„Notstandsgesetze für den Alltag“

ÜBERWACHUNG Rolf Gössner kritisiert die Verlängerung von Verfassungsschutzbefugnissen in Bremen

■ 63, ist Anwalt und Publizist. Er ist Linken-Deputierter der Bremischen Bürgerschaft.Foto: Heide Schneider-Sonnemann

taz: Herr Gössner, was sind die „prekären Verfassungsschutzbefugnisse“, die sie kritisieren?

Rolf Gössner: Es geht um die Erfassung und Weitergabe von personenbezogenen Daten zur Terrorismusbekämpfung durch den Bremer Verfassungsschutz – und zwar weit im Vorfeld eines Straftatverdachts.

Wie kommt er an diese Daten?

Er hat das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen Auskünfte zu verlangen bei Banken, Luftfahrtunternehmen, Postdienstleistern und Telekommunikationsdiensten. Es geht um Geldanlagen, Konten- und Reisebewegungen oder Telefonverbindungen. Außerdem gehört dazu die elektronische Wohnraumüberwachung mithilfe von Wanzen, kurz: der große Lausch- und Spähangriff.

Über diese Befugnisse wird immer wieder neu entschieden ...

... weil sie nur befristet gelten. Das hat Gründe: Sie greifen in Persönlichkeits- und Grundrechte ein – ohne richterliche Vorkontrolle und ohne Unbeteiligte wirksam zu schützen. Vor jeder Fristverlängerung sollte deshalb überprüft werden, ob diese Regelungen taugen oder schaden.

Das passierte in Bremen nicht?

Die Mehrheit der Bremer Innendeputation winkte diesen Tagesordnungspunkt wie eine Bagatelle durch. Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) ließ trotz gesetzlicher Verpflichtung keine Evaluierung durchführen – mit der Begründung, man müsse erst abwarten, weil die anderen Bundesländer und der Bund auch noch nicht evaluiert hätten.

Die Innendeputation wusste also nicht, wie die Befugnisse bislang angewandt wurden?

Genau. Die Deputierten wussten nichts über Häufigkeit, Dauer, Resultate – schon gar nichts über die bürgerrechtlichen Kosten.

Was sind die Folgen?

Ein ausufernder Antiterrorkampf und eine wahre Flut sogenannter Antiterrorgesetze bescherten uns einen präventiven Sicherheitsstaat im alltäglichen „Ausnahmezustand“ – angeblich im Namen der Sicherheit, doch auf Kosten der Freiheit. Was wir dringend brauchen, ist eine Generalrevision all dieser „Notstandsgesetze für den Alltag“.

INTERVIEW:
TMA