der Verbrennung von Werken „undeutschen Geistes“.

Acht „Burschen“ wohnen „auf dem Korporationshaus“ in der Heimhuder Straße. Dreimal pro Woche üben sich die Germanen- Recken im Fechten. Im eigens dafür hergerichteten Turmzimmer finden sich fein säuberlich an der Wand aufgereiht die „Schläger“, degenartige Waffen mit skalpellscharfer Klinge. Viermal müssen neue Bundesbrüder, sogenannte Füxe, mit Mitgliedern anderer Burschenschaften in der Mensur — einer Art Duell — die Klinge kreuzen, um als vollwertige Burschen anerkannt zu werden. Nicht selten fließt dabei Blut. Die linke Schläfe von Bernd, einem meiner Gesprächspartner, ist

Mit Übergriffen auf die Hafenstraße geprahlt

durch eine drei Zentimeter lange Narbe gezeichnet. Sieben Partien hat er schon gefochten, erklärt er stolz. Weit davon entfernt, den „Schmiß“ als Schönheits-Makel zu empfinden, ist er stolz auf ihn: „Ein Schmiß durchs ganze Gesicht gefiele mir noch besser.“

Als ich die Villa an der Heimhuder Straße verlasse, lasse ich meine Adresse zurück, zeige mich beeindruckt von den starken Männern mit ihren spitzen Klingen. Ein paar Wochen später erhalte ich prompt eine Einladung zum alljährlichen Burschenschaftsball im Alsterpavillon. Hier gebärden sich meine „neuen Freunde“ schon ein wenig rechter und radikaler als auf dem Informationsabend. Nach einigen Humpen macht der Vorschlag die Runde: „Laßt uns doch mal in die Hafenstraße ins Onkel Otto gehen“ und wird dann unter Gelächter und Gejohle ergänzt: „Ja, aber dann laßt uns statt des Schlägers gleich 'ne MG mitnehmen.“ Doch es bleibt bei markigen Verbalattacken, die Aktionslust versinkt in allgemeiner Bierseligkeit.

Das ist nicht immer der Fall. So berichtet ein Elektriker, der im Sommer 1990 die Herberge einer anderen schlagenden Studentenverbindung mit dem Namen „Corps Irminsul“ renovierte, von Waffenstudenten, die damit prahlten, wie sehr sie während der Kämpfe um die Hafenstraßen-Häuser auf Demonstranten eingedroschen hätten.

1In einem der Räume entdeckte der Handwerker nach eigenen Angaben eine „ganze NS-Ahnengalerie“, in der Bilder von Adolf Hitler genauso vertreten waren wie das Konterfei von Rudolf Heß.

Im März 1988 haben sich alle Korporationen, auch die Deutsche Burschenschaft, durch das Bonner Papier selbstverpflichtet, „die Beziehungen zueinander im Interesse einer überparteilichen Zusammenarbeit in der Hochschulpolitik abzustimmen und zu verstärken“. Pressesprecher der burschenschaftlichen Dachorganisation ist der Hamburger Hans T. Heckel. Zusammen mit seinem Bruder Lutz gründete er 1989 an der Hamburger Uni die „Gruppe 146“. Neben eindeutig rechtslastigen Vorträgen organisierten die rechten Studenten zum Schutz einer ihrer Veranstaltungen Schläger der rechts-extremen „Hamburger Liste für Ausländerstopp“ (HLA) als Ordner.

Der Hamburger Senat erklärte

1im Februar 1990 zur Gruppe 146: „In dieser Gruppe arbeiten Personen mit, die den Rechtsextremisten zugeordnet werden. Darüber hinaus findet eine enge Zusammenarbeit mit verschiedenen als rechtsextremistisch bewerteten Organisationen statt.“

Lutz Heckel gehört daneben auch der Landsmannschaft Mecklenburgia an, meiner letzten Station auf dem Weg durch die Hamburger Verbindungsszene. Zum „Bier am Freitag“ trifft man sich im eigenen Domizil an der Sierichstraße. Die graue Eisentür im Keller neben dem Bierausschank ist mit Aufklebern wie „Tirol seit 1200 Jahren deutsch“ und „Schlesien bleibt unser“ übersät. Daneben preisen Sticker die Notwendigkeit der Bundeswehr.

Den „Meckis“ werden innerhalb der Hamburger Verbindungen gute Kontakte zu den „Sierich-Germanen“ nachgesagt. Deren Sprecher war bis vor wenigen Wochen der Jurastudent André Görtz, der als Hamburger Vorsitzender der rechts-extremen „Freiheitlichen Arbeiterpartei“ (FAP) zu zweifelhaftem Ruhm gelangt ist. Im Juni 1991 lud er mit einem „Heil euch, Kameraden“ zum Landestreffen der Kühnen-Organisation ein. Kontaktadresse war das Korporationshaus der Sierich-Germanen.

Auch dem Hamburger Verfassungsschutz ist die Sierichstraße 29 als Tagungsort rechtsextremer Gruppen, wie zum Beispiel der Wiking-Jugend, bekannt. Ständig beobachtet werden die rechts-intellektuellen Burschenschaftszirkel allerdings nicht. „Burschenschaften als solche sind für uns uninteressant“, erklärt Hamburgs oberster Verfassungsschützer Ernst Uhrlau. Doch auch er schätzt Korporationen als potentiell interessant für junge intellektuelle Rechtsextremisten ein.

Offiziell wird die Burschenschaft Germania in der Sierichstraße 29 von den anderen Verbindungen gemieden. „Nee, mit den Sierich- Germanen wollen wir nichts zu tun haben, die sind doch offen rechtsradikal“, erklärt mir Robert. Dabei scheint ihn eher das „offen“ als das „rechtsradikal“ zu stören. Er selbst hat bei den Europawahlen „wie viele Bundesbrüder“ für die Republikaner gestimmt. Robert stammt aus Kiel, doch da er in Hamburg wohnt, ist er sogenannter „Verkehrsgast“ bei der Germania Königsberg.

Das Gedankengut der Königsberger Germanen ist nicht weit von dem ihrer rechtsextremen Namensvettern aus der Sierichstraße entfernt. In den verbindungsinternen „Germanenbriefen“ finden sich unter anderem Mensurberichte aus dem Jahr 1936, unterzeichnet mit „Heil Hitler!“ Auch revisionistische Gebietsansprüche sind keine Seltenheit. So ist im Germanenbrief Nr. 92 nachzulesen: „Die Einheit Deutschlands ist nun vollzogen, auch wenn nicht ganz Deutschland vereinigt ist.“

Bisher können die Korporationen an der Hamburger Uni als Burschen- oder Landsmannschaften ungestört agieren und agitieren. Die Hochschulverwaltung hat keinerlei Möglichkeiten, dem deutsch-nationalen Treiben Einhalt zu gebieten. „Es ist auch nicht der richtige Weg“, so die Meinung von Uni-Vizepräsidentin Barbara Vogel. „In einer kämpferischen Demokratie muß man auch mit diesen Menschen leben können.“