Das Herz ist ein einsamer Jäger

NEOREALISMUS Rafi Pitts’ „Zeit des Zorns“ ist als filmischer Kommentar zur Entwicklung im Iran zu verstehen und gleichzeitig sehr gutes Kino

VON ANDREAS FANIZADEH

Einer der bemerkenswertesten Filme im Wettbewerb der letzten Berlinale war Rafi Pitts’ „Zeit des Zorns“. Nächste Woche kommt das Drama des 1967 im iranischen Maschhad geborenen Regisseurs nun ins Kino. Man sollte sich diesen spannenden Film nicht entgehen lassen, der mit ziemlicher Sicherheit im Iran nicht zu sehen sein wird. Dazu dürfte er zu direkt und filmisch unmissverständlich auf die jüngsten Ereignisse im Iran reagieren.

Pitts, der seit seinem zwölften Lebensjahr überwiegend in Großbritannien und heute in Paris lebt, dürfte mit „Zeit des Zorns“ den Bogen überspannt haben. Gedreht ist der Film zwar in Iran. Pitts unterwarf sich dafür den iranischen Zensurbehörden, die ihm schließlich grünes Licht gaben. Die vorübergehende Verhaftung seines Regieassistenten Mehdi Pourmoussa im März galt zwar dessen Zusammenarbeit mit Jafar Panahi, ist aber auch eine unmissverständliche Warnung an die Adresse Pitts’.

Pitts hat die politischen Probleme des Landes und die Unruhen nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen vom letzten Jahr indirekt der Handlung von „Zeit des Zorns“ zu Grunde gelegt. Seine Hauptfigur Ali (gespielt von Pitts selbst) ist Nachtwächter in einem Peugeot-Werk in Teheran. Während er in der Dämmerung zur Arbeit und im Morgengrauen von seiner Schicht nach Hause fährt, sprechen die Mullahs aus dem Autoradio. Durch die Fenster der Wohnung hallt Demonstrationslärm: „Nieder mit der Diktatur“. Pitts setzt den Ton insgesamt sehr geschickt zur Pointierung seiner Erzählung ein. Er arbeitet mit Zitaten aus iranischen Massenmedien, unterlegt Szenen aber auch mit Musik von Radiohead bis iranischem Rock, manchmal herrscht absolute Stille.

Der Film beginnt mit einem Zitat, Rockmusik und impressionistisch aufgelöste Menschenbilder, ein Ornament, dessen Konturen sich allmählich in Standaufnahmen von Bikern und Demonstranten vergegenständlichen, auf dem Straßenasphalt eine US-amerikanische Flagge gemalt. Doch Pitts geht sehr sparsam mit solchen Emotionalisierungen um, noch sparsamer mit direkten verbalen Kommentaren. Bilder und Handlungsverlauf sprechen für sich. Ali war im Gefängnis, sein Begehr, in die Tagesschicht versetzt zu werden, prallt an der preußischen Mentalität der iranischen Werksbürokratie einfach ab. Um der Depression zu entkommen, ist sein Leben auf das Private gerichtet, seine Frau Sara und die fast siebenjährige Tochter Saba.

Die drei leben auf einer Insel in ihrem Teheraner Hochhausquartier. Das einzige Hobby, das sich der introvertierte Melancholiker Ali erlaubt, ist die Jagd in den nahe gelegenen Bergen.

Wald und Berge werden auch zum Hauptschauplatz der Jagd nach Ali. Der Jäger wird zum Gejagten. Er hat sich, nachdem Frau und Tochter am Rande einer Demonstration erschossen wurden, ebenso wahllos an zwei Polizisten gerächt und flieht ans Kaspische Meer. Nach Verfolgungsjagd wird er von zwei Polizisten gestellt, doch zu dritt verlaufen sie sich dann in der nebligen iranischen Bergwaldnatur. Die beiden Polizisten erweisen sich als ungleiches Paar, die Auflösung der Geschichte ist so unerwartet wie scheinbar sinnlos.

Zeit des Zorns, Regie: Rafi Pitts, D/Iran 2010, 88 Minuten