Lasten ungerecht verteilt: Steuerparadies Deutschland

Einkommensmillionäre führen weit weniger an den Fiskus ab, als sie eigentlich sollten. Solidarisch ist das nicht: Die Mittelschicht muss die Ärmeren allein finanzieren.

Da prickelt der Champagner – in Deutschland geht's den Reichen gut. Bild: dpa

Deutschland ist ein Steuerparadies für Millionäre. Selbst die Reichsten sind weit davon entfernt, den Spitzensteuersatz zu entrichten. Sie können derartig viele Freibeträge und andere Abzugsbeträge beim Fiskus geltend machen, dass sie im Durchschnitt nur 36 Prozent Steuern auf ihr Einkommen zahlen. Dies ergibt sich aus einer Berechnung, die das Statistische Bundesamt für die taz angestellt hat.

Verwendet wurden die neuesten Steuerdaten, die allerdings aus dem Jahr 2005 stammen. Diese Verzögerung entsteht, weil es oft lange dauert, bis die Bürger ihre Steuererklärungen einreichen. Zeit vergeht zudem, bis die endgültige Steuerschuld ausgerechnet ist und die Daten aus den Finanzämtern beim Statistischen Bundesamt eintreffen. Trotzdem ist gerade das Jahr 2005 aufschlussreich, weil dort erstmals alle Stufen der rot-grünen Steuerreform griffen. Offiziell lag der Spitzensteuersatz damals bei 42 Prozent, doch faktisch zahlte diesen Satz fast niemand. Die Topverdiener sparen also Milliarden, wenn man ihre tatsächliche Belastung mit den offiziellen Tarifen vergleicht.

Das Statistische Bundesamt hat die durchschnittlichen Steuersätze berechnet, indem es alle Einkommensbezieher berücksichtigte, die 2005 eine Steuererklärung abgaben. Bisher existierten vor allem Hochrechnungen und Stichproben, die versuchten, den Durchschnitt zu ermitteln. Der Verdacht ist alt, dass Spitzenverdiener weniger zahlen, als nach dem offiziellen Tarif fällig wäre. So hat sich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im vergangenen Jahr einmal angesehen, wie viel die 450 reichsten Bundesbürger an den Fiskus abgeführt haben. Grundlage der Studie war noch das Steuerjahr 2002. Ergebnis: Die absoluten Topverdiener hatten im Durschnitt ganze 34 Prozent an Einkommensteuer gezahlt - obwohl sie im Schnitt ein Einkommen von 22 Millionen Euro erzielten.

Noch mehr Entlastungen

Mit den jetzigen Daten bestätigt das Statistische Bundesamt diese Erkenntnisse. Die Berechnungen dafür waren aufwändig. Drei Wochen dauerte es, um die durchschnittliche Belastung aller veranlagten Steuerpflichtigen herauszufinden.

Der Spitzensteuersatz ist also Makulatur. Doch weitere Entlastungen sind schon in Sicht: Schwarz-Gelb hat auf der Klausur in Meseberg vereinbart, dass es 2011 noch einmal Steuersenkungen für Bürger und Unternehmen geben soll - nachdem auch schon für 2010 rund 8,4 Milliarden Euro an Steuergeschenken beschlossen wurden.

Vor einem Fehlschluss muss man sich allerdings hüten: Auch wenn die Topverdiener nicht den Spitzensteuersatz entrichten, zahlen sie einen großen Teil der Einkommensteuern. Die Progression funktioniert. So bringen die obersten 0,1 Prozent der Steuerpflichtigen bereits 10,1 Prozent der gesamten Einkommensteuer auf; das reichste Prozent steuert schon 22,7 Prozent bei. Umgekehrt zahlt die untere Hälfte kaum noch Einkommensteuern. Im Jahr 2005 trugen die ärmeren 50 Prozent der Bürger noch ganze 6,8 Prozent zum Gesamtaufkommen bei.

Trotzdem muss man kein Mitleid mit den Spitzenverdienern haben. Denn die eigentlichen Lasten für die Bürger entstehen längst woanders. In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Gewichte im Steuergefüge völlig verschoben - die Verbrauchsteuern sind stark gestiegen, während die Einkommensteuern fast zur Bagatelle geworden sind.

Dieser Trend zeigt sich in der Steuerschätzung für 2010. Die Einkommensteuer ist nur noch mit knapp 165 Milliarden Euro eingeplant. Faktisch dürften die Einnahmen sogar weit geringer ausfallen, etwa weil die schwarz-gelben Steuergeschenke nicht berücksichtigt sind. Die Mehrwertsteuer hingegen soll rund 180 Milliarden Euro bringen. Weitere große Verbrauchsteuern wie die Benzin- oder die Tabaksteuer dürften noch einmal knapp 60 Milliarden liefern.

Wie stark die Steuern auf Einkommen und Gewinne schrumpfen, zeigt sich besonders im Vergleich zu früher: Bis 1990 machten diese direkten Steuern etwa 60 Prozent des Gesamtaufkommens aus - und lagen damit weit vor den indirekten Steuern wie der Mehrwertsteuer. Doch seither steigen die Verbrauchsteuern stetig und haben die Einkommen- und Unternehmensteuern überholt.

Zudem haben die Millionäre das Glück, dass sie gar nicht oder nur lapidar in die Sozialkassen zahlen. Für die Normalbürger sind jedoch vor allem die Sozialabgaben das Problem. So machen bei einem alleinstehenden Geringverdiener Steuern und Sozialabgaben inzwischen 47,3 Prozent der Arbeitskosten aus, wie die OECD ermittelte. Das ist nach Belgien der zweithöchste Wert aller Industrieländer. Bei einem Ehepaar mit zwei Kindern, das durchschnittlich verdient, liegt die Gesamtbelastung bei 45,2 Prozent. Die Millionäre kommen also billig davon, wenn sie durchschnittlich nur 36 Prozent an Steuern zahlen müssen.

"Peanuts" für Millionäre

Topverdiener müssen sich natürlich auch gegen Krankheit versichern - bei den gesetzlichen Kassen liegt die Beitragsbemessungsgrenze aber nur bei 3.675 Euro monatlich. Das Einkommen darüber wird nicht herangezogen. Für einen Millionär sind das "Peanuts". Meist weicht er allerdings in eine private Kasse aus, wo ihn garantiert der Chefarzt behandelt.

Man kann es auch anders ausdrücken: Die Mittelschicht wird weitgehend allein damit gelassen, die Ärmeren zu finanzieren. Die Geringverdiener könnten sich die Gesundheitsversorgung gar nicht leisten, auf die sie Anspruch haben. Also springt die Mittelschicht ein, während sich die Spitzenverdiener aus dem Solidarsystem verabschieden. Deutschland ist wirklich ein Paradies für Millionäre.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.