„Ich traue Profis“

INTERVIEW RALPH BOLLMANN

taz: Herr Rau, nach Ihrer Amokwarnung vom Dienstag steht noch immer vor jeder Schule in Baden-Württemberg ein Polizist. Wann werden die Beamten wieder abziehen?

Helmut Rau: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Da müssen Sie den Innenminister fragen. Ich bestelle die Polizei nicht, und ich schicke sie auch nicht nach Hause.

Und was sagen die Schulleiter, die jetzt fragen: Wann kehrt bei uns wieder die Normalität ein?

Die Verantwortlichen an den Schulen haben ein gutes Gespür dafür, ob bereits nach dem ersten Tag wieder Normalität eintreten konnte – oder ob sie Befürchtungen haben müssen, weil sie bei genauerem Hinsehen Risikopersonen erkennen.

Polizeigewerkschaft und Opposition werfen Ihnen vor, Sie hätten die Panik im Land durch Ihre öffentliche Warnung erst ausgelöst.

Mir war natürlich klar, dass es eine gewisse Aufregung geben würde. Angesichts der Beurteilung durch die Polizei habe ich aber keine andere Möglichkeit gesehen, als die Öffentlichkeit zu informieren. Die Opposition hat sich im Übrigen sehr unterschiedlich geäußert. Die Grünen haben aus Respekt vor der schwierigen Lage zunächst gar keine Erklärung abgegeben. Das fand ich sehr beachtlich.

Wäre es möglich gewesen, die Schulleiter am Dienstag intern zu informieren?

Die Polizei hat zunächst versucht, den Fall örtlich einzugrenzen. Dieses Ziel hat sie bis um 15 Uhr weiterverfolgt. Zu diesem späten Zeitpunkt konnten wir aber nicht mehr sicher sein, dass noch alle Schulleiter von der Mail Kenntnis nehmen werden. Außerdem war es mir wichtig, dass auch die Eltern Bescheid wissen – und nicht unvorbereitet mit einem Polizeiaufgebot vor der Schule konfrontiert werden.

Diese Entscheidung war mit dem Innenministerium abgestimmt?

Sogar mit dem Ministerpräsidenten.

Müsste man nicht versuchen, die Erreichbarkeit der Schulleiter sicherzustellen?

Wir haben rund 4.500 Schulen im Land, da ist der telefonische Weg praktisch ausgeschlossen.

Wenn sich solche Amokwarnungen häufen, werden sie dann überhaupt noch ernst genommen?

Die Polizei sagt uns, sie könne Aktionen von Trittbrettfahrern gut von ernst zu nehmenden Bedrohungen unterscheiden. Das war auch der Grund für unsere Reaktion. Die Polizei hat gesagt: In diesem Fall haben wir die Befürchtung, dass es ernst gemeint sein kann.

Sie sagen: Hätten Sie nicht informiert, wären Ihnen nachher Vorwürfe gemacht worden. Fehlt Politikern heute der Mut, selbst Verantwortung zu übernehmen?

Für tote Kinder? Das finde ich eine nette Anmaßung.

Und wenn man nach nüchterner Analyse sagt: Die Gefahr durch eine Panik ist größer als die Wahrscheinlichkeit eines Amoklaufs?

Die Risikoeinschätzung habe nicht ich vorgenommen, sondern die Polizei.

Sie waren also in einer ähnlichen Lage wie die Intendantin der Deutschen Oper Berlin, als sie die Mozart-Oper „Idomeneo“ abgesetzt hat?

Ja. Da muss ich mich auf die Profis verlassen. Wenn jetzt die Gewerkschaft der Profis sagt, das hätte man auch anders machen können, dann ist sie mit den Abläufen des Tages nicht hinreichend vertraut.

Es gibt Vermutungen, die Amokwarnung habe den Suizid eines Schülers aus Offenburg erst ausgelöst.

Das ist eine Spekulation, an der ich nichts Realistisches erkennen kann. Der Schüler ist am Nachmittag mit der Waffe aus dem Haus gegangen. Zu diesem Zeitpunkt gab es die öffentliche Warnung noch gar nicht.

Beim nächsten Mal würden Sie sich genauso verhalten?

Ich weiß nicht, ob solche Fälle immer identisch ablaufen. Wenn ich diesen Fall rückblickend betrachte, ist mir noch kein Argument untergekommen, wieso ich es hätte verschweigen sollen.