SPIELPLATZ MIT AUSGANGSSPERRE

■ Die „4.Kreuzberger Klangbilder“ im Ballhaus Naunynstraße

Was als eine Art satirische Begrüßung gedacht war, geriet eher zu einer pseudo-kabarettistischen Plattitüde. Eine Rede, in der übers „Ausgehen“ reflektiert und dieser Begriff durch die soziologischen Disziplinen gefegt wurde, begann mit der scheinbar mal wieder in Mode gekommenen Publikumsbeschimpfung, die ja nur eine andere Form der Anbiederung ist. Vom ökonomischen Aspekt des Ausgehens war dann wenig Aufschlußreiches über das Portemonnaie zu hören, nach den „soziokulturellen Zusammenhängen“ durfte auch das „Psychogramm des Ausgehers“ nicht fehlen. Nichtausgeher sieht man im Gegensatz zu Zweck- und Zwangsausgehern nie, Flaneure sind von Bummlern zu unterscheiden, Partygeher sind gehässige Spielverderber, können aber nichts dafür. Einsam sinnstiftend blieb der abschließende Satz, den die amerikanische Schriftstellerin Dorothy Parker ihrem Grabstein aufdrücken wollte: „Ich bin hier wider besseres Wissen, wär ich doch zuhause geblieben!“

Cosima Reif war es, die im Stil von Kishon-Humoresken weitgehend die Ausdauer strapazierte. Sie eröffnete damit die „4.Kreuzberger Klangbilder“ im Ballhaus Naunynstraße, eine Veranstaltung vom „Seitenschiff„-Verein, der das „künstlerische Experiment“ in Berlin fördern will.

Das „Kleine Kreuzberger Geräuschorchester“ (Helmut Jungblut und Wolfgang Mentzel), die Initiatoren dieser Reihe, räumten aber etwa aufgekommene Befürchtungen schnell beiseite. Ihr rein improvisatorisches Programm begeisterte schon wegen der kunterbunten Instrumentation: Da taucht außer so verdächtig bekannten Klangquellen wie Blecheimern und Waschbrett auch ein Arsenal von Luftballons neben Salzstreuern und Geige auf. Und die beiden zeigen hervorragend, was bei so vielen musikalischen Vorstellungen im professionellen oder intellektuellen Höhenflug erfriert: daß Musizieren ein lustvolles Spiel ist - nicht nur, indem sie Spielzeug als Instrumente benutzen. In fast kindlicher Versunkenheit freuen sie sich an dem kuriosen Getöse, das sie ihren Geräten diebisch entlocken: Billardkugeln rollen im Blecheimer, ein Kinderkreisel surrt von 0 auf 100, die Walze einer Spieluhr erzeugt tropfende, ploppende Klangwölkchen, die ganz plötzlich wieder verduften. Aufgeblasenen Luftballons entreißen sie unbeschreibliches Gegreine, während dagegen eine Bohrmaschine kämpft. Keine Rücksicht auf das Trommelfell - Fast Forward hätte neidisch werden können! - Ein besonders lebendiges Tongemälde gibt ein unscheinbares Gerippe aus Holzlamellen ab, das beklopft, gestreichelt oder mit einer Zahnbürste bearbeitet wird: Daß Musik atmet, wurde längst entdeckt - aber daß Atmen, Zungenschnalzen, Schnarchen als musikalischer Ausdruck so einfach imitiert werden kann, wirkt wie ein akustischer Spiegel.

Den Abschluß des Auftaktes bildete die Uraufführung von „Kunststück Klangfarbe“, einer buchstäblich Klangbild zu nennenden Komposition von Friedemann Graef und Jean Martin: zu zahllosen, nacheinander an die Wand projizierten Farbbildern von Gudrun Hüllmann, Rosemary Jarman, Jürgen Reichert und Ruth Zadek klingt Musik vom Band (Martin) und live von verschiedenen Saxophonen und Klarinetten (Graef). Die wohlplaziert sonoren Tonteppiche von Graef sind kontrastig-stimmige Kommentare zu den objektlosen Bildern. Zusammen mit dem Band, das das Ganze mit Papiergeknister und Synthi-Klängen, Vogelgezwitscher und Straßengeräuschen etwas absurd ergänzt, improvisiert er regelrecht Geschichten. Abstrakte Bilder allerdings machen mit der Zeit ziemlich schwindelig; vor allem, wenn die Reihe der gerasterten und gestreiften Variationen nicht abreißt und man verwirrt die Diagonalen für Flächen und den Dia-Projektor für ein Saxophon hält...

Wo die Musik selbst bildlich wird, nimmt man vom Projizierten gerade noch die ewig wiederkehrende diffuse Ordnung wahr: Während vom Band der Urwald tropft und trommelt, brüllt Graef tarzanisch mit Stimme und Saxophon die Geheimnisse der Naturtöne ins Studio. Ein langer, aber reizvoller Versuch der Medienmischung endet mit dem in Telefon- und Autolärm verendenden Bolero.

Christian Vandersee