Geschlechterverhältnis im Karneval: Helden in Strumpfhosen

Im Kölner Karneval steckten traditionell männliche Jecken in den Kostümen von Tanzmarie und Jungfrau. Jetzt ist die Jungfrau ein Mann, das Mariechen eine Frau. Warum eigentlich?

Das Tanzmariechen wird auch heute noch auf Männerhänden getragen. Bild: dpa

Einmarsch des Traditionskorps auf einer Kölner Karnevalssitzung. Gestandene Kerle in engen weißen Hosen und kniehohen schwarzen Stiefeln, mit federgeschmücktem Dreispitz und leuchtenden Gardeuniformen marschieren zu zackiger Blasmusik auf die Bühne.

Die Jungfrau, "Ihre Lieblichkeit", ist Teil des Kölner Dreigestirns, das sie zusammen mit Prinz und Bauer bildet. Die Kölner Jungfrau war bereits 1823 beim Karneval dabei, danach allerdings nicht regelmäßig. Sie steht für die freie, unabhängige Stadt Köln. Als Zeichen der Unbesiegbarkeit der Stadt trägt sie eine Mauerkrone auf dem Kopf. Damit es nicht zu sehr auffällt, dass ein Mann im Kostüm steckt, sind Bärte und Schnäuzer für Jungfrauen tabu. Gemeinsam tritt das Dreigestirn seit 1883 auf.

Das Tanz- oder Funkenmariechen geht auf die Marketenderinnen zurück, die während des Dreißigjährigen Krieges mit den Soldaten umherzogen, ihnen Waren und gelegentlich auch den eigenen Körper verkauften. Der Name Marie kommt wohl daher, dass im frühen 19. Jahrhundert, als die Figur des Tanzmariechens aufkam, fesche Frauen in Köln gerne pauschal so gerufen wurden.

Das Publikum ist bereits außer Rand und Band, als die letzten karnevalistischen Nachfolger der Stadtsoldaten des 18. Jahrhunderts noch einziehen. Eine einzige Frau führen sie mit sich, und die muss, wie es sich zwischen lauter echten Kavalieren geziemt, nicht einmal selbst laufen. Sie wird im wahrsten Sinne des Wortes auf Händen getragen.

Auf dem Arm des Tanzoffiziers in die Höhe gestemmt, wird sie wie eine Kriegsbeute in den Saal transportiert. Neben roten Stiefelchen, dicken blonden Zöpfen und einem knappen Röckchen nebst Spitzenunterhose trägt sie ein besonders reizendes Lächeln im Gesicht. Hier und da wirkt sie ein wenig angestrengt, während sie links und rechts Kusshändchen verteilt.

Das Tanzmariechen, als attraktive und gelenkige junge Frau in der Mitte der gesetzten Herren der Traditionsvereine, ist nicht nur auf den Herrensitzungen ein Verkaufsschlager des Kölner Karnevals. Dabei ist das sexy Maskottchen keineswegs eine alte Tradition, sondern eine Erfindung der Nachkriegszeit, als auch der Karneval der zunehmenden Sexualisierung des öffentlichen Raums Rechnung tragen musste.

Dass die Marie bis in die Dreißigerjahre hinein von einem dicken, älteren Mann dargestellt wurde, ist spätestens seit der historischen Karnevalsforschung der vergangenen Jahre wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Doch für das nationalsozialistische Köln kam die Auflösung von Geschlechtergrenzen selbst im Ausnahmezustand Karneval nicht mehr infrage. Sowohl die Marie als handfeste Persiflage der Marketenderin - einer Mischung aus Mutter der Kompanie und Soldatenhure in den militärischen Strukturen der frühen Neuzeit - als auch die Jungfrau - eine Allegorie der Stadt - wurden daher ab 1936 von einer Frau vertreten.

Das Zusammenspiel von Karneval und Nationalsozialismus ist weitgehend aufgearbeitet, unbeachtet blieben bislang jedoch die Entscheidungen, die danach getroffen wurden. Denn während nach dem Krieg "ihre Lieblichkeit", die Jungfrau, wieder zum Mann wurde, blieb die Tanzmarie eine Frau.

Heute wird diese personelle Neubesetzung des Karnevals gerne als unbewusster allgemeiner Konsens dargestellt. Es sei doch ganz natürlich, dass man lieber junge Frauen anschaue, antwortete der Karnevalskomponist Gerhard Jussenhoven in einer Dokumentation des WDR auf die Mariechenfrage. Die Jungfrau als Mann sei schließlich eine uralte Tradition, so der ehemalige Karnevalsprinz Wicky Junggeburth. Natürliche Vorliebe also oder gewachsene Tradition?

Vergessen wird, dass es auch nach dem Krieg durchaus noch männliche Mariechen gab. Noch 1956 berichtet ein Porträt im Kölner Stadtanzeiger vom Tanzmariechen der Schusterjungen, Viktor Hemmersbach, und seiner Soloparodie "Die Beine von Dolores". Die Tanzgarde der Schusterjungen habe als Einzige am alten Brauch festgehalten, die Figur durch einen jungen Mann darstellen zu lassen. Es hätte also auch alles anders kommen können.

Doch die Wiedereinführung des Karnevals fand nach dem Krieg unter der Prämisse der Erhaltung vermeintlich uralter Werte und Traditionen statt. Die Entscheidung, die nationalsozialistische Zwangsbiologisierung von Marie und Jungfrau dabei nur teilweise wieder aufzuheben, hat sich aber keinesfalls irgendwie ergeben, sie war eine bewusste Entscheidung für die Machtverteilung der Geschlechter im Gefüge der Stadt.

Die personelle Besetzung des Karnevals wird dem Kölner Nachkriegspatriarchat schlaflose Nächte bereitet haben. Ein männliches Mariechen war in der fortschreitenden Erstarrung gesellschaftlicher Rollen der Ära Adenauer nicht mehr tragbar, eine weibliche Jungfrau hingegen hätte die Präsenz einer Frau in den obersten Kreisen der Macht bedeutet.

Kölsche Jungfrau zu sein erforderte damals wie heute einen beträchtlichen finanziellen und zeitlichen Einsatz, bezahlt wird nach wie vor mit beträchtlichem gesellschaftlichem Einfluss - für Frauen ist in diesem Netzwerk bis heute kein Platz.

Eine kritischer Blick auf das Verhältnis der Geschlechter im organisierten Kölner Karneval zeigt, dass der systematische Ausschluss von Frauen oder die Einrichtung ihrer eher marginalen Rollen kein Phänomen der Nachkriegsjahre oder gar des 19. Jahrhunderts ist.

Die laufende Session birgt diesbezüglich sogar ein Jubiläum: 1979 wurden erstmals Frauen im Rosenmontagszug zugelassen. Draußen dürfen sie seit 30 Jahren nun auch laufen, in geschlossenen Räumen werden sie weiterhin getragen.

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