Kampagne Antirassismus: Den rassistischen Konsens brechen

Mit dem „Kaltort-Ranking” kürt das Bündnis „Irgendwo in Deutschland” die kälteste Stadt der Republik.

Bild: dpa

Das Bündnis irgendwo in Deutschland kürt seit 2016 in einer jährlichen Kampagne den kältesten Ort Deutschlands. Schnee und Eis haben damit nichts zu tun. Vielmehr geht es um soziale Kälte, eines der Tragwerke für institutionellen und strukturellen Rassismus. Sandra Merth, Pressespecher*in des Bündnisses, erklärt im Interview mit taz Bewegung, wieso es wichtig ist, die Kaltorte der Republik ins Rampenlicht zu zerren.

taz Bewegung: Frau Merth, wie kalt war es 2018?

Sandra Merth: Es war verdammt kalt.

Wieso?

Wir haben das ganze Jahr rassistische Übergriffe beobachtet und dokumentiert was in verschiedenen Dörfern und Städten passierte. Fälle die in der Presse oft gar nicht oder nur sehr zögerlich erwähnt wurden. Da ist Torgau ein gutes Beispiel: Dort wurde 2017 eine Person auf dem Marktplatz angeschossen. Dazu gab es bis zur Gerichtsverhandlung im Folgejahr lediglich eine Polizeimeldung in der Lokalpresse, weil das Opfer eine geflüchtete Person war.

Was verspricht sich Ihr Bündnis „irgendwo in Deutschland“, das deutschlandweit aus verschiedenen Gruppen wie beispielsweise den Berliner*innen von demob (Deutschland demobilisieren) besteht, von dieser Recherchearbeit?

Wir versuchen die rassistische Normalität in Deutschland sichtbar zu machen und dort zu intervenieren und das Ausleben von Rassismus so unangenehm wie möglich zu machen. Dafür fahren wir in die Orte und organisieren Demonstrationen ─ unversöhnliche Demonstrationen, die nicht auf Bündnisse mit der Zivilgesellschaft bauen und keine „Bunt-statt-braun“-Aktionen sind, denn bis zu einem gewissen Grad stützen diese die bestehenden Verhältnisse. Zugegebenermaßen ist das Konzept der unversöhnlichen Intervention streitbar, da es unter anderem die Zusammenarbeit mit etablierten bürgerlichen Strukturen ausschließt. Wir wollen mit den Interventionen Parteien oder bürgerlichen Bündnissen nicht die Möglichkeit geben, ihr antifaschistisches und antirassistisches Selbstverständnis reinwaschen zu können.

Also ein exklusiv linksradikaler Standpunkt?

Eigentlich ist es was anderes. Es geht darum den Fokus darauf zu lenken, dass Rassismus ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren ist. Der rassistische Konsens ist die Arbeitsteilung zwischen Nazis, Gesamtbevölkerung und Lokalpolitik. Das ist die Gesamtstruktur, die wir angreifen.

Um Sichtbarkeit geht es auch in Ihrer Social-Media-Kampagne „Kaltort Ranking 2018“. Wie funktioniert sie?

Kurz vor Weihnachten veröffentlichen wir täglich ein bis zwei Texte über Städte und Dörfer, Steckbriefe sozusagen, auf unserem Blog und Facebook. In den Texten wird aufgelistet, was in den jeweiligen Städten im vergangenen Jahr passierte. Es geht da um Verstrickungen von Fußball-Hools mit rechtsradikalen Strukturen, Securityfirmen, die von verurteilten rechtsextremen Straftätern geführt werden und dann wiederum für das örtliche Stadtfest engagiert werden. Zum anderen schauen wir, wie rassistische Über- und Angriffe in den Städten nicht thematisiert wurden, oder wie rassistisch Aussagen von Lokalpolitiker*innen sind. Wir hoffen dann auf Weiterverbreitung der Texte, damit die Leute merken, was eigentlich in ihrer eigenen Stadt passiert, aber auch in irgendeiner Stadt in Deutschland Realität ist.

Quasi ein Online- oder „City-Shaming”?

Ja. Uns interessiert nicht wie viele Linke oder Grüne im Stadtrat sitzen, welche bürgerlichen Bündnisse es gibt, oder welche Mahnmale aufgestellt wurden. Uns interessiert, dass in den Orten Dinge passieren, die von der Mehrheitsbevölkerung der Orte unwidersprochen bleiben. Zwar gibt es eine gewisse Ostspezifik, uns ist es aber sehr wichtig auch westdeutsche Städte aufzuführen, denn es zeigt sich: Egal in welcher Stadt, an vielen Stellen existieren die gleichen Strukturen.

Was hat sich in den letzten drei Jahren mit eurer Kampagne geändert?

Die Zahlen der Zuschriften und der Danksagungen an uns sind gestiegen. Und die Reaktionen in den sozialen Medien zeigen, dass viele Menschen jetzt auch in ihren eigenen Dörfern und Städten für alltäglichen Rassismus sensibilisiert wurden.

Der Wunsch Ihres Bündnisses sind „antifaschistische Alternativen in Provinzstädten“. Wie sollen diese konkret aussehen?

Widerspruch und Widerstand auf allen Ebenen und Rassist*innen den Raum nehmen. Beispielsweise bei der Stadtversammlung zu protestieren, wenn dort Ideen wie Aufnahmestopps diskutiert werden, oder sich gegen Nein-Zum-Heim-Kampagnen oder andere rassistische Kampagnen zu stellen.

Was bürgerliche Initiativen ja auch tun …

…Wenn sie es tun, ist das ja total gut, aber sie tun es einfach zu wenig. Oft wird gesagt: „Wir sind hier nicht alle Nazis“, aber eigentlich muss es heißen: „Wir wollen hier geflüchtete Personen aufnehmen, wir wollen, dass diese Personen hier sicher leben können.“ Und wir wünschen uns letzteres, ersteres passiert aber leider häufiger.

Die Fragen stellte TORBEN BECKER

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