„Es gibt keinen Öko-Sozialismus“

Wer ökologisches Bewusstsein fördern will, darf die Leute nicht mit Verboten verschrecken. Und sollte die Gesetze des Marktes nutzen, um die Umwelt zu schonen, meint die sächsische Grüne Antje Hermenau

ANTJE HERMENAU, 42, ist seit 2004 Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im Landtag von Sachsen und Mitglied im Parteirat von Bündnis 90/Die Grünen. Sie wurde in der Wendezeit Mitglied des Runden Tischs von Leipzig und war von 1990 bis 1994 Mitglied des sächsischen Landtags, damals noch unter dem Namen Rush – sie war mit einem US-Amerikaner verheiratet. Von 1994 bis 2004 war sie für die Grünen im Bundestag.

taz: Frau Hermenau, in der aktuellen Klimadebatte fordern die Grünen vor allem Dinge, die viel Geld kosten. Wie kommt bei ostdeutschen Hartz-IV-Empfänger eigentlich der Vorschlag an, jeder solle sich einen Toyota Prius kaufen, Listenpreis von 25.000 Euro aufwärts?

Antje Hermenau: Mit dem Auftritt unserer Bundesspitze war ich in dieser Frage auch nicht immer ganz zufrieden. Natürlich kostet es Geld, gegen den Klimawandel vorzugehen. Doch das ist nichts gegen die Kosten, wenn die Erwärmung ungebremst kommt – und gegen die immense Schere, die sich zwischen Arm und Reich dann auftun wird. Reiche können sich klimatisierte Häuser leisten, Arme nicht.

Für die Gegenwart klingt aber der PDS-Vorwurf recht plausibel, die Grünen wollten Autofahren nur für Reiche.

Ich fürchte, für diese Art der Debatte sind unsere Vorstellungen nicht primitiv genug. Wir sagen beispielsweise: Ja, das Autofahren muss teurer werden. Wir sagen aber auch: Wir haben bei Energie und Klima Konzepte, mit denen viel Geld gespart werden kann. Die Grünen wollen, dass die Menschen ihr Geld anders ausgeben, nicht, dass sie weniger haben.

Im Gegensatz zur Linkspartei kann Ihre Partei ihre Konzepte in einkommensschwachen Gebieten schlechter vermitteln. Sie sitzen in Ostdeutschland nur in einem Landtag.

Und in Bremen haben wir gerade das stärkste Wahlergebnis unserer Geschichte erzielt. Die PDS versucht zwar in den Medien sich des Themas Ökologie zu bemächtigen, hat in der Realität aber wenig zu bieten. In Sachsen scheut sie eine klare Position zur Braunkohle, um ihre Wählerklientel nicht zu verschrecken.

In den Umfragen wird die soziale Kompetenz der Linken aber höher eingeschätzt als die der Grünen. Trifft Ihre Partei nicht vor allem die Pendler in den einkommensschwachen Gebieten, wenn sie das Autofahren verteuern will?

Fünf Mark für den Liter Benzin war eine typische Elite-Forderung. Das hat unserem Ansehen zu Recht geschadet. Heute wollen wir nicht mehr das Auto abschaffen. Aber noch etwas ist anders: Die demografische Entwicklung, also die Abwanderung aus den zumeist sozial schwachen ländlichen Gegenden, führt dazu, dass unsere Vorschläge von den Menschen dort als echte Alternativen empfunden werden. Einfaches Beispiel: In den Dörfern der Lausitz leben zunehmend alte Menschen, die sich problemlos an feste Abfahrtszeiten halten können. Die freuen sich auch über ein Sammeltaxi in die nächste Kleinstadt. Sie wollen auch keine Megakläranlage, die sie viel kostet. Ihnen reicht die kleine ökologische Anlage hinter dem Haus. Klingt banal. Aber ich erlebe, dass die Grünen punkten können, wenn sie in der Kommunalpolitik solche kleinteiligen Lösungen für den Alltag anbieten.

Was ist mit den großen Lösungen? Warum wollen Sie beispielsweise, wie es die Linke vorschlägt, besonders schädliche Autos nicht verbieten?

Ich glaube nicht an die Wirkungskraft von Verboten. Da macht es der richtige Mix aus dem Angebot klimafreundlicher Autos und den Lenkungswirkung von Steuern.

Bedeutet das nicht auch, dass Reiche sich freikaufen können, indem sie mehr Steuern zahlen?

Um viele Menschen für Umweltpolitik wirklich zu interessieren, muss man sich die Zeit nehmen, sie auch zu überzeugen. Ich will die Neugier für ökologische Fragen, die wir gerade erleben, nicht gleich wieder platt machen. Und Verbote haben den Nachteil, dass die nächste Regierung sie auch wieder abschaffen kann.

Sind die Grünen noch eine linke Partei?

Die Grünen sind nicht klassisch links im Sinne der Verteilungsfrage. Jede Partei hat ein Wertesystem, an dem sie ihre Politik misst. Bei uns heißt es nicht: Ist eine Entscheidung links oder rechts? Sondern: Ist sie umweltverträglich, global gerecht und zukunftsfähig?

Also sind die Grünen eine Partei, die in erster Linie auf den Markt setzt?

Wir wollen einen Mix. Wir wollen die Gesetze des Marktes für die Ökologie nutzen. Wir brauchen Ordnungspolitik und vielleicht auch mal ein Verbot. Ich möchte aber nicht zurück in die Zeiten, als die Grünen das Image von Katastrophisten und Lustkillern hatten.

Oskar Lafontaine meint, dass sich Kapitalismus und Ökologie ausschließen. Hat er Recht?

Nein. Sein Ausweg ist mehr Staat. Das funktioniert aber nicht, das habe ich als Ostdeutsche 25 Jahre lang erlebt. In der DDR war die Grundversorgung staatlich verordnet und billig. Aber auf wessen Kosten? In der Schulklasse, die ich in Leipzig unterrichtet habe, hatte ein Viertel der Kinder chronische Bronchitis. Wirtschaftspolitik wurde brutal auf dem Rücken der Umwelt gemacht. Das sollte angeblich sozial sein, war es aber nicht, denn die einfachen Leute konnten nicht wie die Verantwortlichen nach Wandlitz ins Grüne ziehen. In Abwandlung eines Lafontaine-Zitats kann ich nur sagen: Es gibt keinen Öko-Sozialismus.

INTERVIEW: RALPH BOLLMANN

DANIEL SCHULZ