Disput über Populismus: „Eine intellektuelle Einbahnstraße“

Jeder spricht von „Populismus“ – und meint oftmals rechte Politik. Doch was heißt der Begriff tatsächlich? Eine Diskussion.

Die Teilnehmenden von links nach rechts: Philip Müller, Clara Maier, Hedwig Richter, Wolfgang Knöbl und Jan Feddersen Bild: Burhan Yassin

von ANN-KATHRIN LIEDTKE

Kaum ein Begriff fällt momentan wohl so häufig wie dieser: Populismus. Besonders im Zusammenhang mit AfD, mit rechten Tendenzen. Aber – was meinen wir eigentlich, wenn wir von Populismus sprechen?

Am Hamburger Institut für Sozialforschung diskutierten die WissenschaftlerInnen und HistorikerInnen Philip Müller, Hedwig Richter, Clara Maier und Wolfgang Knöbl über den Begriff und dessen Wandel. Moderiert wurde die Veranstaltung von Jan Feddersen, Projektleiter von taz.meinland.

Der Duden erklärt uns Populismus als „von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (im Hinblick auf Wahlen) zu gewinnen.“ Eine Definition, die so erstmal nicht auf ein spezifisches Phänomen rechter Politik schließen lässt. Dennoch verbinden heute viele Populismus unweigerlich mit Rechtspopulismus, mit Wut-BürgerInnen und Pegida-Aufmärschen.

Das Wesen des Populismus

„Aus wissenschaftlicher Sicht ist der Begriff unbrauchbar. Er ist zu dünn definiert“, meint Philip Müller und macht damit das Problem deutlich: Ab wann kann man etwas oder jemanden als populistisch bezeichnen? Immerhin gut ein Drittel der Deutschen stimmt populistischen Positionen grundsätzlich zu, geht aus einer Studie der Bertelsmann Stiftung hervor, ein weiteres Drittel zumindest teilweise.

„Nationalsozialisten waren Populisten, die Grünen sind Populisten, Clinton war ein Populist...“

Wolfgang Knöbl spitzt das Problem zu: „Man versuchte das Wesen des Populismus zu ergründen: heraus kam eine Vielzahl an Definitionen von Populismen. Lohnt es sich mit so einem wenig greifbaren Begriff zu arbeiten? Man sollte die Menschen, die sich entsprechend und eindeutig geäußert haben, als Nazis oder Rassisten bezeichnen, wenn sie welche sind. Und nicht als Populisten. Sonst kann man sagen: Nationalsozialisten waren Populisten, die Grünen sind Populisten, Clinton war ein Populist...“

Seine Sichtweise stößt auf Widerstand. „Ist Verzicht denn eine Alternative?“, fragt Müller. „Werden Menschen wie Gauland dann nicht erst recht ausgegrenzt?“ Statt Menschen, die Mitglied oder WählerIn der AfD sind als Nationalsozialisten zu bezeichnen und sie damit an den Rand der Gesellschaft zu verbannen, solle man ihre Probleme ernst nehmen und in Diskussion treten.

Deutschland, ein schlafender Riese?

„Trotz Populismus: Viele empfinden den aktuellen Wahlkampf als langweilig. Das erinnert an den Solgan der CDU 1957 mit Konrad Adenauer: ‚Keine Experimente’“, meint Feddersen. Viele sähen die Bundestagswahl als bereits entschieden an. Die Deutschen scheinen an Veränderungen wenig interessiert. Aber stimmt das?

