Haus am Scheckpoint Charlie

Lange wurde geschwiegen: Nun liegen der taz Unterlagen vor, die das Mauermuseum am Checkpoint Charlie als Selbstbedienungsladen erscheinen lassen. Das Geschäft mit der Geschichte

Sollte sich der Verein auflösen, dann werden ein paarLeute reich

von PHILIPP GESSLER

Das Mauermuseum „Haus am Checkpoint Charlie“ – ein Ort der Abzocke, Finanzjonglage und Tricks? Dies legen Dokumente, die der taz vorliegen, nahe und rücken den Berliner Touristenmagnet mit mehreren hunderttausend Besuchern pro Jahr in ein trübes Licht. Demnach spricht vieles dafür, dass der Anfang 2004 verstorbene Gründer des Museums, Rainer Hildebrandt, nicht nur das lange öffentlich subventionierte „Haus am Checkpoint Charlie“ als Selbstbedienungsladen ausgenutzt hat. Sondern es gibt auch Anzeichen für Tricksereien mit angeblich originalen Mauerbruchstücken – und schließlich die Gefahr, dass das Erfolgsmuseum samt seiner Führung in Zukunft gänzlich öffentlicher Kontrolle und dem Fiskus entzogen sein könnten.

Der Hintergrund: Das Mauermuseum, geführt von Hildebrandts Witwe Alexandra, wird getragen von der „Arbeitsgemeinschaft 13. August“, einem eingetragenen Verein, der bis 2001 noch „gemeinnützig“ war. Bis dahin erhielt das Haus immer wieder öffentliche Mittel, die sich im Laufe der Jahre auf mehrere Millionen Euro summiert haben dürften. – Allein Ende der Achtziger- bis Ende der Neunzigerjahre sollen es im Schnitt etwa 600.000 Mark pro Jahr gewesen sein. Im Jahr 1998 beliefen sich die Erlöse aus Eintrittsgeld und Buchverkauf im Museum (bis September des Jahres) auf über 2,5 Millionen Mark. Dagegen behauptete der Vorstand des Mauermuseums noch im November 1998, man müsse „ohne finanzielle Beihilfe von Bund oder Land den laufenden Unterhalt unseres Museums aus eigener Kraft tragen“.

Die Akten: Ein Blick auf die profitablen Geschäfte des Museums, wie es in den Akten steht, ergibt: Der damalige Vorstand des Museums, Hauke Jessen, Günter Irrgang und Hildebrandt selbst genehmigten Ende Juli 1992 eine „Prämie für langjährige Dienste“ in Höhe von 60.000 Mark. Dabei erhielt Hildebrandt damals als Angestellter des Museums schon 5.300 Mark Gehalt im Monat – ein Betrag, der 1993 um 3.000 Mark erhöht wurde. Im Februar 1995 genehmigte der gleiche Vorstand Hildebrandt eine „Zuwendung“ von 200.000 Mark, die jedoch nicht ausgezahlt wurde.

Den Akten zufolge verstand es Hildebrandt offenbar perfekt, seine eigenen Belange mit denen des Museums zu verquicken. So stellte er den Unterlagen zufolge ab Anfang 1996 der Arbeitsgemeinschaft pro Monat 1.900 Mark in Rechnung, weil er Teile seines Privathauses im Grunewald als „Gästewohnung“ für Gäste des Museums geltend machte. Der Vorstand gab, vorbehaltlich des Einvernehmens der Mitgliederversammlung, sein Placet dazu. Ende 1994 verlangte Hildebrandt vom Verein eine „Kostenbeteiligung“ von 42.000 Mark für die Betriebskosten seines Hauses.

Auch die Miete für ein Privatbüro im eigenen Haus in Grunewald wurde vom Verein übernommen, so dass die Summe der Zuschüsse für das Privathaus der Hildebrandts später anscheinend noch viel höher war. Hinzu kamen den der taz vorliegenden Unterlagen zufolge noch kleinere Beträge an Hildebrandt: Etwa über 3.200 Mark für einen Privaturlaub im Jahr 1993. Außerdem beantragte er 1994 vom Verein über 2.300 Mark für ein Hörgerät.

Der Coup: Der gelang Hildebrandt, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung seinerzeit schrieb, 2001, als er über vier Millionen Mark für die Rechte an seinen Publikationen der vergangenen 35 Jahre geltend machen konnte. Das waren für Hildebrandt netto rund 2,4 Millionen Mark, wie der Berliner Steuerberater Gert Behrens errechnet hat. Behrens, ein langjähriges Mitglied des Vereins, wurde 2001 ausgeschlossen. Er hatte mehr Transparenz im Verein gefordert. Bis 2001 war das Museum noch gemeinnützig, erhielt öffentliche Unterstützung und betonte stets seine aufopfernde Arbeit für das Mauergedenken und die Menschenrechte.