„Ich finde das hat etwas unheimlich Positives“, entgegnet Richter. „Ist doch gut, dass hier kein Trump zur Wahl steht.“ Maier stimmt zu: „Deutschland wirkt wie ein schlafender Riese in der Mitte Europas – und um uns herum brennt es. Populismus kann durch seine vereinfachenden Elemente aber auch mobilisierend und wohltuend wirken.“

Müller erinnert sich: „Ich hab mich nach der Wahl in den USA selten so europäisch gefühlt. Und anschließend habe ich sehr gespannt die Wahl in Frankreich verfolgt. Es ist interessant, was für eine mobilisierende Wirkung solche Ereignisse haben können. Dieses Gefühl: Brexit, Trump,... und jetzt geht die ganze Welt den Bach runter.“

Eine Frau aus dem Publikum wendet energisch ein: „Muss Wahlkampf überhaupt sein? Wir bräuchten keinen, wenn wir aufgeweckte Bürger wären. Wir können uns doch über vier Jahre lang informieren. Für mich geht die Kritik nicht an die Politiker, sondern an die Bürger. Wir sollten mehr nachdenken.“ Gelächter im Publikum.

„Es gibt Studien zum Denken der Wähler“, erzählt Richter. „Und die denken erstaunlich wenig. Wenn wir über Demokratie und Populismus sprechen müssen wir auch beachten, dass ein Großteil des Wahlvolkes nicht so gut informiert ist.“

Politik bedient Angebot und Nachfrage

Ein weiteres Problem der Empfänglichkeit für populistische Äußerungen liege im Wandel der Gesellschaft, findet Maier: „Wir leben in einer Konsumgesellschaft. Das hat Folgen: Die Wähler finden, dass sie Politik uns ein Angebot machen soll. Wir entscheiden dann, ob wir das annehmen oder nicht. Hier verbindet sich konsumistisches Denken mit der Idee vom Volksbegehren.“

Populismus Angebot, das auf Nachfrage reagiert? Als Zeigefinger, der auf vernachlässigte Probleme hinweist? Oder ist er doch eine Gefahr für das demokratische System? Denn kritisch betrachtet werden muss wohl vor allem die Verkürzung von Debatten, die Über- und Zuspitzung, bei der wichtige Details verloren gehen können. Mit wenigen Worten drücken Politiker wie Trump etwas aus, wofür andere mehrere Sätze brauchen.

„Wir sind beispielsweise darauf gepolt, Einnamen und Ausgaben miteinander zu vergleichen. Probleme werden verengt. Die Menschen wurden in eine intellektuelle Einbahnstraße gelenkt“, erklärt Richter. Statt in Griechenland könne man in Schulen und Kitas investieren, anstelle von Integrationsmaßnahmen Bildung fördern – dass die Zusammenhänge komplexer sind, werde selten erklärt.

Schwer zu fassen

Aber ist Populismus nun ein vor allem rechtes Phänomen? Auch die Debatte im Hamburger Institut für Sozialforschung kreist vor allem um Rechtspopulismus. „Ist das von links nicht genauso problematisch?“, fragt daher Moderator Jan Feddersen.

„Muss Wahlkampf überhaupt sein? Wir können uns doch über vier Jahre lang informieren.“

„Das funktioniert auch von links“, meint Müller und erinnert an den Brexit. „Das Bild ‚Brüssel macht unser England kaputt’ zeigt das ganz deutlich. Allerdings wird hier das Eigene anders definiert. Man spricht stellvertretend für die, die benachteiligt sind.“ Richter widerspricht: „Man muss schon lange suchen, um eine genuin ähnliche Strategie bei den Linken in Europa zu finden.“

Am Ende zeigt die Diskussion vor allem eins: leicht zu fassen ist der Begriff nicht. Zu viele Phänomene scheint er gleichzeitig zu bedienen, die Debatte bleibt daher letztendlich wenig konkret. Fest steht: seine Auswirkungen müssen ernst genommen werden. „In welchem Land leben wir eigentlich?“, fragt Feddersen am Schluss der Veranstaltung.

„Ich würde sagen, wir leben in einem selbstzufriedenem Land“, meint Maier. „Es geht uns vergleichsweise gut“, sagt Köbl. „Die AfD würde ich nicht überdramatisieren. Deutschland geht nicht unter.“