Die Kunst: Besonders skurril ist ein Verdacht, der sich weiterhin aus den Akten ergibt, die der taz vorliegen: Es sind Kopien von Quittungen osteuropäischer Künstler von Mitte der 90er-Jahre, auf denen sie der Arbeitsgemeinschaft das Bemalen von Mauersegmenten in Rechnung stellen. Unbemalte Mauerbrocken lassen sich anscheinend weniger gut an den Mann bringen als kunstgewerblich veredelte.

Das Mobbing: Klagen über die Zustände im Museum gibt es schon länger. Ende 1998, Anfang 1999, als erste Gerüchte über das Finanzgebaren des Vorstands, aber auch über das mehr als miese Betriebsklima im Mauermuseum publik wurden, hagelte es Entlassungen für zum Teil langjährige Mitarbeiter. Etwa die Hälfte der damals rund zwei Dutzend Mitarbeiter verließ das Haus oder musste es verlassen – die Gründe für die Kündigungen waren meist so hanebüchen, dass sie bei anschließenden Arbeitsgerichtsprozessen keinen Bestand hatten. Als Behrens und der frühere DDR-Bürgerrechtler Wolfgang Templin öffentlich eine unabhängige Untersuchung der Gerüchte forderten, wurden beide fast stante pede aus dem Verein ausgeschlossen.

Die Zukunft: Auch die sieht nicht besonders koscher aus. Seit dem Verlust der Gemeinnützigkeit im Jahr 2001 muss das Mauermuseum als rein privates Profitcenter gelten. Ende 2001 erhielt der Regierende Bürgermeister nach Informationen der FAZ einen Brief vom CDU-Bundestagsabgeordneten Rainer Eppelmann. Der ehemalige DDR-Bürgerrechter ist Vorstandschef der (Bundes-)Stiftung Aufarbeitung, die an das Unrecht im ostdeutschen Regime erinnert. Eppelmann machte Wowereit auf „bedenkliche Entwicklungen“ im Mauermuseum aufmerksam. Obwohl das Haus „offenbar jährlich zwischen zwei und drei Millionen Mark Gewinn“ mache, wäre „eine Zweckbindung dieses Gewinns“ für die Museumsarbeit nach Wegfall der Gemeinnützigkeit „fortan nicht mehr gewährleistet“.

Dann, warnte Eppelmann, stünde es allein „im Ermessen der kleinen Zahl von Vereinsmitgliedern“, wie der Gewinn verwendet würde. Schon damals, meinte der CDU-Politiker, deutete vieles darauf hin, „dass der Verein bereits damit begonnen hat, erhebliche Teile des Vereinsvermögens zu privatisieren“. Der Bundestagsabgeordnete verwies auf den öffentlich gewordenen Vier-Millionen-Deal Hildebrandts.

Aber was passiert heute mit dem Gewinn des Hauses? Alexandra Hildebrandt musste vor wenigen Wochen einräumen, dass das Land und die Öffentlichkeit immer weniger Einfluss auf das Geschehen im Mauermuseum hat: Anfang Dezember nämlich beschloss die Arbeitsgemeinschaft eine Satzungsänderung, wonach das Vermögen, also vor allem das „Haus am Checkpoint Charlie“ samt Inventar, im Fall der Auflösung des Vereins an die Schweizer „Gemeinnützige Stiftung Dr. Rainer Hildebrandt“ fällt. Bis dahin war das Land Berlin als Erbe vorgesehen.

Pikant an dieser Angelegenheit ist zweierlei: Einerseits, dass die Stiftung laut Eintragung im Handelsregister des Kantons Schwyz das Urkundendatum vom 7. 1. 2004 trägt – also zwei Tage vor Hildebrandts Tod. Der Verdacht liegt nahe, dass da jemand für seine Frau die Schäfchen ins Trockene bringen wollte. Alexandra Hildebrandt ist die Präsidentin der neuen Stiftung mit Sitz in Einsiedeln. Andererseits sind dem deutschen Fiskus bei möglichen Einkünften der vier Stiftungsgründer (Hildebrandt, Jessen, Irrgang und Daniel Dormann, ein Unternehmer und Vertrauter des früheren CDU-Fraktionsvorsitzenden Klaus-Rüdiger Landowsky) weitgehend die Hände gebunden. Sollte sich der Verein auflösen, erklärt Steuerberater Behrens: „Dann werden ein paar Leute reich werden.“

Alexandra Hildebrandt wurden die Recherche-Ergebnisse der taz am Dienstag vorgelegt. Sie war bis zum gestrigen Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht erreichbar.